Radikal subjektiv: Die Nürnberg-Pop-Nachlese

6. OKTOBER 2022 - 8. OKTOBER 2022, NüRNBERG

#Byrd Dhillon, #Cloudy June, #Edwin Rosen, #Festival, #Kolossus Däächt, #Nachbericht, #Nürnberg Pop, #Roy Bianco und die Abbrunzati Boys

Also, es fängt damit an, dass ich eigentlich zu Granada im Club Stereo will, wo anscheinend aber alle hinwollen, sodass ich angesichts der Schlange direkt umdrehe und in die Klarakirche einchecke. Und es endet damit, dass ich bei Kolossus Däächt später dann doch im Club Stereo lande. So war es bei mir, Andi, und wie es bei Matze und Helene war - beide ebenfalls von curt - interessiert uns natürlich auch:

Dass Kolossus Däächt fantastisch sind, muss ich niemandem sagen, der die schon einmal live gesehen hat. Wie der aggressive Schlack mit der Mönchsfrisur den Club Stereo Schraube für Schraube auseinanderbaut – das hat schon was! Da nickt auch Jan Müller von den Tocos in der ersten Reihe einerseits anerkennend und andererseits mit dem Beat. Nur lauter könnte das Ganze noch – aber das sind wahrscheinlich meine kaputten Ohren, no offense. Ich geh lieber, bevor das hier zu Ende ist, weil ich muss schlafen.

Wirklich, wirklich interessant war es aber schon vorher. Als ich in die Klarakirche reinstolpernd die letzten Songs von Byrd Dhillon mitbekomme, einem Duo, das mir vorher gar niemand jemals in den Algorithmus gespült hatte. Zwei Dudes aus Regensburg, mit Keyboard und Gitarre und ganz viel probekellerigem Geek-Charme. Ein bisschen wirken die beiden so, als wüssten sie auch nicht so recht, wie sie unter dieser Kirchenkuppel gelandet sind, vor einem erwartungsvoll aus den Bänken glotzendem Festivalpublikum, auf das sie dann noch einen und noch einen weirden, soundverliebten Slackerpopsong loslassen (reinhören lohnt sich unbedingt!). Anders und spannend, insbesondere in der Kulisse, auch wenn die Klarakirche atmosphärisch nicht ganz das hält, was sie verspricht, da ist irgendwie noch Luft noch oben.

Direkter Anschluss im Neuen Museum. Nicht, weil ich wüsste, wer Cloudy June ist, aber weil ich grad Zeit hab und in der Nähe bin. Boomerjournalistenkollegen würrden vielleicht festhalten, dass die junge Frau aus Berlin ein echtes Energiebündel ist. Cloudy June fetzt irgendwie. Fett aufgemotzte Gitarren und Bässe, gespielt von Jungs, die wahrscheinlich auch schon mal ein Fitti von innen gesehen haben und halt diese aufgedrehte, angriffslustige Sängerin, um die es hier ja anscheinend hauptsächlich geht. Und als wir dann wieder vor dem Museum stehen, schauen wir Über-30-Jährigen uns an und teilen miteinander dieselbe Frage: Was für eine Musik war das jetzt überhaupt? Denn irgendwie erinnert das krass an das, was auf unseren Stereoanlagen lief, als wir wütende Teenager waren, New Metal Vibes, Avril Lavigne anyone?, und andererseits hört sich das krass nach Gegenwart an. Das ist die Rockmusik, die die jungen Leute hören, I suppose. Ich setze eine Feuilletonistenbrille auf und bin erstaunt.

