Potz! Blitz im MfK! Ein verfickt gutes Interview mit Dr. Essig

22. FEBRUAR 2024 - 12. JANUAR 2025, MUSEUM FüR KOMMUNIKATION

#Ausstellung, #Fluchen, #Interview, #MfK, #Museum für Kommunikation, #Schimpfen

Aufgepasst, ihr Volltrottel, hier kommt ein Interview, das auf einem intellektuellen Niveau ist, dass ihr Einzeller wahrscheinlich einen Übersetzer anstellen müsst, um den Inhalt auch nur halbwegs zu erfassen! Machen wir das richtig so, Herr Dr. Rolf-Bernhard Essig? Der Germanstik, Sprachforscher und Autor hat für das Museum für Kommunikation die Ausstellung Potz! Blitz! kuratiert, Untertitel: Vom Fluch das Pharao bis zur Hate Speech. Ein echter Experte in Sachen Beleidigen, Beschimpfen, Verfluchen an unserer Strippe also. Genau unser Ding. Lest das mit euren verblödeten Schweinsäuglein! 

CURT: Herr Dr. Essig, wann ist Ihnen zuletzt ein richtig schlimmer Fluch rausgerutscht und welcher und warum?
Dr. ESSIG: "Ich ehrvergeßner Lump!" Ich hatte den Termin mit einem australischen Freund zur Videokonferenz verbaselt und ärgerte mich mächtig über mich selbst. Das piratenartig Archaische liegt mir in solchen Momenten der Selbstbeschimpfung. Es klingt spaßig für Außenstehende, aber für mich ist es schlimm.

Was ist der Zweck des Fluchens oder sollen wir es uns lieber abgewöhnen?
Teufel auch, eine hochkomplexe Frage, deren Antwort im Besuch der Ausstellung liegen könnte. Im Ernst: Das Fluchen hat nur so lange in allen Kulturen der Welt überlebt, weil es offensichtlich eine Funktion erfüllt und wertvoll ist. Welche im Einzelnen? Nun, es kann natürlich entlastend wirken für den Fluchenden selbst, Dampf abzulassen. Es kann befriedigen, andere mit derben Worten zu beleidigen. Kraftausdrücke können außerdem Kraft verleihen, was man bei Sportlern, die sich motivierend selbst beschimpfen, sehen kann. Fluchen kann außerordentlich unterhaltsam sein, wobei es nicht nur die Literatur betrifft – "I love a good hater" – oder den Film, sondern auch den Alltag. Kraftausdrücke können schlicht die Intensität des Gesagten steigern: "you're looking fucking gorgeous tonight", "du bist verflucht lustig" … Im Dialekt kann eine Schimpfkanonade zur Begrüßung auch größte Herzlichkeit ausdrücken. Fluchen und Schimpfen kann Existenzen zerstören und Individuen auch, wobei die Hate Speech durch die un-sozialen Medien gewaltige Reichweitensteigerung brachte. Kraftausdrücke können nicht verhindert werden, wie die Ausstellung aus Beispielen durch sieben Jahrhunderte belegt; moderne Neurophysiologen übrigens auch.

Früher wurde man anständig „face to face“ verflucht, heute gibt es anonyme Hate Speech. Wird das (ver-)fluchen immer leichter und gemeiner?
Ja und nein. Einerseits gab und gibt es soziale Bereiche, in denen Fluchen und Schimpfen, eine derbe Sprache, immer schon gang und gäbe war, gerade im direkten Austausch, man denke nur ans Militär, an Studentenverbindungen, Bauarbeiter, Waschweiber … Es gehörte in solchen Kreisen zum guten Ton und tut es teils immer noch, kraftvoll sich ausdrücken zu können. Gleichzeitig potenzieren die un-sozialen Medien die Möglichkeiten und die der Ungestraftheit, der Verbreitung des Gemeinen. Dass es in früheren Zeiten auch schon ungeheuer gemein werden konnte, kann man auch in der Ausstellung lernen.

