21 Jahre Poetry Slam Erlangen: Nora und Matthias plaudern aus dem Slamkästchen

SONNTAG, 8. JANUAR 2023, E-WERK

#E-Werk, #Erlangen, #Interview, #Kathi Mock, #Matthias Egersdörfer, #Nora Gomringer, #Poetry Slam

Interview und Text: Kathi Mock

Es gibt was zu feiern! Endlich kann der Erlanger Poetry Slam wieder sein Jubiläum zelebrieren – einer der ältesten Slams in Franken, eine traditionsreiche Bühne mit viel Geschichte und Geschichten. Den ersten Poetry Slam vor 21 Jahren gewannen gleich zwei Personen: niemand Geringeres als DIE Nora Gomringer und DER Matthias Egersdörfer, unser prominenter curt-Kolumnist. Die beiden gaben uns einen kleinen Einblick in die Anfangszeiten.

Am 20. Januar 2002 fand der erste Erlanger Poetry Slam in der Kellerbühne des E-Werks statt. Aus diesem Testballon entwickelte sich über die Jahre eine bis heute fortbestehende Kooperation mit dem E-Werk und gleichzeitig die erfolgreichste und langlebigste Veranstaltungsreihe des Hauses. Traditionell heißt die Veranstaltung deshalb auch „e-poetry“. Nachdem die Kellerbühne und dann die Clubbühne zu klein wurden, wurde der Slam vor gut acht Jahren dauerhaft in den großen Saal verlegt.
Doch wie sahen so die Anfänge aus? Gegründet wurde der Slam vom Stuttgarter Jan Siegert, der das Format in seine alte fränkische Heimat exportierte und dann elf Jahre lang das Gesicht vom Poetry Slam in Erlangen war (vorfreudiger Spoiler: er wird nach zehn Jahren Abwesenheit nun das erste Mal wieder mit dabei sein – als Poet auf der Bühne!). Jan war bekannt für seine exzessiven, langen Shows. In den Anfängen gab es noch offene Listen, in die sich Auftrittswillige spontan eintragen konnten. Und so ist es kein Wunder, dass der erste Slam statt der ursprünglich geplanten drei dann fünf Stunden dauerte. Zudem war die Kellerbühne auf eine heute unvorstellbare Weise vollgestopft, weil niemand daran gedacht hatte einen Einlassstopp zu verhängen.

KATHI MOCK: Wie war die Stimmung beim ersten Erlanger Slam in der Kellerbühne?
NORA: Voll. Heiß und lebhaft. Gute Stimmung. Jan war ein feiner Gastgeber.
MATTHIAS: Ein brodelnder, mopsfideler Hexenkessel ist das gewesen.

Wie habt ihr von der Neugründung und der Möglichkeit aufzutreten erfahren?
NORA: Mein Slam-Debüt hatte ich bei Ko Bylanzky und Raúl Patzaks Slam im Substanz in München Ende November oder Anfang Dezember 2001. Da war ich gleich am ersten Abend mit Walt Koslvsky und Timo Brunke auf der Bühne. Im Nachhinein großartig. Als ich hinkam, war ich eher baff, wie viele Leute da in einem Raum so eng an eng schwitzten und das wohl alles schon irgendwie kannten. Ich kannte Slam als Veranstaltungsformat aus den USA seit ich 14 bin. Ich war Besucherin im Nuyorican Poets Cafe in Manhattan, da mein Bruder nicht weit weg davon wohnte. Im Dezember 2001 gab’s den ersten Slam in Bamberg im heutigen Nana-Theater, den ich mitentwickelt hatte. Wir waren die Ersten in Franken, aber nur knapp vor Erlangen. Zum Slam nach Erlangen wurde ich dann eingeladen.
MATTHIAS: Der Poetry-Slam in Erlangen vor fast 21 Jahren war die erste Veranstaltung dieser Art, bei der ich teilgenommen habe. Ein guter Freund hatte mir davon erzählt und mir vorgeschlagen, dass ich da doch einmal mitmachen könnte.

