HITLERS TRITTBRETT: Die Zeppelintribühne

MITTWOCH, 5. APRIL 2023, REICHSPARTEITAGSGELäNDE

#Gelände im Umbruch, #Reichsparteitagsgelände, #Zeppelintribühne

Marian Wild im Interview mit Prof. Dr. Hans-Joachim Wagner

Die Debatten über die Nutzung des Reichsparteitagsgeländes, speziell mit Fokus auf Zeppelintribühne und Kongresshalle, prägen die Nürnberger Kulturdebatte seit über 60 Jahren, viele – ich auch – halten schon diese intensive Debattenkultur für einen Wert an sich und ein Alleinstellungsmerkmal der Nürnberger Gedenkkultur. Nun sind, nicht zum ersten Mal, tiefgreifende bauliche und konzeptionelle Änderungen in diesem monströsen, größten bestehenden NS-Ensemble geplant. In dieser und den kommenden vier curt-Ausgaben werde ich mich darum im Sinn dieser Debattentradition ausführlich und kritisch mit Prof. Dr. Hans-Joachim Wagner, dem Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände, über die verschiedenen Orte auf dem Gelände unterhalten. Diesmal: die Zeppelintribüne.

MARIAN WILD: Lieber Hajo, du bist in der Nürnberger Kulturszene bekannt als der Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände, davor warst du Leiter des Projektbüros für die Kulturhauptstadtbewerbung 2025. Das lässt auf eine Fähigkeit zum Organisieren komplexer Projekte schließen. Wie ist dein Alltag im Wechselspiel mit Nürnberg und ihren besonderen Fragestellungen?
HAJO WAGNER: Die Arbeit als Leiter der Nürnberger Kulturhauptstadtbewerbung war tatsächlich komplex, weil man in einem solchen Job einem permanenten Zwiespalt ausgesetzt ist. Innerhalb eines genau getakteten Zeitplans mussten zwei Bewerbungsbücher erarbeitet werden, die die europäische Jury adressierten. Hier werden Themen verhandelt, die außerhalb des Prozesses Stehende schlicht nicht interessieren. Gleichzeitig war es unser erklärtes Ziel, die Bewerbung für die Menschen in Nürnberg und der Metropolregion erfahrbar zu machen. Wie aber wirbt man für etwas und macht es sinnfällig, das erst in fünf Jahren stattfinden wird – im besten Fall? Der Ausgleich der unterschiedlichsten Interessenlagen war die spezifische Herausforderung. Und jetzt als Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände: Die Gemengelage ist nochmal ganz anders. Ich weiß gar nicht, wo zu beginnen. Bei der Kulturhauptstadtbewerbung war das Büro ein Schnellboot, das sich ziemlich frei von kommunalen oder politischen Zwängen bewegen konnte. Die Stabsstelle ist Teil der kommunalen Verwaltung. Die Abstimmungsprozesse sind komplex, manchmal auch kompliziert, immer langwierig … Die Erwartungen der Politik sind hoch, weil die großen Projekte auf dem Gelände nicht nur von kommunaler Bedeutung sind. Bund und Freistaat formulieren ihre Anforderungen als Geldgeber und auch Verntwortungsträger. Und dann haben wir es beim Ehemaligen RPG ja nicht mit einem „exterritorialen“ Areal zu tun. Die Anrainer wollen informiert werden und formulieren ihre je spezifischen Interessen über die Zukunft des Geländes, die nicht zwangsläufig mit den Interessen der Stadtverwaltung übereinstimmen – im Gegenteil! Ganz zu schweigen von den Interessen der unterschiedlichen Nutzendengruppen. Die Partikularinteressen treiben mich manchmal an den Rand des Wahnsinns, die Beharrungskräfte sind immens, und ich muss leider nach 20 Monaten im Amt feststellen, dass nicht alle Beteiligten die nationale und internationale Dimension der Projekte sehen bzw. verstanden haben. Aber: „Einfach kann jeder!“

