Staatstheater in 23/24: Die Wallenstein-losen Jahre sind vorbei
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Was ist neu, was wird anders, worauf kann sich das Nürnberger Publikum freuen? Bayerns größtes Mehrspartenhaus, das Nürnberger Staatstheater, hat zur Spielzeitvorstellung geladen. Ein immer recht spannender Termin, weil man ja wirklich wissen will, was da gemacht wird und warum. Und natürlich weil das Staatstheater momentan einen nicht unwichtigen Personalwechsel auf dem Dirigent*innenposten vollzieht. „Das Staatstheater läuft wieder mit voller Puste“, so Intendant Jens-Daniel Herzog. 30 Premieren stehen an – und über 700 Veranstaltungen insgesamt.
Philharmonie
Roland Böer heißt ab 23/24 der neue Chefdirigent anstelle von Joanna Mallwitz. Er habe in der Vorbereitung die Programme der letzten 15 Jahre durchforstet, auf der Suche nach den großen Symphonien, die in Nürnberg nicht gespielt worden sind. Und er habe das Gespräch mit „seinen“ Musiker*innen gesucht, um deren Präferenzen und Wünsche zu erfahren. Das Orchester wünsche sich demnach mehr groß besetzte Stücke. Die finden sich im ersten Böer-Programm, genauso wie viele Querverbindungen zum Opernprogramm und auch so etwas wie politische Themensetzungen: Das Eröffnungskonzert am 13. Oktober verbindet die 8. Sinfonie von Anton Bruckner, gewidmet dem Deutschen Michel, mit den Symphonischen Hymnen von Karl Amadeus Hartmann, einem Komponisten, der sich zur NS-Zeit in innerer Emigration befand, Aufführungen verweigerte und nur für die Schublade komponierte.
Auch spannend: Im April kommenden Jahres spielt die Staatsphilharmonie Gustav Mahlers Auferstehungssymphonie. Und bewegt im Zuge dessen vier Nürnberger Chöre zu einer „solidarischen Kraftanstrengung“. Hans-Sachs-Chor, Konzertchor LGV, Philharmonischer Chor Nürnberg und der Opernchor des Staatstheater singen gemeinsam. Im Juli ist dann ein Klavier-Weltstar zu Gast. Jae Hong Park gewann 2021 unter anderem den Busoni-Klavierwettbewerb, bei dem die Jury in mehr als der Hälfte der Fälle gar keinen 1. Platz vergibt. Neu ist außerdem die Konzertreihe Dreiklang. Pro Spielzeit möchte die Staatsphilharmonie drei neue Konzertorte erschließen. 2024 werden sind das, noch relativ wenig Wagnis-mäßig: die Gustav-Adolf-Gedächtniskirche (02.03.), das Zukunftsmuseum (04.05.) und das Germanische Nationalmuseum (26.07.).
Theater
Das Schauspiel von Jan Philipp Gloger steht vor der ersten Spielzeit ihrer neuen Spielstätte, die deutschlandweit einzigartig ist und allein deshalb schon unter besonderer Beobachtung stehen wird: Das XRT, Extended Reality Theater, ist, in der umgebauten Dritten Etage, eine Spielstätte für alle Formen des Digitalen Theaters. Die beiden Experten des Genres Roman Senkl und Nils Corte wechseln dafür fest ans Haus. Sie bekommen in Nürnberg einen Ort mit fixer Hardware, mit Laser, Trackingsystemen und VR-Brillen, um digitales Theater als Veranstaltung zum vor-Ort-Erleben erforschen und inszenieren zu können. Vier Premieren stehen im XRT an, los geht’s am 18.11. mit Symmetrie von Nils Corte und Philipp Löhle, einem Sci-Fi-Krimi, den das mit VR-Brillen ausgestattete Publikum gemeinsam mit den Schauspieler*innen lösen kann. Extrem spannend, was da passiert, hier gehts zum Interview von Andreas Thamm mit Gloger/Senkl.
Es wird natürlich auch „normal“ und zumindest mit weniger Technikaufwand Theater gespielt werden. Zur Eröffnung in den Kammerspielen am 03.10. inszeniert Julia Hölscher, zuletzt Hausregisseurin an den Münchner Kammerspielen, einen noch ziemlich frischen Beststeller Roman: Jahre mit Martha von Martin Kordic, eine Uraufführung. Und im großen Haus beginnt die Spielzeit am 06.10. mit Übergewicht, Unwichtig: Unform vom sprachgewaltig skandalträchtigen Östereicher Werner Schwab, inszeniert vom „größten Fang dieser Spielzeit“, so Gloger, der Regisseurin Rieke Süßkow, deren Handke-Inszenierung jüngst zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde.
