Steppenwolf im Staatstheater!

16. DEZEMBER 2023 - 2. FEBRUAR 2024, STAATSTHEATER

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ROTER TEUFEL IM ZITATENREICHTUM. Uraufführung im Nürnberger Opernhaus: Goyo Montero macht Hesses Kult-Roman „Der Steppenwolf“ zum obsessiven Tanz-Experiment.
Kritik von Andreas Radlmaier

Am Ende steht das Volkstribunal und die Entscheidung: ewiges Leben oder kollektives Auslachen für das von Zweifeln und Rausch getriebene Über-, Zwischen- und Unter-Ich. Gelächter erschüttert das Nürnberger Opernhaus, wird angefacht von Tänzerinnen und Tänzern, die das Parkett erobern, und es hört sich nach Zwangstherapie an. Denn locker und leicht kommt diese Sinn- und Seelensuche des Außenseiters Harry Haller, selbsterklärter Steppenwolf und Alter Ego Hermann Hesses, nicht daher.
Eher wie der wuchtig-resolute Gegenentwurf zur jahreszeitlich sonst gerne genommenen weihnachtlichen „Nussknacker“-Kitschelei. Für seine neueste Uraufführung schickt Nürnbergs erfolgsverwöhnter Balletdirektor Goyo Montero Hermann Hesses Kult-Roman „Der Steppenwolf“ ziemlich verwegen in den ewigen Gedankensteinbruch des Menschseins. Da warten auch der symbolsüchtige Kunst-Schamane Joseph Beuys (samt legendärem Galerie-Coyoten) und der „anonyme Zuschauer“ als roter Teufel. Gemeinsam lässt man alles als multimediale Obsessionslawine herunterdonnern. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Peter Maffay als Zeitzeuge wäre auch denkbar gewesen. Schließlich hat auch der konvertierte Rock’n’Roller dem „Steppenwolf“, der „wüst und wild“ seinen Drang „nach Freiheit noch nicht gestillt“, in den 70ern ein plakatives Denkmal gesetzt. Im Abstand von einem halben Jahrhundert wird Hesses Selbstfindungs-Stoff (1927 erstmals veröffentlicht) als Zeitgeist-Phänomen wieder entdeckt und landet nach der Hippie-Generation nun also auf schwankendem Krisenboden diverser Diskussionen. Aktuell finden sich Bühnen-Adaptionen von Berlin bis Basel auf den Spielplänen. Und jetzt in Nürnberg das erste Tanz-Experiment, das im Zitatenreichtum badet und den Bezug zur keineswegs geruchsneutralen Gegenwart voller Genderfluid und diffuser Wende-Merkmale schafft.

„Oh, hier riecht es gut“ lautet der erste Satz des Abends, Querverweis aufs Hesse-Original, umweht von olfaktorischer Bühnenwolke. Da haben Zwitterwesen aus dem Albtraum-Fundus zwischen Goya und Perchten (Kostüme: Salvador Mateu Andujar) bereits das Kommando übernommen im Labyrinth der Persönlichkeitsstörungen, turnen als Aliens über die Rampe in den Zuschauerraum. Wer ist Harry Haller, und wenn ja wie viele? Wenn das Goyo Montero wüsste. Also schaltet er einen roten Teufel ein (das ehemalige Ensemblemitglied Victor Ketelslegers als englisch talkender Unterhalter und Moderations-Mephisto), der aus dem famos sterneblinkenden Leinwand-Kosmos herabgleitet, dazwischen dem Publikum die Frage der Themenrelevanz stellt und gegen Ende den Außenseiter dem fanatisierten Kollektiv übergibt. Die Glocke schlägt, der Teufel geht, die umarmende Zweisamkeit blüht. Unklar bleibt, ob das Ende happig oder happy ist.

Zwischen dem lockenden „magic theatre“ (bekanntlich nur für „Verrückte“) und Spiegelbildern non-binärer Nachtgeschöpfe tun sich wüste Visionen auf. Die Überforderung aus sprazzelndem Video-Geflacker (Alvaro Luna), monströser Sound-Attacke (Hauskomponist Owen Belton) und den Assoziationsbildern der 28-köpfigen Compagnie wird zum Überlebensprinzip in dieser psychedelischen Bewusstseinserweiterung. Alles wird angedeutet, nichts ist gewiss. Selbst die Pause ist – trotz Verbeugung und Vorhang – nur ein Fake. Unvermittelt geht die Arbeit in der Dunkelkammer des Daseins weiter.

Monteros „Steppenwolf“ kondensiert das Treiben der Triebe, den Menschen zwischen Abgrund und Sehnsucht, Konvention und Tabubruch. Rote Rosen werden gegessen, Türen zu Sackgassen, Gummiwände der Isolation zu Spiegelwänden der Selbsterkenntnis. Die Psyche kreiselt in der Peepshow. Der Wolf hebt knurrend seine Lefzen im Angesicht des domestizierten Bildungsspießers. Dann wird auch schon mal die Axt aus dem Beuys-Fundus ans Weltbild angesetzt. Geschlechterrrollen fallen, Positionen rutschen, aber auch die vertraute Ästhetik der artistischen Montero-Tableaus gerät ins Räderwerk der Konzeption. Der Tanz triumphiert nicht im Genre-Mix.

Es könnte Monteros Leistungstest für seine erste Opern-Regie in der kommenden Spielzeit gewesen sein. Das Premierenpublikum fand auch schon die „Steppenwolf“-Variante mehrheitlich überwältigend und applaudierte ausgiebig.

Premierenkritik von Andreas Radlmaier

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 „Der Steppenwolf“ am Staatstheater Nürnberg,
in einer Inszenierung von Goyo Montereo

Weitere Termine:
Mi., 20.12.2023, 20 Uhr
Fr., 22.12.2023, 20 Uhr
Mo., 25.12.2023, 18 Uhr
So., 07.01.2024, 15.30 Uhr
Fr., 12.01.2024, 20 Uhr
So., 14.01.2024, 19 Uhr
Fr., 19.01.2024, 20 Uhr
So., 21.01.2024, 19 Uhr
Di., 23.01.2024, 20 Uhr
Fr., 02.02.2024, 20 Uhr

Staatstheater Nürnberg
 




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Frisch dekoriert mit dem bayerischen Verdienstorden „Pro meritis“ steuert
Goyo Montero (47) mit der Retrospektive „Boîte-en-valise“ (13. bis 17. Juli) und der Internationalen Tanz-Gala (21./22. Juli) im Opernhaus ins (ausverkaufte) Grande finale seiner „Jubiläumssaison“. 15 Jahre ist der Madrilene Ballettchef in Nürnberg. Jubiläum hin oder her – eine Ära Montero ist das bislang sicherlich. Medien sprechen respektvoll vom „Nürnberger Ballettwunder“. Das kann man mindestens noch fünf Jahre bewundern. So lange läuft Monteros Vertrag, also bis zum 20. Jubiläum. Andreas Radlmaier sprach mit Montero über seine „Heimat“, den Ballettsaal, seine Oase Nürnberg und Pläne zwischen Hermann Hesses „Steppenwolf“ und der ersten Opern-Inszenierung.  >>
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