Wie war der Abend für dich?
MATTHIAS: Ich kann mich erinnern, dass viel Publikum da war und beste Stimmung im Saal. Und ich kann mich noch erinnern, dass ich sehr aufgeregt war. Für die Pegnitz-Zeitung schrieb ich damals eine regelmäßige Kolumne auf der Literatur-Seite („Poesie an der Pegnitz“). In Erlangen trug ich damals das erste Mal einen von diesen Texten vor. Es könnte gut „Mein erster Schultag“ gewesen sein. Meine Freude ist sehr groß gewesen, dass ich als Anfänger gleich gewonnen habe. Nora verfügt über eine große Wucht auf der Bühne. Als Siegpreis gab es ein dickes Buch mit pornographischen Abbildungen.

Nora, wie war der Abend für dich?
NORA: Bombe! Es war sehr besonders, dass sich so viele Leute aufgemacht hatten. Dass da Lehrer saßen und Schüler und überhaupt altersmäßig eine große Mischung. Den Erlanger Poetry Slam haben seine Macher und seine Amphi-Theaterbühne, die dem Publikum viel „Macht“ gibt, ausgezeichnet. Das ist was Besonderes und wer’s für sich nutzen kann: gewinnt!
Im Ganzen bin ich nicht öfter als viermal dort aufgetreten. Weil ich immer etwas, naja, awkward bin, vor und nach Auftritten, stehe ich viel draußen herum, bevor ich dann auf die Bühne muss. Danach gehe ich rasch wieder. Von daher … wenig Impressionalistisches. Gutes Essen gibt‘s in der Kellerbühne. Das weiß ich. 1a Catering.

Matthias, was gefällt dir nach wie vor an Poetry Slam? Und was nicht so?
MATTHIAS: Das Prinzip, dass man eigene Texte vor dem Publikum vortragen darf, auch mit dem Risiko, zu scheitern, finde ich nach wie vor sehr gut. Was mir an der Geschichte gar nicht mehr gefällt, ist die Bewertung durch das Publikum. Hotels und Katzenvideos und alles Mögliche werden unentwegt bewertet. Dreizehn Jahr Schule mit Benotung, Studium mit Prüfungen und eine Vielzahl an Kabarettbewerben sind für meinen Geschmack mehr als genug.
Ein paar Mal habe ich bei Slams mitgemacht und auch öfter mal in Erlangen zugeschaut. Dann hat es bei mir aber auch schon mit dem Kabarett angefangen. Zu einem Jubiläum (Anm. d. Red.: 10 Jahre e-poetry Slam 2012) wurde ich auch noch einmal eingeladen. Das fand im großen Saal statt. Zum Erlanger Slam kamen immer sehr unterschiedliche Künstler, das hat den Abend immer sehr aufregend gemacht.

Nora, was sind deine Anmerkungen zu Poetry Slam?
NORA: Ein gutes Format, das viel Varianz erlaubt und in Deutschland oft ein bisschen verbissen vorangebracht wurde. Aber dort und da besonders gut, wo Leute sich finden und einander immer wieder verblüffen.
Mein Interesse an den Entwicklungen der Slamszene ist eingeschlafen. Ich kriege die Spitzen und Trials und Turbulations schon mit, glaube ich, aber am Ball bleiben kann ich nicht mehr. Es „gehört“ auch nicht mehr so zu mir. Spoken Word ist fester Teil meiner Arbeit, aber das Slam-Format ist eng und oft unbefriedigend. Toll ist es, wenn Gemeinschaft entsteht, man viel reist und müde auf den Couches anderer Leute pennt. Aber die Zeiten sind mitunter vorbei. Die Kommerzialisierung des Formats kann man schlechtreden, muss man aber nicht. Es hat Auftritte, Texte und Profil der Slammerinnen und Slammer verändert. Ist auch gut. Nichts bleibt stehen.
Brauchen kann man friedliche, produktive, intellektuelle Formate immer. Schon als ich damals in den „Slam-Bus“ zustieg, in 2001, waren wir bei der dritten oder vierten Zenit-Phase … mittlerweile ist es eben die 20. oder so. Da ist viel Dynamik drin.