Das ehemalige Reichsparteitagsgelände und insbesondere die Zeppelintribüne sind ein internationales Symbol für die NS-Zeit, jede Änderung des Status Quo wird mit vielen Augen weltweit beobachtet. Wie geht man als Verantwortlicher mit diesem Druck um?
Du hast recht – die Aktivitäten auf dem ehemaligen RPG werden genau und kritisch wahrgenommen. Das mediale Interesse an der zukünftigen Nutzung der Kongresshalle hat das mit ziemlicher Wucht gezeigt. Ich empfinde das einerseits als Druck, aber ich kann diesen Druck durchaus positiv wenden, denn Kritik hat meistens auch eine produktive Dimension: Sie hilft, den eigenen Standpunkt zu überdenken, zu präzisieren oder auch zu korrigieren. Schwierig wird es mit persönlich motivierten Angriffen… auch die gab und gibt es, und mit denen muss man umzugehen lernen. Ich habe relativ früh in meinem Berufsleben ein hohes Maß an Resilienz entwickelt. Dazu habe ich mir natürlich auch professionellen Rat geholt – kontinuierliches Coaching war Gold wert.

Zeppelintribüne und Zeppelinfeld sind besonders symbolisch aufgeladen, als Ort der Reichsparteitagsreden, der Hakenkreuzsprengung, des Konzerts der „Einstürzenden Neubauten“, als Erinnerungsort und Lernort, und jüngst als Ort des Regenbogenpräludiums. Welche Rolle hat der Bau im gesamten Gelände, und welche soll er zukünftig erhalten?
Historisch betrachtet, sind Zeppelinfeld und Zeppelintribüne die einzigen Orte auf dem ehemaligen RPG, die von den Nationalsozialisten fertiggestellt wurden und auch die ihnen zugedachten Funktionen erfüllten. Feld und Tribüne sollen in den nächsten Jahren – wir gehen aktuell von einer Bauzeit bis 2032 aus – zu einem Lern- und Begegnungsort entwickelt werden. Hier soll über die Geschichte informiert werden, auch über die Geschichte des Areals nach 1945. Das auf uns gekommene Ensemble ist baulich ziemlich „runter“. Zur baulichen Sicherung hat die Stadtverwaltung in der Vergangenheit nur das Nötigste getan. Nach einem durchaus kontrovesen Diskussionsprozess, der 2015 in das Symposium „Erhalten! Wozu?“ gemündet ist, hat man sich entschlossen, Tribüne und Feld nicht zu restaurieren, auch nicht verfallen zu lassen (Stichwort: Alberts Speers Ruinentheorie), sondern in ihrem aktuellen Zustand zu erhalten. Es geht um eine bauliche Sicherung, damit zukünftig bislang der Öffentlichkeit nicht zugängliche Bereiche geöffnet werden können. Der Mittelbau wird dauerhaft geöffnet, ein Treppenhaus wird mit Aufzug barrierefrei erreichbar sein, so dass man zukünftig durch das Innere der Tribüne auf die Stufenanlage und damit auf die Ebene der Rednerkanzel gelangen kann. Schließlich soll die Hälfte des Zeppelinfeldes und die dazugehörige Wallanlage der Öffentlichkeit zugänglich sein. Diese Öffnung ist zentrale Grundlage für das Gelingen des Lern- und Begegnungsortes – auch als ein Ort der Reflektion.

