Labor der Gegenwart / Teil 6: The times, they are a-changing
#Ausstellung, #Kolumne, #Kultur, #Kunst, #Neues Museum
Marian Wild im Gespräch mit Holger Rieß. Fotos: Instagramer*innen der @igers_nürnberg
Die Gegenwart wirft alte Gewissheiten zunehmend über Bord. Da scheint der „kontroverse Tabubruch“, nämlich Kunst und Design im direkten Gegenüber zu zeigen, im Rückblick tatsächlich recht niedlich. Seit 2020 präsentiert das Neue Museum in seinem Erdgeschoss mit der „Mixed Zone“ eine direkte Mischung aus Kunst und Design, die im Frühjahr 2022 mit der aktuellen Ausstellung „Double Up!“ in die bildgewaltige, zweite Runde ging.
Design und Kunst rücken in Nürnberg also zusammen, genau so, wie es die Museen und ihre Förderinitiativen tun müssen, um in Zeiten brutaler Kulturbudgetkürzungen den Betrieb und den kulturellen Auftrag aufrechterhalten zu können. Darum ist dieser letzte NMN-Review des Jahres zweigeteilt: Die Bilder sind wundervolle Fundstücke der igers, die in „Double Up!“ der gemeinsamen Poesie von Kunst und Design auf den Grund gegangen sind.
Der Text basiert auf einem Gespräch mit Holger Rieß, Vorsitzender der Museumsinitiative Freunde und Förderer des Neuen Museums (mi).
Marian Wild: Lieber Holger, du hast das erste Wort. Was treibt dich und die mi, die Museumsinitiative, an?
Holger Riess: Das Bewusstsein, dass Kultur mehr denn je Unterstützung braucht, und vor allem der Wille, diese Unterstützung, egal welcher Art, auch zu gewähren, ist leider in der Gesellschaft immer geringer ausgeprägt. Dabei wird verkannt, dass Kultur ein Seismograph für viele gesellschaftliche Entwicklungen ist und darüber hinaus einen Standortvorteil darstellt – sie macht eine Stadt lebenswerter. Deshalb ist es immens wichtig, den Protagonistinnen und Protagonisten den Stellenwert einzuräumen, den sie verdienen und den eine Stadt wie Nürnberg jetzt dringend benötigt. Das machen andere Städte deutlich besser, mit Chemnitz ist zu Recht eine dieser Städte Kulturhauptstadt geworden.
Um die Fallhöhe zu verdeutlichen: Es ist gerade mal etwas mehr als zwölf Monate her, dass der Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 für Nürnberg zum Greifen nah war, man wollte ein leuchtendes Beispiel für die Sache der Kultur sein. Ein Kalenderjahr später diskutiert man ernsthaft die Schließung von zwei städtischen Museen und die Umwandlung der drei großen, städtischen Kulturveranstaltungen in zweijährige Events. An staatlichen Häusern geht der Rotstift nicht vorbei. Das trifft natürlich auch die Fördervereine. Als Förderverein leiden wir natürlich mit den Verantwortlichen des Neuen Museums wegen der auferlegten restriktiven Sparmaßnahmen und der kommenden, drohenden Szenarien. Gleichwohl versuchen wir als Verein, das Museum weiterhin tatkräftig zu unterstützen. So geschehen beim kürzlich recht erfolgreich stattgefundenen New York-Abend im Rahmen der Ausstellung „Evelyn Hofer meets Richard Lindner“ oder mit unseren Angeboten für unsere rund 750 Mitglieder mit interessanten Vorträgen im Museum, sowie online, mit Führungen, Previews zu Ausstellungen, Tagesfahrten und Kunstreisen. Ein Förderkreis sollte die entsprechende Institution in Form bürgerlichen Engagements unterstützen, sei es finanziell durch Ankäufe, Finanzierung von Ausstellungen, Förderung von wissenschaftlicher Forschung und Publikationen, oder sei es ideell durch die Übernahme organisatorischer Aufgaben, als Vermittler unterschiedlicher Interessensgruppen – je nach Ausrichtung. Im Fall der mi wollen wir stets das Museum und die Museumsarbeit in der Bevölkerung noch sichtbarer machen und diese kommunizieren.
