Interview zum Künstlerhaus Re-Opening

SONNTAG, 1. OKTOBER 2023, KüNSTLERHAUS IM KUKUQ

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Die Sektkorken knallen peu a peu, mal hier, mal da einer, aber es ist wahr: Das Künstlerhaus befindet sich nach drei Jahren Sanierungsarbeiten in seiner Wiedereröffnungssaison. Nürnberg bekommt sein Kulturzentrum im Zentrum wieder. Mit dem prächtigen Festsaal, mit der Clubzone im Keller, mit Gastro und Biergarten und den Werkstätten.
Fast hatte man vergessen, was für eine tolle, wertvolle Immobilie das ist. curt hat sich umgesehen und sprach mit Künstlerhaus-Leiterin Anna Schwarm über die Vorfreude, die Veranstaltungen und die architektonischen Meisterleistungen.

CURT: Wir haben auf unserem Rundgang gesehen, die Aufkleber, die Graffitis, vieles vom alten Künstlerhaus ist nicht wegsaniert worden. Warum war euch das wichtig?
ANNA SCHWARM: Ich würde total gerne behaupten, dass mir das wichtig war, aber ich habe vor drei Jahren hier angefangen und die Planungen für die Bauarbeiten haben ungefähr 2008 begonnen. Das heißt, es gab eine Architektenausschreibung und die Entscheidung, dass bestimmte Sachen bleiben, war von Anfang Teil des Konzepts von Florian Nagler. Das besagt: Wir überdecken nicht die Vergangenheit, sondern wir bauen weiter. Und das macht natürlich Sinn. Vor 50 Jahren hatten wir hier den Komm-Problelauf. Die Soziokultur wurde von Hermann Glaser, Michael Popp und den anderen hier erfunden. Deswegen wäre es komisch, wenn man etwas, wofür jemand ein Bundesverdienstkreuz bekommen hat, wegmachen würde. Genauso sieht man noch Zeugnisse aus der Zeit vor dem Krieg, als es schon mal Künstlerhaus war, aus der Nazizeit und aus der Zeit der Besatzung, als der Festsaal als Offizierscasino genutzt wurde. Es bleibt ein Haus, das eine Geschichte zu erzählen hat.   

Was ist dafür tatsächlich neu?
Zuerst mal die Eingangssituation. So war das Haus eigentlich mal gedacht, dass es von der Mitte begangen wird und sich die Leute dann verteilen. Dann der Turm zum Quartier Garten hin, in dem jetzt ein neuer Aufzug und zusätzliche Toilettenanlagen sind, unterm Dach sind Lagerflächen und der Aufzug beliefert zum Beispiel auch den Festsaal. Wo früher das Zentralcafé war, im Erdgeschoss, ist jetzt die Gastronomie. Neu ist auch die Brücke, die über den Werkhof in den Garten führt. Da hat man jetzt einen komplett barrierefreien Weg. Der Werkhof selber ist sehr schön geworden mit einer durchlässigen Fensterfassade mit Blick auf die Steinmetzwerkstatt.

Was ist die eine Sache, über die du dich am meisten freust?
Ich habe hier in der Hochphase der Pandemie angefangen. Da konnten wir als einzigen kulturellen Akt noch Bilder in die Glasfront hängen. Wir haben uns das kulturelle Leben sukzessive zurückerobert. Wenn der Vollbetrieb dann da ist, glaube ich, stehe ich vielleicht auf dem Balkon im Festsaal und mir läuft ein Tränchen runter. Weil hier dann wieder eine Band spielen und Leben sein kann. Jetzt haben wir wieder alle Möglichkeiten für Großveranstaltungen, und für Veranstaltungen, wo man experimentieren und spielen kann. Wir haben drei Jahre lang bewiesen, dass wir auch auf kleinstem Raum ganz viel kulturelles Leben in die Stadtmitte holen können. Aber jetzt können wir wieder auf großem Fuß leben und darauf freue ich mich.

Wenn wir uns mal das Herzstück, den Festsaal, anschauen, was ist da die größte Veränderung?
Der Festsaal hat jetzt eine Belüftung, er ist Brandschutz-rechtlich und technisch komplett erneuert. Die Decke ist nicht mehr so weit abgehängt, sondern deutlich höher. Wir haben eine Koffertribüne drin mit einem festen Stellplatz fürs FOH, du kannst die Treppe aber bis Mitte des Raumes ausziehen, da kannst du während der Konzerte stehen. Du kannst den Raum aber auch für Theater und Kino bestuhlen. Er hatte vorher eine fest eingebaute Bühne, jetzt haben wir Scherenpodeste, die können 20 bis 80 cm hoch sein und sie können einzeln herausgeholt werden, um eine kleine Bühne zu machen oder ein DJ-Pult. Ich kann sie aber auch komplett in den Boden versenken, dann steht der DJ am Technikpult und ich habe einen Partyraum. Wir kriegen ein Vorhangsystem, wie sich das gehört, dann kann man alle Arten von Theater hier machen. Und wir haben hier unter der Decke eine riesengroße Leinwand, die man runterfahren kann. Das heißt, wir haben hier auch wirklich einen Kinosaal mit einem hochprofessionellen Beamer und Dolby Surround. Allein diese Spielereien machen den Raum zu einem absoluten Multifunktionsraum im Herzen der Innenstadt für jede Art von Veranstaltung, die du dir vorstellen kannst, von Sektempfang über Buchmesse bis Punkrock- oder Jazzkonzert und Theaterstück. Bestuhlt für bis zu 290 Leute, stehend mit Überlauf in den kleinen Festsaal 600.  

