CURT und GNM, Teil 7: Träumende Bücher
#Germanisches Nationalmuseum, #Kolumne, #Kunst
Ein surrealer Trip durch die Sammlung des GNM. Text von Marian Wild
Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Eine kleine Erkältung hatte mich angeflogen und die dunklen Stunden waren dadurch unruhiger als gewohnt. An das Erlebnis im Traum erinnere ich mich aber noch erstaunlich gut.
„Willkommen“, sagte das kleine, agile Buch mit der Schlafmütze und der leicht fisteligen Stimme zu mir. „Es ist die zweite Stunde nach Mitternacht, höchste Zeit für dein Morgengebet!“
„Neinneinnein, ich bin Atheist“, murmelte ich verschlafen (ich war auch im Traum müde, was irgendwie schon ziemlich bescheuert ist).
„Ave stella matutina, mundi princeps et regina …”, sagte das Buch. Es konnte wohl nicht anders, denn es war ein antikes Beutelbuch voller Stundengebete. Als es sein Zweiuhrgebet beendet hatte, fragte ich es darum etwas ungeduldig, bevor es sein Dreiuhrgebet beginnen konnte: „Was machen wir hier eigentlich?“
„Das GNM hat eine gewaltige Sammlung an überraschenden Dingen. Man kann hier wirklich Stunden um Stunden verbringen, um Stunden, um Stunden. Guck mal da!“ Wir waren in der Medizinsammlung angekommen, und das lustige Buch mit der Zipfelmütze hüpfte aufgeregt um mich herum und deutete auf eine hübsch dekorierte Vitrine.
„Das ist ein Beckenknochen!“, sagte ich im Brustton der Überzeugung.
„Falsch. Das ist zeitgenössischer Schmuck.“, bemerkte das Buch schnippisch.
„Warum ist es dann in der Medizinabteilung? Und warum würde jemand sich einen künstlichen Beckenknochen als Schmuck um den Hals umhängen?“ Ich war jetzt hellwach. „Oder künstliche Hände.“
„Nein, DAS sind Prothesen“, korrigierte mich das Buch fröhlich. Ich öffnete den Mund, überlegte es mir aber anders und schloss ihn wieder, als eine tiefe Stimme aus dem Nebenraum brummte.
„MEIN KNIE TUT WEH.“
„Was war das?“, fragte ich das Buch, das schon wieder kurz davor war, sein nächstes Stundengebet zu rezitieren. Es warf seine Mütze in den Nacken und blickte mich verschwörerisch an.
„Das war Oskar, der Drahtmensch. Ziemlich missmutig, der Gute. Hängt schon ziemlich la…“
Den Rest des Satzes konnte ich nicht mehr hören, weil ich schon in den Nebenraum gewandert war und eine große Drahtfigur an der Wand hängen sah, die eine kleine Figur festhielt.
„MEIN KNIE TUT WEH!“, bemerkte Oskar.
„Kein Wunder, musst es vielleicht mal ausstrecken.“ Ich wunderte mich selber, dass ich das alles einfach so hinnahm und das Seltsamste an der ganzen Sache mir die kleine Figur in Oscars Hand schien.
„Lassmichrunterverdammt“, nuschelte die Figur. „RUHE, WALTER!“ fuhr der Drahtmann sie an, dann blickte er zu mir.
„HAB IHN WALTER GENANNT, VERSTEHST SCHON, HÖHÖ.“
Tat ich tatsächlich, kratzte mich aber trotzdem am Kopf. Da hatte das Buch mich plötzlich wieder eingeholt.
„Vier Uhr, Zeit für das…“ sagte es eben noch, da verabschiedete ich mich hastig um etwas verwirrt aufzuwachen.
Ich lag in meinem Bett, etwas verschnupft, und hoffte, dass das kleine, freundliche Buch irgendwann ebenfalls zur Ruhe kommen würde.
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GERMANISCHES NATIONALMUSEUM
Kartäusergasse 1, Nbg. Di-So 10-18, Mi 10-20:30 Uhr.
www.gnm.de
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