Was wünscht ihr dem Erlanger e-poetry Slam?
NORA: Weiterbestehen und gute Publikumsbindung! Für viele ist der Slam die erste Bühne für’s Mutigsein und Textesprechen. Nicht alle wollen Schauspieler*innen oder Schriftsteller*innen werden, die meisten schaffen es nicht, sondern machen was „Richtiges“. Gut so! Aber die Abende, an denen man sich auf die Bühne traute, die bleiben im Gedächtnis und tragen weit.
MATTHIAS: Weitermachen, solange eine Leidenschaft vorhanden ist. Mit schönem Gruß vom Matthias.

Da bleibt nicht mehr viel zu sagen, außer: Kommt rum und überzeugt euch, dass Slam – und insbesondere der Erlanger Slam – immer noch ein Erlebnis ist!

Nach fast drei sehr turbulenten Jahren freuen wir uns darauf, endlich wieder das Jubiläum angemessen feiern zu können! Mit dabei sind Sebastian 23, (zweifacher deutschsprachiger Meister, Prix-Pantheon-Gewinner und Twitter-König), Victoria Helene Bergemann (Niedersachsen/Bremen-Meisterin, Schleswig-Holstein-Meisterin, Vize-U20-Meisterin und Kabarettistin), Yannik Sellmann (zweifacher Bayerischer Meister und dreifacher Finalist Deutschsprachige Meisterschaften), Stefanie Menschner (amtierende Thüringen-Meisterin), Benjamin Poliak (amtierender NRW-Meister, zweifacher U20-Meister) und Jan Siegert (Gründer des Erlanger Poetry Slams, legendärer Moderator und war auch mal im Finale der Deutschsprachigen Meisterschaften).
Im Rahmenprogramm wird euch die Düsseldorferin Aylin Celik musikalisch von den Socken hauen, und es wartet noch die ein oder andere Überraschung auf euch. Wir sehen uns am 8. Januar 2023!

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Erlanger Poetry Slam - Jubelslam!
am 08.01.2023 im E-Werk in Erlangen.
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ALLE SLAM-TERMINE DEZEMBER & JANUAR

10.12. / 19:30    Poetry Slam / Parks, Nbg
11.12. / 20:00    Poetry Slam / E-Werk, Erlangen
17.12. / 20:00    Lesen für Glühwein / Parks, Nbg
20.12. / 20:00    Südslam / Südpunkt, Nbg
21.12. / 19:00    U20 Poetry Slam / E-Werk, Erlangen
07.01. / 19:30    Poetry Slam - Neujahrsspecial / Parks, Nbg
08.01. / 20:00    Poetry Slam - 21 Jahre / E-Werk, Erlangen
18.01. / 19:00    U20 Poetry Slam / E-Werk, Erlangen
25.01. / 20:00    Lesen für BieR / Parks, Nbg
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NORA-EUGENIE-GOMRINGER ist eine schweizerisch-deutsche Lyrikerin, Rezitatorin und Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2015. Sie lebt in Bamberg, wo sie seit 2010 das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia als Direktorin leitet.

MATTHIAS EGERSDÖRFER ist Kabarettist, Komiker und Schauspieler. Seine Soloprogramme präsentiert er in Nürnberger Dialekt und mit unverkennbarem Hang zur Cholerik. Und: Er ist CURT-Kolumnist.

Kathi Mock hat 2010 Poetry Slam für sich entdeckt und seither zahlreiche Auftritte im gesamten deutschsprachigen Raum absolviert.
Seit 2014 lebt sie in Erlangen, wo sie seit 2015 den monatlichen U20-Poetry-Slam mitorganisiert und moderiert. Seit Februar 2020 organisiert sie zudem die monatlichen Poetry Slams im Nürnberger Parks und Erlanger E-Werk, ist abwechselnd mit Lucas Fassnacht Gastgeberin bei „Lesen für Bier“ im Parks und Mitglied beim Improvisationstheaterensemble „holterdiepolter!“ in Nürnberg. Die Poetry-Slam-Kolumne im Curt gibt es inklusive Pandemie-Pausen seit März 2019.
 




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