Wo wird mehr geflucht: Am Sportplatz, im Straßenverkehr oder in den Kommentaren bei politischen Themen?
Dazu gibt es leider keine empirischen Untersuchungen. Überhaupt ist es problematisch, das Fluchverhalten zu untersuchen, weil der Forscher es unbemerkt tun müsste, damit die Fluchenden unverfroren vom Leder ziehen können. Klar ist, dass in den genannten Bereichen, aber auch in vielen weiteren ein loses Mundwerk geradezu die Regel ist.

Wer flucht öfter: Männer oder Frauen?
Auch dazu fehlen wissenschaftlich valide Daten. Eine gewisse Tendenz lässt sich feststellen, dass reine Frauen- und Männergruppe rücksichtsloser in der Sprache zu sein scheinen. Die alte Bezeichnung "Schwertgosch", die bei Hans Sachs beispielsweise zu finden ist, bezog sich jedenfalls auf Frauen, die in puncto öffentlicher Derbheit in der Tat zurückhaltender sind, weil es vielen Klischees Frauen betreffend widerspräche.

Wie haben Sie das Thema erforscht und was hat sie selbst im Zuge dieser Recherche am meisten überrascht?
Die Literatur zum Thema ist in den letzten fünfzig Jahren deutlich qualitätvoller und umfangreicher geworden, darunter exzellente Metastudien wie die von Timothy Jay "Why we curse", dann auch die neurophysiologische Forschung, die beispielsweise das Tourette-Syndrom untersuchte. Genau hier überraschte die recht gut belegte Hypothese, dass an Tourette-Syndrom Erkrankte, soweit sie unkontrolliert Kraftausdrücke hervorbringen, wohl eine Art von motorischem Impuls nachgeben müssen, der nicht die sprachbildungsrelevanten Teile des Hirns betreffen. Damit rückten die sprachlichen Derbheiten in die Nähe von motorischen Ticks, die übrigens bei Tourettlern deutlich häufiger sind als Koprolalie.

Was wäre Ihnen lieber, eine Welt ohne Beleidigungen oder eine tabulose Welt voller Schimpf?
Keine Frage, dass weder das Eine noch das Andere denkbar ist und wünschbar schon gar nicht. Uns fehlte, wie ich oben ausführte, sehr viel, gäbe es keine Kraftausdrücke, deshalb muss man aber nicht immer herumpöbeln. Wie sagt man in China und Japan weise: "Deine Zunge scharf wie ein Dolch, dein Herz weich wie ein Tofu." 
Ach ja, über die internationalen Beschimpfungen lernt man in der Ausstellung auch allerlei.

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Potz! Blitz! – Vom Fluch des Pharao bis zur Hate Speech
22. Februar bis 12. Januar 2025 
im Museum für Kommunikation Nürnberg. 


Die Ausstellung wurde kuratiert von Dr. Rolf-Bernhard Essig, geboren 1963 in Hamburg, Dr. phil. Er lebt als Autor von Sach- und Kinderbüchern, Prosa, Essays, Liedern und Lyrik in Bamberg. 
Gut 30 Bücher und Hörbücher – zum Teil mit seiner Frau Gudrun Schury verfasst – erschienen bei Aufbau, Beck, Hanser, Mare, Duden u.a. Seine Texte präsentiert der Walter-Serner-Sonderpreis-Träger deutschlandweit. Er ist für Radio und Fernsehen tätig, so für ARD, BR, MDR, SWR, WDR, dazu schrieb er als Publizist für die wichtigen Printmedien Deutschlands.
Essig kuratierte neben „Bombenwetter. Luftkrieg und Sprache“ viele weitere Ausstellungen u.a. für das Museum für Kommunikation Nürnberg „Mein Name ist Hase!“ über Redensarten mit mehr als 250.000 Besuchern in zehn Städten.
Essig ist Teil des Sprach-Musik-Duos „Die Streifenhörnchen“, dessen musikalischer Kopf Franz Tröger ist. Einige seiner wichtigsten Bücher: "Da haben wir den Salat! In 80 Sprichwörtern um die Welt", „Perlen, Perlen, Perlen. Eine Liebeserklärung in sieben schimmernden Kapiteln“, „Holy Shit! Alles übers Fluchen und Schimpfen“, „Phönix aus der Asche. Redensarten, die Europa verbinden“.




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