Staatstheater: Ein Sci-Fi-Noir-Abenteuer in der virtuellen Realität
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Für das XRT, Nürnbergs neue, virtuelle Spielstätte, haben sich Nils Corte und Philipp Löhle als zweite Premiere einen Sci-Fi-Noir-Krimi ausgedacht und ihn in eine virtuellen Realität versetzt, die sowohl zurück wie nach vorne schaut und in der einem durchaus mal flau im Magen werden kann.
von Andreas Thamm, zuerst erschienen bei www.nachtkritik.de
19. November 2023. Die zweite Premiere in der frisch ins Nürnberger Staatstheater installierten Spielstätte für digitales Theater, XRT, sehen gerade einmal elf Leute. Das liegt nicht am mangelnden Interesse, sondern an der Exklusivität der Tickets. Die Zuschauenden stehen im Raum verteilt, immer da, wo die VR-Brillen von der Decke baumeln. Die Bedienung des dazugehörigen Controllers war im Zuge der Einführung erklärt worden: Nach vorne drücken heißt nach vorne gehen und mit dem Knopf kann man in der virtuellen Welt nach Dingen greifen … oder mit dem anderen?
Keimfrei in den Wolken
"Symmetrie", inszeniert von XRT-Leiter Nils Corte, geschrieben in Zusammenarbeit mit Hausautor Philipp Löhle, ist ein Science-Fiction-Noir-Krimi in der Zukunft, beziehungsweise eben: in der virtuellen Realität, die sich in diesen Brillen auftut. Das Publikum wurde gewarnt: Manche Menschen reagieren mit Übelkeit auf die VR, motion sickness. Es helfe, nicht zu viel durch die digitalen Welten zu wandern, was zudem die Konzentration auf die Geschichte erleichtere.
Es beginnt in einem Raumschiff: Kommandobrücke, Bildschirme, Edelstahlgrau, Panorama mit einem Planeten. Ein blonder, junger Mann stellt sich vor, Marvin, der Androide, der durch diese Welt führt und ihre wichtigsten Gegebenheiten erklärt: Wir befinden uns in der Zukunft, die Erde ist ein ruinöser, vergifteter Ort. Besser als die Menschen dort haben es die genmanipulierten Supermenschen, die GMs, die in einer keimfreien Stadt in den Wolken leben dürfen.
Als eine Fleisch-Farm, die offenbar die GMs versorgt, in die Luft gesprengt wird, wird Detective Marlow, ein First Gen, mit dem Fall beauftragt. Marlow ist zwar weiblich, aber andererseits mit Schlapphut und Mantel animiert, also ein hübsches Beispiel für den spielerischen Umgang des Teams mit den Klischees der Genres, der ganz wichtig ist für "Symmetrie". Mancher Roboter schaut ein bisschen nach Star Wars aus, den ersten Hinweis findet der Detektiv natürlich in Form einer Streichholzschachtel, der Gangsterboss heißt Jimmy Machine. Das ist alles mit unaufdringlicher Ironie geschrieben – und von Nils Gallist in 3D-Gaming-Ästhetik übersetzt.
Wie man sich in der virtuellen Welt verläuft
Der Attentäter jedenfalls ist tot, Selbstmord mit Pürierstab und Gabel ins Auge. Vielleicht steckt Jimmy Machine dahinter. Um an den heranzukommen, muss man ihm erstmal seinen Lieblingscocktail mixen. Das Publikum ist aufgefordert, die Kopfhörer herunterzuklappen, das heißt, jetzt kommt der interaktive Teil, der Gaming-Part im Gaming-Theater. Die Welt in den Brillen öffnet sich und elf kleine Roboter taumeln durch die neonblinkenden Häuserschluchten dieses Zukunfts-Manhattans, um irgendwelche obskuren Bestandteile des Cocktails einzusammeln.
Das ist schon ziemlich spannend, im ersten Moment zumindest. Die ohnehin schon sehr andere Theatererfahrung wird noch einmal potenziert. Das Zuschauer*innen-Kollektiv ist gefragt, an der Handlung teilzunehmen und sich innerhalb gewisser Grenzen frei durch diese liebevoll gestaltete Welt zu bewegen, animierten Hotelmitarbeiter*innen und Organhändler*innen zu lauschen und sich ein bisschen zu verlaufen. Dem Rezensenten, der genau nichts von den gewünschten Zutaten beisteuern kann, wird jetzt tatsächlich ein bisschen flau im Magen.
Die Funktion der Zuschauer*innen ist am Ende natürlich marginal. Es geht, wie bereits in Mythos P.A.N. und wie wahrscheinlich noch häufig in diesen Anfangstagen des XRT, vor allem darum, die Möglichkeiten zu demonstrieren, das technische Besteck anzuwenden. Superspannend ist das, ja, aber der große Wurf am XRT steht noch aus. Open World in der VR-Brille wie an diesem Abend ist eine Spielart absoluter Involvierung in das Geschehen – und hier wird es bei nächster Gelegenheit möglicherweise noch weiter in die Tiefe gehen.
Hinter den VR-Kulissen
Aber zurück zu unserem Krimi. Dessen Handlung wurde bewusst einfach gehalten. Dennoch ist es schwer, ihr zu folgen, weil man sich ja auch orientieren will, in der Retro-Spielhölle, in der Bar, im Büro von Jimmy Machine… Am Ende ist das, was Nils Corte und Co. hier auffahren, natürlich Theater: Man folgt live der Handlung, die auch eine moralische Frage in den Raum stellt, danach, wo Menschsein eigentlich beginnt. Davon abgesehen unterscheidet sich das Erlebnis in nahezu jeder Hinsicht von dem, was man aus dem Theater gewohnt ist. Es ist eine andere Überforderung, ein anderes Körpergefühl, eine andere visuelle Welt.
Es sei denn, man nimmt die Brille ab, was einen ganz eigenen Reiz hat. Nun verfolgt man nicht nur das Geschehen rund um Marlow und Marvin auf dem Bildschirm, sondern, klein daneben, auch seine Herstellung: Die Schauspieler*innen hinterm schwarzen Vorhang werden gefilmt. Sie alle tragen türkisfarbene Trainingsanzüge und, logisch, VR-Brillen und es ist ein eigenes Spiel im Spiel, zu identifizieren und zu entziffern, welche Bewegungen der Menschen sich in welchen Avataren abbilden.
Womit man, auf eine Weise, auch wieder am Kern der Handlung angekommen wäre: Die neuen Supermenschen wollen sich alleine absetzen, ohne die eigentlichen echt echten Menschen, die in den giftigen Ruinen zurückbleiben sollen. Der Anschlag war wohl nur ein Ablenkungsmanöver und der gutmütig naiv plappernde Android Marvin, der sich gegen seine Pro-GM-Programmierung wehren muss, bemerkt, auf einmal ganz spitz: "Sogar die Rettung der Menschheit überlasst ihr einer KI."
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Symmetrie
von Nils Corte, Co-Autor: Philipp Löhle
im Staatstheater Nürnberg
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