Das Haus der Frau L. und die Ganoven-Gabi

8. MäRZ 2024 - 17. MäRZ 2024, VILLIBALD

#Das Haus der Frau L., #Loci, #Recherche, #Video-Walk, #Villibald

Geschichten aus der Villi-Villa: Seit 2022 wühlt das LOCI-Kollektiv in den Archiven, um mehr herauszufinden über die Menschen, die im Haus Pirckheimer Straße 32, heute bekannt als Villibald, lebten. Am 8. März mündet diese Arbeit in der Premiere der Mixed Media Installation Das Haus der Frau L.
Der Video-Walk erzählt die Geschichte von zwei Frauen, die Jüdin Emilie Löb einerseits, deren Familie fast komplett ermordet wurde, Gabriele “Ganoven-Gabi” Lehmann andererseits, die nach dem Krieg auch Nazis vor Gericht verteidigte. Andi sprach mit Niklas Kammermeier und Maria Pfeiffer von LOCI über dieses höchst spannende Projekt.

CURT: Ihr habt die Geschichten von zwei Frauen in der Villi-Villa recherchiert. Erstmal: Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
NIKLAS: Angefangen hat das 2022. Ich war auf der Suche nach einem Atelierraum und bin auf das Villibald aufmerksam gemacht worden. Bei der Besichtigung habe ich Simira erzählt, was wir machen und dass wir gerne mehr recherchebasierte Arbeiten konzipieren würden. Sie meinte sofort, da wäre dieses Haus interessant: Hier gab es die “Ganoven-Gabi” und einen Mord in der Reichspogromnacht. Ich bin sofort darauf angesprungen und habe meinen LOCI-Kolleg*innen eine Sprachnachricht geschickt. Wir dachten zuerst, wir machen nur etwas Kleines, weil wir auch in anderen Projekten drin waren. Daraus wurde dann eine zweijährige Recherche.
MARIA: Es war unser großes Glück, dass der Fond Darstellende Künste uns eine Förderung zugesagt hat. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, ohne Druck in die Konzeption und Recherche einzusteigen. Und dann haben wir einfach geschaut, wie weit und wo hin wir kommen.

Wie seid ihr vorgegangen, was waren eure ersten Schritte?
N: Wir haben zuerst das Team um Felix Hörath erweitert, der schon mit der Kulturhauptstadtbewerbung zu tun hatte und sich als Kulturwissenschaftler mit Erinnerungskulturen in Theorie und Praxis auseinandersetzt, insbesondere mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Felix und ich haben dann damit begonnen, die Archive abzuklappern, das Stadtarchiv, das Staatsarchiv, das Bundesarchiv, und haben dort Dokumente gefunden. Zum Beispiel über Gabriele Lehmanns Ausbildungszeit zur NS-Zeit, was spannend war, um die Ambivalenz dieser Figur zu verstehen. Oder polizeiliche Führungszeugnisse, über die wir auf die Ganovenvergangenheit ihrer Familie gestoßen sind. Ihre gesamte Familie war zeitweise im Gefängnis, allerdings unter den Vorzeichen der NS-Zeit, also in einem Unrechtsstaat. So haben wir uns von einem Fundstück zum nächsten weitergehangelt und nach und nach ein Bild von Gabriele Lehmann und Emilie Löb zusammengesetzt.
M: Eine andere Sache war: Simira hatte alte Schlüssel im Haus gefunden. Auf einem stand ein Name. Sie hat diese Frau bei Facebook entdeckt, die als letzte Haushälterin mit Gabriele Lehmann hier gewohnt hat. Die kam dann auch nochmal hier her. Das war neben der Archivarbeit der Zugang über Einzelpersonen und Interviews.

Emilie Löb und Gabriele Lehmann haben beide zu unterschiedlichen Zeiten in diesem Haus gelebt, was mögt ihr über diese beiden Frauen schon verraten?
N: Wir hatten eine ziemlich lange Konzeptionsphase und unterschiedlichste Ideen. Wir sind auf tausende Geschichten von Menschen gestoßen, die mit dem Haus zu tun hatten, auch die Geschichten der Erbauerfamilie. Es war eine schwierige Aufgabe, herauszufinden, worauf wir uns konzentrieren wollen. Diese beiden Biografien, von denen Das Haus der Frau L. jetzt handelt, sind einerseits konträr: Emilie Löb hat bis zu ihrer Emigration an dem Unrechtssystem der Nazis gelitten. Während des Holocausts hat sie dann ihre gesamte Familie verloren. Und dann auf der anderen Seite Gabriele Lehmann, die im Justiz-System in der NS-Zeit Karriere gemacht hat, nach dem Krieg direkt weitermachen konnte und während der Nürnberger Prozesse selbst hohe Nazis vereidigt hat. Später ist sie als “Ganoven-Gabi” zur stadtbekannten Persönlichkeit aufgestiegen. Gleichzeitig gibt es aber auch Parallelen. Beide Frauen haben auch unter dem NS-Unrechtssystem gelitten. Gabriele hat später den Mann verteidigt, der auch während den Novemberpogromen Polizeichef von Nürnberg war. Es gibt sehr starke und aber auch assoziative Verbindungen und Gegensätze zwischen den beiden Lebensgeschichten. Es wird in jedem Zimmer zwei QR-Codes geben, das heißt, wir werden anhand von Spuren immer beide Geschichten erzählen.
M: Das ganze reflektiert natürlich auch auf die Gegenwart und darauf, dass wir jetzt hier sind. Dadurch kommt nochmal eine andere Ebene ins Spiel und die verschiedenen Schichten von Gegenwart und Vergangenheit überlagern sich.
N: Wir machen kein Reenactment, wir versuchen auch nicht, das nachzuspielen, die Figuren tauchen nicht als Personen auf. Das Konzept ist: Wir werden von einer Stimme geführt, die sich “die Gegenwart” nennt. Wir holen uns die Geschichten anhand von Dingen, die uns geblieben sind. Dadurch werden die Geschichten nie ganz gegenwärtig, aber es verdeutlicht die Wichtigkeit der Frage: Was bedeutet das für uns?

