Boozoo Bajou: Was habt ihr 10 Jahre lang getrieben?
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1998 fing alles an. Ohne Boozoo Bajous „Night Over Manaus“ gäbe es wahrscheinlich das Genre Downbeat gar nicht. Kein Kruder & Dorfmeister. Und auch Bonobo wäre ohne die fränkische Inspirationsquelle Boozoo Bajou nicht denkbar. 25 Jahre später veröffentlicht das Duo Album Nummer 3 und mit größter Freude habe ich Peter und Flo ein paar Fragen gestellt.
TOMMY: Knapp zehn Jahre sind seit euren letzten Album vergangen. Was habt ihr denn in der Zeit so getrieben?
FLO: Ich hab´ ab 2013 eine Naturweinbar betrieben. Peter arbeitete unter anderem auch an anderen Projekten. Als die Pandemie losging, habe ich meinen Laden zusperren müssen. Und weil ich auf einmal Zeit hatte, ging‘s wieder los mit Musikmachen.
Das Album trägt den Titel „Finistère“, wie das Departement in der Bretagne. Wie kam es zu dem Titel?
Wir hatten eine ganze Weile überlegt, welchen Titel das Album haben könnte, und natürlich auch, welches Artwork dazu passen würde. Peter hatte dieses Foto vor zwei Jahren in Süd/Westfrankreich – Atlantique gemacht, an dem Strand, wo er seit Jahren immer wieder seinen Urlaub verbrachte. Finistère ist der Name bzw. die Bezeichnung für eine Gegend – nicht direkt dort, nördlich davon in der Bretagne – und bedeutet auf lateinisch „Finis Terrae“ – das Ende der Welt. Das Foto und der Name passten für uns sehr gut zusammen – hat aber keinen philosophisch-abgründigen Hintergrund, sondern eher eine bildhafte Stimmung. Übrigens bedeutet der erste Track auf dem Album „Penn ar Bed“, also der Anfang der Welt. Somit wird das Ganze schön eingerahmt.
Nach dem letzten eher Ambient-orientierten Album auf Apollo Records ist das neue Album sehr “back to the roots“, euren sehr erfolgreichen Roots. War das eine bewusste Entscheidung oder aus dem Bauch heraus?
Grundsätzlich war uns beiden klar, dass es niemals ein zweites „Satta“- Album geben kann. Wir haben für unsere Verhältnisse die letzten Jahre das ein oder andere schon musikalisch ausprobiert. Letztendlich haben wir uns auf das besonnen, was unserer gemeinsamen Chemie am besten entspricht – und siehe da! Aber grundsätzlich hatten wir eigentlich bei allen unseren Alben diverse Ansätze, Ideen, Stimmungen und Konzepte, wobei wir uns meistens in einer eher entspannten Atmosphäre bewegen, was die Bildhaftigkeit und das Tempo betrifft.
Da wir uns schon sehr lange kennen und uns zehn Jahre ein Studio geteilt haben, kenne ich eure Arbeitsweise gut. Erzählt doch unseren Leser:innen vom Boozoo Bajou-Arbeitsprozess für ein neues Album.
Es gibt so was wie eine Essenz unserer Arbeitsweise. Wenn ein Stück circa sechs Stunden im Studio nonstop läuft, ohne dass es uns nervt, sich abnutzt, oder langweilig wird, ist es gut. Meistens fängt es immer mit einem Fragment an, das einen gewissen Reiz für uns haben muss. Sei es eine Atmosphäre, oder wir fühlen uns wohl mit einem Loop. Oder etwas klingt einfach interessant – die Aspekte können vielfältig sein. So geht meistens die Reise los, um ein Stück wachsen zu lassen. Da unsere Arbeitsweise eher langsam ist, bleibt genug Zeit, um zu prüfen, was in diesem Zeitraum damit passiert, ob wir immer noch auf dem richtigen musikalischen Kurs sind. Geht es für uns klar und es passt für uns, sind wir genau auf dem für uns optimalen Weg gelandet.
