Mein Vater, das KOMM und ich: Christof Popp organisiert neue Gesprächsreihe im Künstlerhaus
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Als Christof Popp am 14. Oktober im Künstlerhaus das Buch seines Vaters Michael vorstellt, ist die Bude voll bis unters Dach. Mindestens 300 Leute, 400 gar, habe der ehemalige Polizeioberrat Peter Link geschätzt. „Das war der Wahnsinn“, sagt Christof Popp, damit habe er nicht gerechnet. Die Nürnberger sind gekommen, weil es ums KOMM geht. Weil mit diesem Buch über 23 Jahre (1974 – 1996) selbstverwalteter Kultur mitten im Herz dieser Großstadt ganz viele Erinnerungen wach werden, die für die Menschen, die dabei waren, bis heute prägend sind.
Michael Popp hat das KOMM mitbegründet, sein Sohn Christof das Buch darüber zu Ende gebracht. Am 2. Dezember startet nun eine Gesprächsreihe, die die offenen Fragen, die sich daraus ergeben, ins Künstlerhaus zurückbringt. „Das KOMM“, sagt Christof Popp, „war das zentrale Projekt im Leben meines Vaters, sein Baby.“ Aber auch für ihn selbst hat dieser Ort, aus dem später das K4, dann das Künstlerhaus wurde, die Weichen für den weiteren Lebensweg gestellt.
Als Michael Popp das KOMM zusammen mit Kulturreferent Hermann Glaser erfindet, ist Christof drei Jahre alt. Sein Vater hat an der Münchner Akademie Kunsterziehung studiert und wird in einer Zeit des allgemeinen Aufbruchs Teil der Künstlergruppe KEKS. Die Gruppe will Kunsterziehung neu denken, integriert Performance, Aktion und Alltagsmaterial und sucht nach der gesellschaftlichen Wirkung ihres Tuns. KEKS wird zu Tagungen nach New York und zur Kunstbiennale in Venedig eingeladen.
Geprägt von diesem Spirit trifft Michael Popp in Nürnberg auf den umtriebigen, progressiven Kunstreferenten Hermann Glaser.
„Das gesamte Streben von Hermann Glaser“, sagt Christof Popp, „war geprägt von der Erfahrung des Nationalsozialismus und ausgerichtet auf gesellschaftliche Veränderung: Wie schaffen wir eine Gesellschaft, die gefeit ist vor totalitären Tendenzen? Wie schaffen wir Räume, in denen Menschen sich zu eigenständigen, selbstreflexiven Wesen entfalten können?“
Ein solcher Raum soll das ehemalige Künstlerhaus, eine Ruine im Herzen der Stadt, werden. Ein Kulturzentrum, das Möglichkeiten bietet, selbst in Aktion zu treten, selbstverwaltet und basisdemokratisch, aber städtisch finanziert. Im Sommer ´73 öffnet das KOMM erstmals für einen Probelauf nach diesem Glaser-Popp-Konzept. Christof: „Es war kurz vor den Sommerferien und die Hütte voll mit Jugendlichen. Überall gab es Jugendkultur, Konzerte, Filme, Theater, Möglichkeiten, sich mit Getränken zu versorgen und einfach zwanglos zu sein. Man muss sich das, glaube ich, wie eine Riesenparty vorstellen.“
Eine Anlaufstelle, insbesondere dieser Art, gab es für junge Menschen in den 70er-Jahren in Nürnberg nicht. Das Künstlerhaus soll also KOMM bleiben: basisdemokratisch und selbstverwaltet durch die Vollversammlung, gleichzeitig städtische Dienststelle, eine eigentlich paradoxe Situation. Michael Popp wird städtischer Amtsleiter einer Institution, die eigentlich keinen Leiter haben kann. Nicht selten seien er und Glaser von Aktiven im KOMM wegen ihrer Beamtenrolle angefeindet worden. „Popp ist doof“ steht an den Wänden. „Aber sie standen immer wie Schutzpatrone über dem Projekt. Weil sie fanden, wir brauchen solche Räume, das ist gut für uns als Gesellschaft.“
Es ist der Beginn von 23 Jahren Kommunikationszentrum in Nürnberg. Das KOMM entwickelt sich in der Folge zu einer Art Bienenstock, allein architektonisch unüberschaubar: In jeder Ecke passiert etwas, hier Kino, da Konzerte, dort die Werkstätten, die Videothek, die Kameras verleiht, das Radio im Keller. Eine Stadt in der Stadt, ein Ort der Selbstermächtigung und des politischen Bewusstseins, der skandalösen Massenverhaftungen, später Politikum und angeblicher Sündenpfuhl. All das ist nachzulesen im Buch, das Michael Popp im Jahr 2013 zu schreiben anfing. Die Veröffentlichung seiner Erinnerungen erlebte er selbst nicht mehr.