Kannst du schon was sagen, was da stattfinden wird in der Spielzeit?
Die ersten, die hier Konzerte machen werden, sind 30 Jahre BLUES WILL EAT am 29. Oktober. Auch die LINKE LITERATURMESSE wird wieder hier sein, das StadtNsemble eröffnet hier sein Ministerium für Einsamkeit, unsere Chöre wollen einen Haus-Rundgang machen, der die Geschichte des Hauses aufrollt und der Musikverein, Café Kaya und die Kulturkellerei bespielen ihre  Räume in der neuen Clubzone im zweiten UG. Die STARDUST-Ausstellung von Kunsthaus und Kunsthalle bekommt im Künstlerhaus ein umfassendes Rahmenprogramm und wir setzen am 19. Oktober endlich unsere Vortragsreihe KEEP THE CHANGE fort. Gerade ändert sich aber auch immer noch viel und es ist keine Überraschung, dass es bei einer so großen Baustelle am Anfang Schwierigkeiten gibt. Wir wussten, wir müssen Stück für Stück in Betrieb gehen, um immer wieder nachjustieren zu können. Die Eröffnungssaison ist noch lang kein Vollbetrieb, sondern ein Wiederaufnahmebetrieb.

Werden alle Gruppen, die vorher hier veranstaltet haben, zurückkommen ins Künstlerhaus?
Es gibt einen Stadtratsbeschluss, der besagt: Alles, was im Haus drin war, kommt wieder rein. Das gelingt uns auch – bis auf die Holzwerkstatt. Die bleibt im neuen Werkhaus in der  Peuntgasse, weil da, wo die hinkommen sollte, lief eine Fernwärmeleitung und dann konnte man da keinen zusätzlichen Raum ausheben. Die ist aber drüben bereits eingerichtet und geht dann parallel mit den anderen Werkstätten an den Start. Heißt auch, dass das Werkhaus in der Peuntgasse mit einem Archiv für die Kunstvilla und neuen Künstlerateliers ein Teil des KunstKulturQuartiers bleibt. Alle anderen Werkstätten und Gruppen kommen zurück, wenn auch nicht alle an genau den Ort, an dem sie waren.

Was ist das Besondere an diesem Ort?
Wir haben das Motto Kultur im Zentrum. Das steht zum einen dafür, dass wir Kultur ins Herz der Altstadt zurückholen. Wir haben einen zentralen Spielort, der ist gut und niedrigschwellig erreichbar, du brauchst kein Auto, du kannst einfach hierherkommen und mitmachen. Auf der anderen Seite heißt Kultur im Zentrum für uns als Team, dass wir uns mit Kultur an sich auseinandersetzen wollen. Hier wurde die Soziokultur erfunden und wir wissen nicht, was der nächste Schritt sein wird. Wir müssen die Dinge neu denken. Wir müssen uns, auch als städtisches Haus, fragen, wie können wir wirtschaftlich arbeiten und trotzdem unserem Auftrag gerecht werden, ein Ort für die freie Szene zu sein. Wir werden uns die Frage stellen, wie eine Stadt aus kultureller Perspektive gebaut sein muss, wie Orte sein müssen, damit sich junge Leute dort treffen. Oder ob es uns dafür überhaupt noch braucht. Wir wollen uns dem Thema widmen, wie die Medienlandschaft sich verändert. Man sieht ja zum Beispiel, was gerade beim Bayerischen Rundfunk passiert, der plant im großen Stil Kulturformate abzuschaffen. In Nürnberg hatten wir mal eine Abendzeitung und NN und NZ mit unabhängig voneinander arbeitenden Redaktionen. Heute ist die Kulturredaktion quasi nicht mehr existent. Stattdessen gibt es ein klares Bekenntnis dazu, dass es halt "klicken" muss. Auch darüber werden wir bei Keep the Change sprechen: Wie man Kultur vermittelt, wie Kultur sichtbar wird. Und wenn die Medien es nicht tun, was bedeutet das dann für die Demokratie? All diese Fragen müssen wir stellen und vielleicht entwickelt sich daraus dann nochmal eine neue Kulturform.