Im Gegenwartstheater sei man mittlerweile – die Eröffnung der Spielzeit belegt das ja geradezu – skeptisch, was die großen Titel angeht. „Ich habe aber eine große Liebe insbesondere zur deutschen Klassik“, so Gloger, der am 26.01. Schillers Wallenstein zurück nach Nürnberg holen wird. Nach 65 Wallenstein-losen Jahren verspricht er ein „Sprach- und Denkereignis“, bei dem der Feldherr ordentlich bröckeln soll. Im März und April folgen dann gleich zwei weitere Klassiker, vermeintlich zumindest. Kieran Joel inszeniert den Parzival auf Basis von Wolram von Eschenbachs Urfassung (aber nicht auf Mittelhochdeutsch, puh) und Joanna Praml macht Romeo und Julia, aber trotzdem eine Uraufführung „nach Shakespeare“. Auf der Bühne wird das Ensemble gemeinsam mit Jugendlichen einen Austausch über Liebe und Hingabe führen.
Und noch ein großer Fang ist Gloger und Team für die kommende Spielzeit gelungen: Der Regisseur David Bösch arbeite längst nur noch an den allerersten Häusern, obwohl er, eigentlich unzeitgeistig, fein psychologisches, emotionales darstellendes Spiel anbietet. In Nürnberg wird er im Mai die Modernisierung des Maria-Mythos von Simon Stephens inszenieren.
Ballett
Ballettchef Goyo Montero befindet sich nicht nur in seiner 15. Spielzeit in Nürnberg, sondern auch in seiner erfolgreichsten, wie er selbst sagt. Das Staatsballett habe eine „überwältigende Rückkehr des Publikums“ erlebt. In 23/24 wolle er einerseits für jeden Tanzgeschmack etwas anbieten, andererseits weiterhin Neuland erkunden. Und Montero geht mit Blick aufs Programm sogar noch einen Schritt weiter: Die Choreografie zu Hesses Steppenwolf, mit der das Ballett seine Spielzeit am 16.12. eröffnet sei ein „Gamechanger“. „Ich versuche als Choreograf von Null anzufangen.“ Von Owen Belton kommt dafür eine Neukomposition für die Staatsphilharmonie.
Und auch die zweite Premiere am 04.05. ist für Montero persönlich bedeutsam. Mit Jean-Christophe Maillot, Leiter des weltberühmten Les Ballets de Monte Carlo, kommt ein „Kanon-Choreograf“ nach Nürnberg, der auch für Monteros künstlerische Entwicklung wichtig gewesen sei. Maillot gestaltet einen Doppelabend mit dem Duo Sol León und Paul Lightfoot, das mit sieben Tänzer*innen die Choreografie Stop Motion zur Musik von Max Richter zeigen wird. Das Nürnberger Ensemble ist nach der Uraufführung die erste Company, die sich an diese hochgelobte Choreografie wagt.
Oper
Die Oper unter der Leitung von Staatsintendant Herzog beginnt ihre Spielzeit am 01.10. mit der ersten Zusammenarbeit mit dem neuen Chefdirigenten, der bei Mathis der Maler die musikalische Leitung übernehmen wird, einer leicht in Vergessenheit geratenen Oper, die eine sehr aktuelle Frage stellt: Warum Kunst in diesen Zeiten? Weiter geht’s mit dem Belcanto-Klassiker Lucia Di Lammermoor von Gaetana Donzetti, inszeniert von der ehemaligen Herzog-Assistentin Ilaria Lanzino am 05.11. und gefolgt von der Premiere der berühmtesten aller Operetten überhaupt, der Fledermaus von Johann Strauß. Herzog: „Die Latte liegt hoch.“
Und, um die Querverbindungen zwischen den Sparten einmal besonders zu verdeutlichen: Während das Theater Parzival zeigt, macht die Oper ab 31.03. Wagners Parsifal. Nachdem 2019 der Lohengrin gezeigt wurde, kommt jetzt quasi die Vorgeschichte. Ein langes und forderndes Stück, das die Qualität des Orchesters herausstellen werde, so Herzog.
www.staatstheater-nuernberg.de
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