Ihr seid eines der, wenn nicht das erfolgreichste fränkische Musikprojekt der vergangenen 25 Jahre. Eine Zeit lang konnte man den Fernseher kaum einschalten, ohne eines eurer Stücke in Werbespots großer Weltmarken zu hören. Weiß Franken um euren Stellenwert, oder ist euch das egal?
Kurz und knapp: Es ist uns egal, weil die Musik immer im Mittelpunkt steht. Merkantilistisch war das natürlich eine gute Zeit, und das haben wir mitgenommen.
Von eurem Debütalbum „Satta“ gingen damals 70.000 Einheiten über den Ladentisch – heute eine schier unvorstellbare Menge. Wie geht ihr mit dem Thema Streaming um und der daraus resultierenden Fixierung auf einen Song, sprich, weg von Album als Gesamtkunstwerk? (Anm.: Die neuen, durchweg großartigen Stücke sind schon auffällig kurz geraten)
Wenn man sich die Geschichte der haptischen Tonträger anschaut, ging es in den 1930/40er Jahren technisch bedingt immer um einzelne Stücke oder Songs für die Jukeboxen mit einer begrenzten Spiellänge. 1948 kamen die ersten LPs auf den Markt, die zum vorwiegenden Teil einfach eine Sammlung der zuvor veröffentlichten einzelnen Tracks der Künstler waren. Duke Ellington veröffentlichte 1950 ein Album mit dem Titel „Masterpieces“, wo Stücke auf einmal 7 oder 8 Minuten lang waren – quasi der Vorläufer für Gruppen wie Pink Floyd, wo eine ganze LP-Seite ausgereizt wurde für ein Stück. Es stimmt schon, wir fühlen uns am wohlsten bei circa sechs Minuten für eine Nummer. Aber auch das Thema Interludes reizt uns schon immer, jedoch hat es auch was, Stücke eher kompakt zu halten, was sonst nicht unsere Art ist. Deswegen haben wir uns entschlossen, digital erst die kurzen Versionen herauszubringen. Und dann auf Vinyl und später im Jahr die längeren Versionen auch digital.
Flo, du als sehr geschmackssicherer Musik-Connaisseur – wie fühlt sich neue Musik 2023 für dich an? Welche neuen Bands/Projekte findest du so richtig gut?
Ohne es philosophisch ausufern zu lassen, hier meine Lieblingsalben 2023 bis jetzt: Maya Ongaku – „Approach to Anima“. Jonny Nash – „Point of Entry“. Samuel Rohrer – „Codes of Nature“. Eddie Chacon – „Sundown“. Modern Nature – „No Fixed Point in Space“. Yo La Tengo – „This Stupid World“. Wilco – „Cousin“.
Ich finde eigentlich keine wirklich „neue” Musik mehr. Nach über vier Jahrzehnten intensivem Beschäftigen mit Musik werden die Grenzen fließender und fast alles beginnt beim Verorten mit “ja, das klingt wie xy, halt nur ein bisschen anders” oder “klingt wie xy mit einer Brise zy”. Da muss man natürlich aufpassen, zu schnell über Sachen hinwegzuhören. Letztendlich greift man täglich in den Fluss von Musik und fischt sich was raus, und zu viel wird man nie hören. Mir machte das Stöbern in der Vergangenheit schon immer Spaß. Gerade finde ich die Periode 1998-2005 mit Glitch, Minimal, Frickelelektronik sehr spannend. Danach kommt bestimmt wieder was anderes.
Als interessierter Mensch kommt man an den weltpolitischen Verwerfungen der vergangenen Jahre nicht vorbei. Blendet ihr das in euren Kunst aus oder beeinflusst euch dies alles doch?
Es beeinfluust eigentlich überhaupt nicht. Persönliche Themen und Stimmungen kommen da bei uns eher durch.
Wird es eine DJ- oder gar Livetour zum Album geben oder taucht ihr erst mal wieder für eine Dekade ab?
Tommy, du kennst uns doch, erst mal wieder richtig abtauchen. (lacht)
Das kulturelle Nürnberg kann was, weil ...?
... es zum Glück Leute gibt, die nicht verzweifeln und kulturell was auf die Beine stellen, trotz aller Widrigkeiten.
Boozoo Bajou – neues Album „Finistère“
Label: Pilotton020 Digital / LP
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