Ihr seid ein städtisches Haus. Inwiefern sind die freien Gruppen bei euch trotzdem wirtschaftlichen Zwängen unterworfen?
Wir sind städtisch finanziert und ich habe ein bestimmtes Budget für Künstlerhonorare und ein bestimmtes Budget für die Gruppen und Werkstätten. Damit muss ich breitflächig möglichst vielen gerecht werden. Meine Programmarbeit besteht im Wesentlichen nicht darin, selber Programm zu machen, sondern zu koordinieren, dass diese Gruppen und darüber hinaus die Stadtgesellschaft Programm machen kann. Die Gruppen arbeiten völlig autark von uns und wir reden denen nicht in ihre Programmplanung rein. Der Musikverein teilt sich seinen Raum mit dem Café Kaya, d.h., sie müssen sich verständigen, wer den Raum wann nutzt. Von uns bekommen sie einen halbjährlichen Zuschuss, und das Recht bei Fremd- und Eigenveranstaltungen im Festsaal auszuschenken. Dafür bekommen wir wiederum eine Umsatzpacht. So ähnlich ist es auch bei der Kulturkellerei. Der Musikverein bewirtschaftet außerdem auch das Filmhaus-Café und übernimmt das Ticketing fürs Kino.

Dieser Raum von Musikverein und Café Kaya: Das ist der ganz neue Raum?
Genau, der neu gebaute Raum im Keller. Der Musikverein nennt ihn jetzt Soft Spot. Das Zentralcafé hatte ja seinen Namen daher, dass es im Zentrum des Hauses lag. Das Café Kaya behält den Namen Zentralcafé, weil das Teil des Namens des Vereins ist: Zentralcafé Kaya e.V. Auch daran merkt man, wir lassen allen Leuten ihre Prozesse. Soft Spot/Zentralcafé ist basisdemokratisch so entschieden worden und jetzt hat es halt für den Musikverein einen neuen Namen und fürs Café Kaya keinen neuen Namen und für uns einen Doppelnamen. Gibt’s bei jeder guten Ehe.

Okay, und dieser "Soft Spot/Zentralcafé"-Raum, was kann der?
Das ist ein guter Clubraum für bis zu 199 Personen, also ein bisschen größer im Fassungsvermögen als vorher und mehr als in der Kantine. Wir haben drei Entfluchtungen, durch die Kulturkellerei, durch das Treppenhaus 3 und einmal in den Werkhof. Es gibt eine feste Bühne für Konzerte, es wird aber sicher auch weiterhin Lesungen und Podiumsdiskussionen geben. Es kommt eine Diskokugel rein, es kommt Technik rein. Der Raum hat eine Bar mit eigenem Kühlraum, zwei Backstageräume für die beiden Gruppen und direkt auf der Ebene einen eigenen Toilettenzugang. Es ist eine komplett abgeschlossene Veranstaltungs-Area. Genauso bei der Kulturkellerei. Da ist nur der Blick auf die Bühne ein bisschen kleiner und der Barbereich ein bisschen verwinkelt mit Säulen. Dort gibt es aber auch weniger Konzerte, sondern mehr Veranstaltungen mit Bestuhlung wie das beliebte Blätterrauschen und Party. Zusammen ist das die Club Zone mit zwei eigenständigen Clubs. Der Soft Spot-Raum ist tatsächlich ganz neu, das Fundament angehoben und mit Beton unterspritzt … Das war ein logistisch großer Aufwand und ein, würde ich sagen, architektonisches Meisterwerk.

Und was ist, wenn ich dich als Anna Schwarm frage, wie glücklich du mit dem Ergebnis bist?
Wenn es dann endlich vollständig anläuft, würde ich sagen: sehr glücklich! Das Haus ist in vielerlei Hinsicht echt verbessert worden und bietet nun wahnsinnig viele neue Möglichkeiten. Aber: Die dürfen und müssen wir uns jetzt erstmal erobern und dann zu voller Blüte bringen.

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Künstlerhaus im KunstKulturquartier

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Anna Schwarm leitet seit drei Jahren das Team Künstlerhaus. Die gebürtige Nürnbergerin, studierte Germanistik, Medienwissenschaften und Soziologie in Erlangen. Anschließend war sie Tourmanagerin für Rockbands (JBO, Eisbrecher, A Life Divided) sowie feste und freie Redakteurin für verschiedene fränkische Medien. Für die Hersbrucker Zeitung verantwortete sie eine Zeitlang das Ressort Kultur, für den ars vivendi Verlag in Cadolzburg die Pressestelle. Seit mehr als zehn Jahren ist sie für die Stadt Nürnberg in unterschiedlicher Funktion als Kultur-managerin im Einsatz.
www.annaschwarm.com




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