Theo hinten raus: Glücksdroge Nichtwissen
#Theo Fuchs, #Theo hinten raus
Es gibt Wissen, das will man ebenso wenig besitzen wie eine Blasenentzündung, einen Hänger voll morscher Eternitplatten oder eine marode Duschkabine in der Hausbibliothek. Natürlich hängt es von jeder*m selbst ab, ob neues Wissen Beunruhigung, Angst und Ekel auslöst. Dass unser Sonnensystem in ein paar Milliarden Jahren explodieren wird, ist sicherlich ein interessantes Wissen, dürfte aber die wenigsten Menschen um den Schlaf bringen. Wenn man allerdings erfährt, dass der Boden über den man schreitet, unterhöhlt ist, weil das Grundstück zu einer ehemaligen militärischen Anlage gehörte und unerforschte Bunker den Untergrund durchziehen, in denen vielleicht noch vergessene Atombomben lagern, wer weiß... dann rechtfertigt das schon gewisse Nachfragen hinsichtlich der persönlichen Unbeschadetheitsperspektive.
Andererseits ist es der überwiegenden Mehrheit der Stadtbewohner*innen egal, dass unter und/oder über ihnen emsig in anderen Mikrokosmen gewerkelt und gewest wird, in die wir in den seltensten Fällen Einblick haben. Stichwort: Mehrfamilien-, Reihen- bis Hochhaus. Bisweilen hören wir, dass oberhalb ein Hauselefant seine morgendliche Gymnastik verrichtet oder dass unterhalb der Lasagne-Schwarzwurzel-Auflauf mit dem Bohrhammer zerteilt wird. Stellt man sich vor, Böden und Decken wären anstelle von Holz und Beton aus Glas gefertigt, sähe die Sache ganz anders aus. Wer so schwindelfrei ist, dass er oder sie dann dann noch eine Loft-Wohnung im vierten Stock beziehen würde, lasse den ersten Stein fallen! Beziehungsweise verlege seinen Wohnsitz niemals direkt aufs Land in einen eingeschossigen Bungalow ohne Keller am Waldrand.
Den zeitgenössischen Menschen, der in kapitalistischen Zusammenhängen gerne als »Verbraucher« tituliert wird, erwarten beim Konsum noch ganz andere substantielle Bedrohungen durch Hintergrundwissen. Im Suppenlokal an der Ecke höre ich ein schreckliches Gerücht: Birkenstock eine Nazi-Firma? Ich LIEBE diese Schuhe, bin quasi in einem Birkenstock auf die Welt gekommen, habe schwere Ängste bis kurz vor die Panikschwelle durchstanden, als 2017 die große Birkenstock-Krise ausbrach und sechs Wochen lang keine neuen Schlappen geliefert werden konnten. Verdammt – jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich nach dem Nachhausekommen in meine geliebten Treter schlüpfe. Kann ich – darf ich dieses Wissen von der zweifelhaften Herkunft einfach verdrängen? Oder werde ich blutenden Herzens von den Öko-Latschen Abschied nehmen müssen, so wie damals von After Eight, als diese unfassbar köstlichen Pfefferminz-Plättchen vom Konzern des Satans aufgekauft wurden? Der Entzug damals war knochenhart gewesen und bitter wie 100%ige Schwarze Schokolade. Zumal meine hilflosen Ansätze, die Plätzchen am heimischen Herd nachzubauen in einer klebrigen Masse aus Schokoladensplittern und Minzcrème buchstäblich stecken blieben. Ich weiß nicht, ob ich die Kraft habe, nochmal ein solches Drama durchzustehen.
