Bei den Oscars nichts Neues. Oder: Warum das Kino mehr kann als Geschichtsunterricht
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Vor kurzem wurden die Oscars verliehen und seitdem ist man hierzulande mal wieder richtig stolz auf einen Film: die deutsche Produktion IM WESTEN NICHTS NEUES hat gleich vier der begehrten Statuen bekommen, und zwar in den Kategorien Bester Internationaler Film, Beste Kamera, Bestes Sounddesign und Beste Filmmusik. Doch was heißt das genau? Schauen wir uns die drei letztgenannten Kategorien an, könnte man das auch so interpretieren: Der Film bietet etwas, was man in Hollywood gut findet, nämlich große Bilder, bombastische Filmmusik und markerschütternde Dolby-Surround-Klänge, die einen aus dem Kinosessel heben (wobei Kinosessel nicht ganz stimmt, schließlich handelt es sich um eine Netflix-Produktion). Okay, Geschmacksache. Doch warum ist IM WESTEN NICHTS NEUES Bester Internationaler Film? Diese Entscheidung dürfte etwas mit dem Krieg in der Ukraine zu tun haben. Die Auszeichnung steht damit in einer Tradition, in der die Academy immer wieder auf aktuelle politische Ereignisse reagiert hat. Doch wie sinnvoll ist das?
Seitdem es Kriegsfilme und Antikriegsfilme gibt, wird viel darüber diskutiert, ob es gut ist, die Gewalt und das Elend, die mit dem Krieg einhergehen, auf die Kinoleinwand zu bringen. Wo hört die Aufklärung auf und fängt die Glorifizierung an? Ist es legitim, reales Leid in einem Unterhaltungsmedium zu reinszenieren? Stumpfen uns diese Bilder nicht zunehmend ab? Die Diskussion über diese Fragen füllt viele Buchseiten und Kommentarspalten. Doch vielleicht wäre es stattdessen interessanter, darüber zu sprechen, ob diese explizite Darstellung überhaupt nötig ist, oder ob Kino nicht auf subtilere Weise die Krisen der Menschheit verhandeln kann.
Bereits vor gut 90 Jahren fragte sich der Kultur- und Filmkritiker Siegfried Kracauer, ob das Kino nicht etwas wisse, was wir nicht wissen. Seitdem gibt es eine psychoanalytische Lesart von Kino, das nicht zufällig auch als "Traumfabrik" bezeichnet wird. Das Unterbewusste kommt immer wieder zum Tragen, schließlich handeln Filme nicht nur von unseren Träumen und Wünschen, sondern auch von unseren Ängsten und Geheimnissen. Horrorfilme sind hierfür der beste Beweis. Von dieser Erkenntnis aus lässt sich weiterdenken zu einem geflügelten Wort unter Kinomenschen: Filme sind manchmal klüger als die Menschen, die diese gemacht haben. Will sagen: Im Kino steckt mehr, als wir auf den ersten Blick sehen, und es muss uns nicht mit aller Deutlichkeit um die Ohren gehauen werden.
Ein aktuelles Beispiel, wie es sich subtil über die Krisen unserer Gegenwart erzählen lässt, ist Christian Petzolds neuer Film ROTER HIMMEL. Gerade auf der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, geht es vordergründig um die Schreibkrise eines jungen Schriftstellers, der sich im Sommer aufs Land zurückgezogen hat. Doch die Idylle wird jäh gestört, als sich durch Waldbrände in der Nähe plötzlich tatsächlich der Himmel rot färbt. Wie leben wir weiter unser kleines Leben mit unseren alltäglichen Problemen im Zeichen der Klimakrise? Eine Frage, die dieser Film ganz nebenbei stellt. Doch wir müssen hierfür nicht unbedingt ins Arthouse-Kino blicken, der britische Journalist Mark Bould findet beispielsweise in seinem letztes Jahr erschienenem Buch ein Thema wie die Klimakrise selbst in der Blockbuster-Reihe FAST & FURIOUS oder dem Kult-Trashfilm SHARKNADO.
Roter Himmel
Fast & Furious
Wenn wir Film als Kunst ernst nehmen und unsere Antennen ausfahren, kann es viel anregender sein, von den Bildern auf der Leinwand aus weiterzudenken. Was erfahren wir beispielsweise in CRASH, David Cronenbergs Adaption eines Romans von J. G. Ballard? In diesem Film geht es um eine Gruppe von Personen, die durch Autos und Autounfälle sexuell erregt werden. Verquaster Blödsinn oder eine gelungene Allegorie auf die irrationale Liebe der Menschen zum Auto? Wir werden es in einem Filmgespräch herausfinden, denn zusammen mit sechs anderen Spielfilmen wird CRASH im Mai beim Energiewende-Filmfestival im Filmhaus zu sehen sein.
Crash
Kino ist kein Geschichtsunterricht und kein Schnellkurs in der Bewältigung von Gegenwartsthemen, es entzieht sich eindeutigen Interpretationen und ist gerade deswegen so einnehmend und faszinierend. Oder wie die Fehlfarben einst sangen: "Ich kenne das Leben, ich bin im Kino gewesen."
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Filmhaus Nürnberg
ROTER HIMMEL läuft ab 20. April
Das Energiewende-Filmfestival findet vom 11. bis 14. Mai statt.
Alle Filme mit Gesprächsgästen und bei freiem Eintritt.
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