Fachmarie: Ein Laden wie ein Antidepressivum
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An der Fürther Straße, ganz unweit der U-Bahn-Haltstelle Gostenhof, betritt man hinter einer Glastür eine Welt der Farben. Die Fachmarie ist, und das seit 16 Jahren, ein außergewöhnlicher Laden für schöne Dinge, für Schmuck und Seife, Spielzeug und Deko, für kleine Aufmerksamkeiten und große Gesten. Eine Glücksboutique, so nennt Chefin Irene Senger ihr Geschäft. Im Interview erzählt sie, wie das alles kam – und von ihrem neusten kreativen Projekt.
CURT: Die Fachmarie gibt es seit 16 Jahren. Kannst du einmal erklären, wie die Idee für diesen Laden entstanden ist?
IRENE: Wir hatten vorher zehn Jahre lange eine Schneiderei, mit einem ganz kleinen Laden für unsere Kollektionen, die Kleiderei. Schon damals wurden wir immer wieder von anderen Schneider:innen und Künstler:innen gefragt, ob wir ihre Sachen nicht mit aufnehmen könnten. Dafür hatten wir aber nicht genügend Platz. Ich habe mir ein Konzept für einen Laden überlegt, den es so noch nicht gab, und eine Mitstreiterin gesucht. Ich wollte Raum schaffen – für unsere Sachen, aber auch für andere Selbermacher:innen. Als wir damit in die Werbung gegangen sind, gab es sofort einen totalen Run auf die Regalflächen. Die Leute haben diese Möglichkeit, sich hier vermarkten oder den Markt testen zu können, sofort angenommen. Wahrscheinlich auch, weil sie, besser als ich damals, gecheckt haben, was für ein bürokratischer Aufwand es ist, einen eigenen Laden zu führen (lacht).
Wie habt ihr den Laden hier denn gefunden?
Das war ein Zufall. Wir wollten uns hier ums Eck einen anderen Laden anschauen. Auf dem Weg dahin haben wir diesen Laden gesehen. Ich fand den eigentlich sofort viel cooler. Also bin ich zu dem Ladenbesitzer hin und habe gefragt: Entschuldigen Sie bitte, der Laden ist so toll, ziehen Sie demnächst aus? Und er: Psst, kommt mal mit rein. Und da stellte sich heraus: Er war wirklich gerade in Kaufsverhandlungen für ein anderes Projekt, das wusste aber noch niemand. Und wir konnten dann die nächsten Pächter:innen werden.
Und ihr wusstet von Anfang an, ihr kennt genug Leute, um den Laden auch voll zu machen?
Nein, überhaupt nicht und der Laden ist ja auch nicht voll mit Selbstgemachtem. Es war von Anfang an ein Mischkonzept geplant. Deswegen haben wir jetzt eine große Wand mit den DIY-Leuten, plus die Postkarten und alles andere ist von uns selbst produziert oder Handelsware. Klar schauen wir auch da, dass wir neben den größeren Firmen, die wir brauchen, um das ganz aufrecht erhalten zu können, möglichst viele kleine Firmen auswählen, die wir cool finden.
Ist die Auswahl an schönen Sachen von DIY-Leuten mehr geworden mit der Zeit oder weniger?
Es gibt immer mehr. Allein dadurch, dass das Konzept jetzt nichts Neues mehr ist. Heute gibt es ganz viele, die dann teilweise selbst einen Laden aufmachen und leider häufig schnell wieder verschwinden … Ich war ja auch Quereinsteigerin. Ich bin Schneidermeisterin und wusste nicht, wie dekoriert man einen Laden, wo muss ich Preise anbringen, usw. Wir haben uns einfach überlegt, in welchen Laden würden wir selber gerne gehen? Das heißt für mich: Ich will nicht angequatscht werden: "Suchst du was Bestimmtes?" Ich fühle mich da total unwohl. Das heißt, wir sprechen niemanden an, man kann sich aber jederzeit an uns wenden. Und, zweitens: Es muss alles preislich ausgezeichnet sein. Alle Leute sollen sofort sehen können, was wie viel kostet und nicht erst fragen müssen. Wir schauen, dass der Laden überschaubar bleibt und trotzdem total bunt ist. Und dass wir immer wieder neue Sachen reinbekommen. Es soll ein Laden sein, in den man einfach gerne reingeht, das ist das Konzept. Wir haben circa 150 verschiedene Firmen hier. Auch wer wenig Geld hat oder nur wenig kaufen mag, kann hier immer etwas finden und ist uns willkommen. Wir vermitteln den Leuten aber auch, dass niemand, der reinkommt, etwas kaufen muss. Es ist völlig okay, nur zu gucken. Und was wir immer wieder zu hören kriegen ist: Was für ein schöner Laden, jetzt habe ich wieder gute Laune!
Tust du dir schwer mit dem Gewinnmaximierungsgedanken?
Generell bin ich gegen den Turbokapitalismus und komme aus der linken Szene. Gleichzeitig muss die Fachmarie aber Gewinn machen, um zu existieren. Das heiß: Ja. Zuerst mal soll man sich hier wohlfühlen. Ich stehe total auf Vernetzung und für mich gibt es keine Konkurrenz, es gibt nur Mitbewerber:innen. Seit Weihnachten geht unser Trinkgeld ans Gostner Hoftheater. Davor an ein queeres Projekt in Uganda. Wir haben ein POC-Queer-Soli-Schmuckfach, die Produzent:innen zahlen da weder Regalmiete noch Provision. Es ist aber eine Gratwanderung: Wie viel können wir unterstützen und trotzdem noch unseren Kosten decken?