Der Belästigungen im Leben sind zahlreiche. Der »Standard-Mann«, also ein männlicher Mensch mit 70 Kilogramm Körpergewicht und absolut durchschnittlichen Lebensgewohnheiten, besteht aus 30.000.000.000.000 (30 Billionen) Zellen. In »ihm« leben laut SPIEGEL [1] 39 Billionen Bakterien. Das bedeutet: auf zellulärer Ebene ist »er« in seinem eigenen Körper in der Minderheit. Ob »einem« das den Schlaf rauben sollte, will ich nicht beurteilen – ich selber wollte, ich hätte nie davon gehört. Was ich stattdessen viel lieber hören würde, sind Nachrichten wie: »Megamächtiges tausendtentakeliges Super-Gestalt-Wesen regiert jetzt das Universum.« Das wäre konstruktiv, damit könnte ich arbeiten, kommt leider halt viel zu selten vor.
Nicht nur ich will gewisse Dinge besser erst gar nicht wissen, wahrscheinlich geht es auch anderen Lebensformen so. Ob die Dinosaurier gesteigertes Interesse hatten, sich über Kometen und Massenaussterben zu informieren, bezweifle ich. Nun sind sich Mensch und Dino vermutlich nie in live begegnet, trotzdem plagt mich die Vorstellung, dass die allerersten Homo sapiense bestimmt in den Eiern der Saurier Behausungen eingerichtet hätten. Ohne dass die wechselwarmen Riesenechsen es bemerkt hatten, siedelten Menschen ebenso unbemerkt wie komfortabel in den Kuppeln aus Kalkschale, nachdem sie die Vorbewohner (süße gelbe Küken mit Knopfaugen) einfach aufgefressen hatten. Will aber bis heute keiner wissen.
Das dürfte in Etwa ein vergleichbares Verhältnis wie zwischen uns und den Milben, die in den Hautporen leben, gewesen sein [2]. Bis vor Kurzem ahnte niemand davon, wie viele Leute von wie noch viel mehr Spinnentierchen – denn zu den sogenannten Kieferklauenträgern [3] zählen Milben ebenso wie Zecken und Skorpione – bewohnt werden. In den winzigen Löchern unserer Haut, aus denen die Haare wachsen. Quasi Vollpension und warm. Mitten in meinem Gesicht. Eine ganze Armee Kieferklauenträger. Es wäre besser man wüsste das nicht. Oder besser: ich wünschte, ich wüsste es nicht. Es hat gedauert, bis ich mich an diese neue Zumutung des Lebens als Mensch gewöhnt habe.
Trostreich immerhin, dass auch die Milbischen noch nicht alles wissen. Insbesondere, dass es niemals ein Kinderbuch geben wird, in dem eine Milbe der Held ist. »Zoë die kleine Zeckin« wird nie auf einem Buchcover zu lesen sein*. Das ist nicht, was man dem Nachwuchs zur Lektüre anempfehlen würde, nicht einmal wenn man ein Hund wäre.
Ich behalte mir ausdrücklich vor, diese Erkenntnis jederzeit einzusetzen – insofern ich von den Viechern herausgefordert / beleidigt / bedroht / ignoriert werde. Dann wollen wir doch mal sehen, wie die miserablen Biester damit klar kommen!
Denn schneller als man denkt, ist der glückselige Zustand des Nichtwissens vorbei und perdu. Ich hoffe, diese Frage nun zweifelsfrei geklärt zu haben. Ganz viel Sorry dafür!
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* Ein Gedanke, den ich von Ephraim Kishon geklaut habe. Schade, dass mir das jetzt wieder einfallen ist.
[1] www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/bakterien-oder-koerperzellen-wer-stellt-im-koerper-die-mehrheit-a-1074670.html
[2] www.scinexx.de/news/biowissen/geheimes-leben-unserer-hautmilben-entschluesselt/
[3] de.wikipedia.org/wiki/Kieferklauenträger
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Theobald O. J. Fuchs
Und was treibt unser Theo sonst so?
Demnächst eine zünftige Sonntagswanderung, Vorträge zum Stadtkanal halten. Würzburg, Fehmarn, dann Maibowle und zum guten Schluss noch Abitreffen in Hersbruck. Puh!
Und natürlich stark am Glas am 06.06. bei CURT KOMMT im Glore Store!
#Theo Fuchs, #Theo hinten raus