Marian: Die zeitgenössischen Ansätze einer breiten Bevölkerung zugänglich und viele Menschen neugierig zu machen ist das erklärte Ziel der Direktorin Simone Schimpf (siehe Interview in curt 10/11-2022). Das ist ein komplexes Unterfangen, denn „der Kunstbegriff“ ist alles andere als gut greifbar. Durch die Mischung aus Design und Kunst wird er nicht einfacher, oder, Holger?
Holger: (lacht) Der Kunstbegriff erweitert sich ständig und teilweise ist es schwer, eine Grenzlinie zwischen Kunst und Design zu ziehen. Oftmals gibt es so viele Gemeinsamkeiten, dass ein Objekt auch beides zugleich sein kann. Kunst sendet im Wesentlichen an jeden und jede eine andere Botschaft und lässt viel Interpretationsspielraum. Design dagegen löst vor allem Probleme, das heißt es gibt einen „Existenzgrund“. Kunst ist freier, emotionaler und vielleicht manchmal auch provokanter, meist ohne Regeln und Bedingungen. Dagegen muss eine Designerin oder ein Designer meist bestimmte Vorgaben und Kriterien erfüllen und einhalten. Für mich sollte Kunst anregend sein; Design muss das nicht immer, darf es aber gerne. Damit Kunst und Kultur frei und schlagkräftig bleiben, müssen auch ihre Fördernden diese Freiheit schützen, die Voraussetzung ist Wissen um die Rolle von Kunst und Kultur in der Gesellschaft.
Marian: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Holger, welches ist dein Lieblingsstück aus den Ankäufen der mi?
Holger: Mich faszinieren viele unserer angekauften Kunstwerke, die wir übrigens immer auf Vorschlag der Museumsdirektion im Vorstand diskutieren und dann erwerben. Die „Dutch Gas-Cans“ des belgischen Konzeptkünstlers Wim Delvoye aus dem Jahr 1987, der damit die niedlichen Windmühlenmotive traditioneller Delfter Kacheln und deren eigentliche Funktion als Alltagsgegenstände bzw. Erinnerungsstücke intelligent und humorvoll überzeichnet, ist eines meiner Lieblingswerke.
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Museumsinitiative Freunde und Förderer des Neuen Museums e.V.
Die mi, wie der gemeinnützige Verein auch in Kurzform genannt wird, wurde als Bürgerinitiative zum Bau eines Museums für die Kunst des 20. Jahrhunderts 1987 gegründet und hat als Satzungszweck den Kunstankauf und die Kunstvermittlung. Der Aspekt des Kunsterwerbes und des Sammelns ist gerade in Zeiten, in denen sich die städtischen und staatlichen Institutionen immer mehr ihrer Verantwortung entziehen und die finanziellen Mittel für Kultur und Kunst immer geringer werden (dies besonders in Nürnberg und übrigens auch schon lange vor COVID), ein sehr wichtiger Satzungszweck. Auch die Kunstvermittlungsangebote aus erster Hand für unsere Mitglieder sind als Gegenprogramm einer immer oberflächlicher werdenden Meinungsbildung nicht zu unterschätzen.
www.mi-nuernberg.de
Neues Museum Nürnberg
Klarissenplatz, Nürnberg
www.nmn.de
Foto-Kooperation
Die Fotografien hier stammen von den igers Nürnberg. Die Gruppe aus Fotograf*innen besucht regelmäßig Ausstellungen und Kulturveranstaltungen auf ihren Instawalks und zeigt die oft spektakulären Ergebnisse auf ihrem offiziellen Instagram-Account @igers_nuernberg. Danke für die Kooperation!
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