Auch sein Sohn wäre wahrscheinlich nie Künstler, Bildhauer, geworden, wenn es das KOMM nicht gegeben hätte. Im Rahmen der Schüler-Kunsttage Mitte der 80er-Jahre sind Schüler*innen der Region einzuladen, die Ausstellungsräume des KOMM für ihre eigenen Arbeiten zu nutzen. Popp: „Ich konnte dort zum ersten Mal etwas umsetzen, was mich bis heute wahnsinnig interessiert, eine Rauminstallation.“ Eine Woche lang arbeitet er in „seinem“ Raum im KOMM, bohrt in den Boden und spannt alles mit Schnüren ab. Der Ort, den er vor allem als Konzert- und Kinobesucher kennt, wird zu einem, den er als Künstler mitgestalten kann: „Das war ein zentrales Erlebnis“, sagt er heute.
Im November 2017 gibt es das KOMM in dieser, selbstverwalteten Form seit 20 Jahren nicht mehr. Sein Erfinder ist schwer erkrankt. Immer wieder erleidet Michael Popp Absenzen, bei einem Sturz bricht er sich den Oberschenkelhals. „Er wusste, dass er das Jahr nicht überleben würde.“ Täglich besucht Christof seinen Vater im Krankenhaus. Er sei nur noch Haut und Knochen gewesen, nur noch Geist, doch der arbeitete weiter, immer weiter. Nach zwei Wochen hätten die Ärzte ihn zur Seite genommen und ihm klar gemacht, welche Bedeutung dieses Buchprojekt für seinen Vatter hat.
„Drei Wochen lang hat er geglaubt, er kommt noch mal raus und bringt das Buch selbst zu Ende. Bis er gemerkt hat: Das wird nix.“
Christof Popp erbt das KOMM-Buchprojekt, das zu dem Zeitpunkt aus zahllosen zusammengetragenen Kopien von Kopien besteht, Schnipsel, Einzeltexte, Material in Ordnern, ein Wust in verschiedenen Stadien der Fertigstellung. „Mir war klar, wenn ich das mache, dann darf ich mich auch frei fühlen, das auch zu meinem Projekt zu machen.“
Fünf Jahre lang arbeitet er mit Unterbrechungen an dem Buch seines Vaters. Michael Popp habe er als einen Zeitzeugen betrachtet – und weitere gesucht und gefunden, Interviews geführt und weltweit nach Bildern von damals recherchiert. Dass aus dem Buch eine Art Bildband wurde, ist insbesondere Christof Popps Verdienst. Vieles sei ihm über diese Arbeit erst bewusst geworden und vieles unergründlich geblieben, das sei bei einem so vielschichtigen Sujet wahrscheinlich unvermeidlich. „Ich finde, dieses Unüberschaubare, Überbordende ist das, was es ausgemacht hat. Und das kam nur dadurch zustande, dass man nicht versucht hat, zu bestimmen, wohin die Reise geht.“
Nur ein Kapitel, sagt Christof Popp heute, das wollte ihm irgendwie nicht gelingen: Das, was er das „Relevanz-Kapitel“ nennt, in dem es um Fragen gehen sollte wie: Was bedeutet das alles für uns heute? Und sollte es so etwas wie das KOMM heute wieder geben? In Zusammenarbeit mit dem, was das KOMM wurde, dem Künstlerhaus, will Christof Popp diese Fragen diskutieren: Keep the Change heißt die Diskussionsreihe. „Es geht um eine Standortbestimmung: Wo stehen wir heute kulturell? Und braucht es eine Besinnung auf, eine Rückkehr zu Formen, die auch gesellschaftlich relevant sind?“
Die erste Veranstaltung, 02. Dezember, wird geprägt sein von einer Entwicklung, die für die Initiatoren nicht absehbar war: Der Sparzwang der Stadt bedroht auch Kulturorte. Auch deshalb wird Harald Riedel, Stadtkämmerer, mit auf dem Podium sitzen. Außerdem: Tobias Knoblich (Präsident der kulturpolitischen Gesellschaft), Jutta Küppers (KOMM-Mitbegründerin, Sozialpädagogin), Dieter Haselbach (Direktor des Zentrums für Zukunftsforschung, Berlin).
curt begleitet Keep the Change auch in den Folgemonaten im Heft und online und wünscht der Reihe jedes Mal mindestens 300, wenn nicht 400 Besucher*innen.
Text: Andreas Thamm
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Christof Popp
1970 in Nürnberg geboren. Abitur. Ausbildung zum Schmied, Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, Meisterschüler bei Prof. Fritz Schwegler. Lebt und arbeitet seit 2001 in Nürnberg. Zahlreiche Aufträge im öffentlichen Raum, diverse Lehraufträge an der ADBK Nürnberg, der TH Nürnberg und an der TU Wien.
Die künstlerischen Arbeiten kreisen vorwiegend um erinnerungskulturelle Themen. Seit 2020 führt er den Verlag „vieler orten“. Aktives Mitglied des Vereins BauLust e.V.
Buch: KOMM - 23 Jahre Soziokultur in Selbstverwaltung,
erschienen im vieler orten Verlag. 36 Euro.
Zur Veranstaltungsreihe:
www.kunstkulturquartier.de/kuenstlerhaus/programm/keep-the-change
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