Kritiker*innen der aktuellen Pläne verweisen unter anderem auf eine Pflicht der aktuellen Generation, die giftige Bausubstanz authentisch für die nächste Generation zu erhalten. Ebensoviele Stimmen sind aber auch dagegen, die Bauten einfach verfallen zu lassen. Solche „Diskurssackgassen“ gibt es recht oft in Bezug auf das ganze Gebiet. Wie geht man als Planer damit um, wenn man eine Sache weder endgültig entscheiden noch nicht entscheiden kann?
Du spannst mit Deiner Frage eine Dichotomie auf, die von Prämissen ausgeht, die ich nicht teile. „Authentisch“ ist das gesamte Areal schon längst nicht mehr, und was eine „authentische Bausubstanz“ sein soll, vermag ich nicht zu sagen. Das ist jetzt vielleicht ein schräger Vergleich: Aber was ist denn am Kölner Dom „authentisch“? Architekturen sind einer ständigen Veränderung und Überformung ausgesetzt. Und Bedeutung haben sie nicht „von sich aus“, sondern wird ihnen von uns zugeschrieben. By the way: Ich habe deshalb die ganze Diskussion über den vermeintlichen Gehalt der Fassade im „Innenhof“ der Kongresshalle nicht verstanden. Das ist eine marode Ziegelsteinmauer, nicht mehr und nicht weniger. Angesichts dieser Position ist der Prozess der Entwicklung von Tribüne und Feld, den wir jetzt angehen, ein Prozess mit offenem Ausgang, den die nachfolgenden Generationen gerne fortschreiben können – aber nicht müssen. Andererseits kommt ein Verfall – auch nach dem oben genannten Diskurs in Nürnberg – nicht mehr in Frage. Zudem möchte ich zwei prominente Stimmen zitieren. Rachel Salamander bezeichnete die Nazi-Architekturen in Nürnberg als permanente „Provokation“, mit der wir uns im Kontext historischer Verpflichtung auseinandersetzen müssen; Charlotte Knobloch weist ihnen nach dem Ende der Zeitzeugenschaft eine zentrale Funktion sind: Die Steine werden zu Dokumenten einer Zeit, an die es immer wieder zu erinnern gilt – und zwar von uns heute, als politischer und moralischer Auftrag gegen Antisemitismus, Rassimus, Menschenverachtung. Mit der Entwicklung des Lern- und Begegnungsortes treten wir – endlich! möchte ich sagen – aus den „Diskurssackgassen“ raus und in einen Prozess der produktiven und zukunftsgerichteten Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe ein. Und wie gesagt: Nichts ist abgeschlossen.

An der Rückseite der Zeppelintribüne, nahe der beiden Stahlplastiken von Hans-Jürgen Breuste befindet sich auch (wieder) eine bunt bemalte Feuerschale, die vorher jahrelang im Stadionbad als Kinderplanschbecken genutzt wurde. Das folgte der Philosophie des früheren Kulturdezernenten Hermann Glaser, dessen Name in letzter Zeit wieder öfter fällt. Er prägte die Strategie der Banalisierung der Bauten, ich musste da auch an Hannah Arendts berühmte Formel von der „Banalität des Bösen“ denken. Trägt diese Strategie heute noch?
Es gibt zwei Feuerschalen, die ursprünglich auf den beiden Abschlusspylonen der Tribüne standen. 1967 wurde – im übrigen: ohne Not – die Pfeilergalerie gesprengt; nach dem Motto: „Aus dem Auge aus dem Sinn“; 1976 wurde dann die Pylonen, obwohl das gesamte Areal 
mit seinen Bauwerken bereits unter Denkmalschutz stand, zur Hälfte abgetragen. Der darin zum Ausdruck kommende Umgang mit dem architektonischen Erbe des Nationalsozialismus ist Dokument eines Handelns ohne Konzept, keine Banalisierung der Bauten, sondern ein bewußt-unbewusstes Ausweichen vor der dringend notwendigen kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte. Das mag einem generationell begründeten Blick auf die nationalsozialistische Vergangenheit der Deutschen und insbesondere der besonderen Verstrickung Nürnbergs in diese Geschichte geschuldet sein. In Nürnberg spricht man gerne von „pragmatischer Aneignung“ des Geländes. Was heißt denn das? Die Feuerschalen wanderten zunächst in den städtischen Bauhof ... dann stand eine im „Innenhof“ der Kongresshalle (Bernhard Prinz hat diese „Ver“-Nutzung in einer wunderbaren dreiteiligen Foto-Arbeit vergegenwärtig); die andere wanderte bunt bemalt als Planschbecken ins Stadionbad. Als dann in der Tribüne die Ausstellung „Faszination und Gewalt“ eröffnet wurde, kamen beide Schalen zurück – die eine Innen, die andere Außen. Schöne Deko! (Ironie aus) Dass die Arbeiten von Hans-Jürgen Breuste ebenfalls mit der Eröffnung der Ausstellung dort abgestellt wurden, ist doch letztlich der Tatsache geschuldet, dass die Kopernikusschule am Maffeiplatz die seit 1971 dort stehenden Skulpturen nicht mehr haben wollte – weshalb auch immer. Jetzt stehen „Overkill I und II“, über deren künstlerischen Rang man trefflich streiten kann, an der Tribüne und werden als sakrosankt betrachtet. Diese Möblierung des Geländes – zu der das Geländeinformationssystem ebenso das seinige beiträgt wie die Einzäunungen und die Leitplanken des Norisring-Rennens das ihrige – empfinde ich als sehr problematisch. Ein Künstler, der vergangenes Jahr anlässlich des Festivals „MusikInstallationen“ in Nürnberg war, sprach mit Blick auf das gesamte Gelände von einer „chaotischen Verwahrlosung“. Das ist kein Gütesiegel!