Jetzt war das für alle ein schwieriges Jahr und alles wird teurer und so weiter … Wie geht es der Fachmarie?
Im Einzelhandel ist es eh so: Du hast das Weihnachtsgeschäft, das brummt, da schaffst du Rücklagen. Übers Jahr werden diese dann weniger. Januar, Februar, März machst du nur Minus, weil die Leute da gesättigt sind. Danach neutralisierst du dich und dann kommt wieder Weihnachten. Wenn man das nicht weiß, kriegt man Panik und denkt: Was ist denn jetzt los, können die uns nicht mehr leiden, machen wir was falsch? Am Anfang haben wir uns eh nix ausgezahlt, da musste man erstmal investieren und ich habe noch nebenher gearbeitet, damit ich überhaupt Geld habe. Dann ging es uns ganz gut und dann hat Corona richtig reingehauen. Erst gab es die Lockdowns, dann Zuschüsse, die wir jetzt wieder zurückzahlen müssen, obwohl es anders versprochen war. Und jetzt merken wir es natürlich: Eigentlich musst du die Ware teurer machen, weil du sie teurer einkaufst und dann noch mal, weil du selbst viele Mehrkosten hast: Strom, Heizung, Versicherungen und höhere Löhne, um faire Arbeitsbedingungen zu bieten. Unser Wunsch ist es, die Preise stabil zu halten, aber es ist schon eine Gratwanderung.
Du bist gelernte Schneiderin. Hat dir das gefehlt, als ihr den Laden aufgemacht habt?
Ich habe schon weiter für den Laden genäht, aber ich bin halt mehr ins Experimentelle reingegangen – raus aus der Maßschneiderei und Kollektionserstellung. Ich konnte mehr Dinge ausprobieren, neue Teile, neue Schnittmuster … Die Waschbeutel aus alten Luftmatratzen aus den 60ern zum Beispiel. Oder Gürtel aus Feuerwehrschläuchen, da braucht man dann eine Bohrmaschine um die Löcher zu bohren. Für solche Sachen fehlt mir momentan leider die Zeit und es ist mein Ziel, mir wenigstens einen halben Tag pro Woche dafür einzurichten. Mein großes Problem ist, dass ich zu viele Ideen habe, die nicht in ein einziges Leben reinpassen. Ich will halt auch den Laden optimal machen und die Leute mit neuen Aktionen überraschen. Das macht uns ja auch aus, aber andere Sachen oder die Freizeit bleiben dabei öfters mal auf der Strecke.
Gibt es die eine Sache im Sortiment ohne die es für dich nicht funktionieren würde?
Die Selbermacher:innen finde ich schon sehr wichtig. Gleichzeitig ist es meine Mission, richtig tolle und richtig viele Postkarten anzubieten, da ich finde, dass das ein kleines Kulturgut ist. Wir wollen, dass die Leute sich weiterhin schreiben. Postkarten zu kriegen ist total schön, vor allem, wenn es eine so hübsche Postkarte ist, dass du sie einfach aufhängen musst, weil du sie immer sehen willst. Wir sind kein Laden, den man zum Überleben braucht. Aber wir sind vielleicht ein Laden, den man für Sozialkontakte braucht. Weil so kleine Aufmerksamkeiten machen doch ganz viel mit dem Gefühl für einander.
Nun zu dem Raum hier ums Eck, der deine Schneiderei ist. Was ist da der Plan?
Der Plan ist: Es gibt eine Schneiderei, die komplett eingerichtet ist und wo es möglich ist, sich kreativ auszuleben, zu experimentieren, zu produzieren. Ich finde, Räume sollen gefüllt werden. Stillstand ist das Schlimmste. Wenn dieser Raum zwei Wochen lang nicht genutzt wird, warum gibt es ihn dann überhaupt? Und ich finde, man muss nicht alles selbst besitzen. Für viele kann es erleichternd sein, auf diese Weise einen Zugang zu einer Schneiderei zu bekommen: für relativ wenig Geld und mit relativ wenig Verantwortung. Man kann nebenbei studieren oder in einem Teilzeitjob arbeiten oder gerade in den Startlöchern stehen. So wie die Fachmarie eine Plattform ist, um Sachen zu verkaufen, kann die Schneiderei eine Plattform sein, um das eigene Business aufzubauen. Und ich fände es schön, wenn man dann auch einmal im Monat eine gemeinsame Aktion macht und sich trifft und austauscht.
Was ist drin im Raum, was kann man da nutzen?
Da ist ein großer Arbeitstisch, um z.B. Stoffe zuzuschneiden, ein Schnellnäher, eine Endelmaschine, eine Ledermaschine, mit der man wirklich dicke Sachen nähen kann, eine Bügelanlage mit Absaugautomatik, Schränke. Und es ist Grundmaterial da, also die alltäglichen Sachen wie Bügelbänder, Schnittpapier, Scheren …
Kannst du schon sagen, was die Konditionen wären?
Es kommt drauf an. Man könnte den Raum, würde ich sagen, zu viert nutzen, je nachdem, wann die Leute arbeiten wollen. Dann wären es zwischen 150 und 200 Euro im Monat mit allem.
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Fachmarie – die Glücksboutique
Fürther Straße 50, Nbg.
Irene Senger
ist gelernte Schneidermeisterin und Bekleidungstechnikerin, war Chefin der Kleiderei und führt seit 2007 die Fachmarie in Gostenhof. Lange Zeit hat sie auf dem Bio-Ziegenhof Reimehof gelebt, danach kehrte sie in die Stadt zurück.
Wer sich mit Irene einen Co-Näh-Space teilen will, meldet sich per Mail:
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PS: Die Fachmarie sucht Verstärkung, daher meldet euch!
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