Und habt ihr eine Antwort darauf gefunden?
N: Wir wollen diese Frage dem Publikum mitgeben. Aber eine Sache, die wir in der Beschäftigung schon herausgefunden haben, ist, dass die Vergangenheit nicht von der Gegenwart zu trennen ist und dass sich daraus die Verantwortung ergibt, die wir heute tragen. Daraus ergibt sich ein politischer oder gesellschaftlicher Auftrag. 
M: Man sollte in dem Zusammenhang unbedingt Nathalie Frank erwähnen, eine Nachfahrin von Simon Löb, der hier umgebracht wurde, die mittlerweile als Comic-Künstlerin in Berlin lebt. Nathalie ist für das Projekt ganz wichtig, weil sie vor dem Haus die Stolpersteine verlegt hat. Sie wird auch Comics zur Inszenierung beitragen. Und sie war eine wichtige Gesprächspartnerin, weil sie von dieser Geschichte direkt betroffen ist und sich professionell damit auseinandergesetzt hat. Wir haben viel darüber gesprochen, dass das Projekt keinen konkreten Handlungsauftrag geben, sondern die Erinnerung wachhalten soll. Und es ist ein Apell zum Miteinander-Reden: Wichtig ist, immer auch den Menschen der vermeintlichen „Gegenseite“ zuzuhören. Gerade jetzt, wenn vieles wieder aktuell wird, das hat uns erschreckt und erschüttert.
N: Die Gespräche darüber, was das für uns heute bedeutet, waren keine einfache Diskussion, wir haben auch hart gestritten. Zum Beispiel über die Frage, aus welcher Perspektive wir die Geschichte erzählen können, was es überhaupt bedeutet, eine jüdische Geschichte zu erzählen und die einer anderen Person gegenüberzustellen, die andere Handlungsmöglichkeiten hatte. Teilweise sind das Fragen, die wir nicht endgültig gelöst haben und die schwierig bleiben werden.
M: Und an manchen Stellen wissen wir auch gar nicht, wie Gabriele Lehmann gesinnungsmäßig zum NS-Regime stand. Und mit diesem Unwissen gehen wir narrativ und performativ transparent um.

War euch von vornherein klar, ihr würdet genug Material für eine Inszenierung finden?
M: Es war klar, dass sich da viel verbirgt.
N: Ich dachte aber auch: Oh Gott, was wenn wir nicht mehr finden als das, was schon da ist? Bei Lehmann gab es Presseartikel, die war schon mehr im kollektiven Wissen verankert. Bei Löbs gab es das nicht. Es hat sich aber ziemlich schnell herausgestellt, dass wir eher viel zu viel als zu wenig Material haben werden.
M: Während dieser Recherchephase kamen immer wieder Nachrichten von Niklas und Felix: Das könnt ihr euch nicht vorstellen! Zum Beispiel, dass wir eine Frau gefunden haben, die Emilie persönlich kannte, weil sie mit ihr auf der Flucht war. Die Frau war fast 100 Jahre alt und konnte mit uns ein Zoom-Interview führen. Felix hat am Anfang gesagt: Wir werden ewig weiter recherchieren können, wir müssen uns ein Zeitlimit setzen. Und jetzt haben wir noch immer eine ewig lange Liste vor uns, wo wir überall weiterbohren könnten.
Niklas und ich werden bei den Aufführungen auf jeden Fall anwesend sein und stehen dann gern für weitere Fragen zur Verfügung. Die QR-Codes bleiben aber auch danach noch im Haus, der Video-Walk kann dann auch unabhängig von unseren Terminen begangen werden.

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Das Haus der Frau L.
Ein Video-Walk durchs Villibald
Premiere: 08.03.2024, 19 Uhr. 

Weitere Aufführungen:
Sonntag, 10. März und 17. März,
jeweils 14:00 / 14:30 / 15:00 / 15:30 / 16:00 Uhr
und Freitag 22. März
17:00 / 17:30 / 18:00 / 18:30 / 19:00 Uhr
 




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#Das Haus der Frau L., #Loci, #Recherche, #Video-Walk, #Villibald

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