Während des mehrtägigen „Gelände“-Symposiums 2021 wurde auch ein Konzept zur Wiederzugänglichmachung des „Goldenen Saals“ in der Zeppelintribüne und zur Nutzung des Zeppelinfeldes als „Lernort mit Erinnerungsstationen“ vorgestellt. Wie kann so ein Konzept funktionieren, gerade für die entscheidenden Nutzer*innen unter 30, die das Wissen um diese Orte ja jetzt weitertragen müssen?
Das „Regenbogenpräludium“ – von dem Du vorhin gesprochen hast – war als temporäre Intervention ein großartiger Augenöffner. Es hat uns gezeigt, wie ein produktiv-kritischer Umgang mit der Architektur des Nationalsozialismus möglich ist. Wir beschäftigen uns gerade intensiv mit dem „Goldenen Saal“ im Inneren der Zeppelintribüne, der geöffnet werden soll, um hier und in den Nebenräumen über die Geschichte von Zeppelinfeld und Zeppelintribüne zu informieren. Es wird eine „klassische“ Ausstellung; wie die genau aussehen kann, wird aktuell erarbeitet. Fest steht aber schon jetzt: Temporäre Kunstaktionen im Inneren der Tribüne werden ein fester Bestandteil des Konzeptes sein. Darüber hinaus ist geplant, die Rednerkanzel zu kontextualisieren. Auf dem Feld, das heute für die Öffentlichkeit gesperrt ist und im Rahmen der Entwicklung des Lern- und Begegnungsortes partiell geöffnet wird – sollen drei Reflexionsorte entstehen. Diese Orte werden informieren, zugleich aber auch dazu auffordern, sich aktiv mit Wirkungsmechanismen des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Einer fragt danach, was das Areal heute mit uns zu tun hat, einer thematisiert die Perspektive der vielen tausenden Zuschauenden auf der Wallanlage während der Reichsparteitage, ein anderer macht eine Marschordnung erfahrbar, d.h. die Situation als aktiv Teilnehmende*r auf dem Feld. Natürlich wollen wir hier keinen „Nazi“-Erlebnispark, sondern einen Ort des aufgeklärten Lernens. Ich bin sehr froh, dass wir mit „facts & fiction“ ein international erfahrenes Ausstellungsbüro für die weitere Konzeption gewinnen konnten. Und wenn Du nach den Perspektiven junger Menschen fragst, dann ist es mir besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir für die weitere inhaltliche Konzeption des Lern- und Begegnungsortes einen partizipativen Prozess in Planung haben, der gerade deren Ideen und Wünsche zur Zukunft des Areals einbindet.

Sind auf dem Zeppelinfeld eigentlich jemals Zeppeline angelandet?
Klar! 1909 ist hier ein Zeppelin gelandet. Daher stammt ja überhaupt der Name. Hier gab es – als Teil des Volksparks Dutzendteich – eine Turnwiese, deren Umgrenzung später von den Nationalsozialist*innen als Basis für die Wallanlage rund um das Zeppelinfeld genutzt wurde.

In der Ausgabe Juni/Juli geht’s weiter: Marian Wild und Hajo Wagner im zweiten Interview zur Kongresshalle.

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PROF. dr. Hans-Joachim Wagner 
ist studierter Musikwissenschaftler, Philologe und Kunsthistoriker. Er hat von 1997 bis 1999 als Dramaturg für Musiktheater in Koblenz gearbeitet und war von 2002 bis 2006 Musikreferent im Kulturamt der Stadt Köln. 2005 ist er zum außerplanmäßigen Professor am musikwissenschaftlichen Institut in Köln berufen worden. 
Er leitete in Nürnberg von Januar 2018 bis August 2021 das Büro für die Kulturhauptstadtbewerbung 2025. Seit dem 1. August 2021 hat er die Leitung der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände inne.




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