Und du so, Helene?
HELENE: Das Booking hat mit dem selbst ernannten Schlager-König Roy Bianco und seinen Abbrunzati Boys in Gefolgschaft einen italopopmäßigen Volltreffer gelandet. Auch wenn hier die Geschmäcker auseinandergehen: Die Jungs haben den Z-Bau Saal knallvoll und die meist männlichen, schmalzlockengegelten Zuschauer*innen zum Toben gebracht. Fast wie auf einem Punkkonzert trieben die weiß-rot-grün gewandeten Fans von einem Moshpit zum nächsten, zwischendrin wurde fleißig auf der Crowd gesurfed. Der König und seine Boys spielten alle Lieblingssong, jede*r konnte die eigene Textsicherheit unter Beweis stellen, alles in allem also ein gelungener NbgPop-Auftakt.
 
Edwin Rosen ist vielleicht sowas wie der Kurt Cobain der Generation Z: gutaussehend, melancholisch, verdammt talentiert. Ganz alleine stand er da mit seiner Gitarre und den Synthesizern auf der Bühne des Heilig-Geist-Saals. Dabei wurde er von vielen überwiegend weiblichen Zuschauer*innen bejubelt oder vielmehr: angehimmelt. Und das zurecht. Der 24-jährige Stuttgarter hat erst acht Songs rausgebracht, die sich musikalisch an die 80s, New Wave, Post Punk anlehnen. Alle ziemlich ähnlich: treibend und mit Herzschmerz-Texten. Für ein reichhaltiges Bühnenprogramm reicht das noch nicht, sagt er selbst, und schiebt noch zwei Coversongs ein. Zwischendrin gab es politische Statements und die Bitte, dass beim Moshpit auf die Kleineren geachtet werden soll. Ich bin gespannt, was da noch kommt! Apropos was da noch kommt ...

… kommt da noch was, Matze?
MATZE: Jahaa! Starren Blickes, mit Scheuklappen auf den Ohren, pilgere ich gewohnt nur zu jenen Acts, die ich bereits kenne und sonst nix. Schön wärs! Das Nürnberg Pop ist eine Pilgerstätte für Musikfreund:innen und lässt solch einen Ignoranten wie mir gar keine andere Wahl, als an Locations voll neuer, wunderbare Musik vorbeizuflanieren. Fast schon frech, so ein umfangreiches Bühnenprogramm.
Die erste Schaufensterattraktion sind Ukulele Insanity in der Brotzeit, denn der Laden ist bumsvoll. Zum Glück sind Gitarren umso kleiner, desto lauter, dazu der hohe Unterhaltungswert dieser wahnsinnigen Ukulelist:innen! Ein guter Start ins Band-Rodeo.
Frittenbude haben haufenweise Energie und Majo auf die Punkrock-Fritten gepackt, das höre ich sogar durch die Mauern der Katharinen-Ruine. Die Bude ist heiß begehrt und deshalb bis unter das nicht vorhandene Dach besetzt. Ich freue mich jedoch sehr für alle innerhalb, denn das klingt nach brutal viel Spaß. Nächstes Mal bin ich pünktlich, doch nun kein Verzagen, ab zur nächsten Kapelle! 
Und da ich gerade Zeit hab´ und in der Nähe bin, will ich Cloudy June kennenlernen. Auch von meiner Seite ein Chapeau, da hat jemand den Konzertraum des Neuen Museums fest im Griff. Ich will anschließend zusammen mit Andi weiterziehen und Musik entdecken, aber er meint nur:
“NEIN! DU GEHST JETZT SOFORT ZU DEN EDLEN BRÜDERN DU ALTER DEPP!” Selber Depp, da will ich sowieso hin. Und auch das ist eine hervorragende Entscheidung, denn nun kann ich von deren edler Liveperformance im Hinz x Kunz berichten. Präsentiert wird der Spaß hier von Pop-Rot-Weiss, die an dem Abend zusätzlich ein prima Videoformat gemeinsam mit den Künstler:innen produzieren – nachträglich anschauen! Zurück zur Musik! Ein dermaßen textsicheres Publikum steht da vor Giuseppe Amore, Berthold Knecht und Saxophonlegende DJ Mario Ramazotti, sodass die ersten Fanclubs wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Mag man den vielen Songpremieren in dieser Nacht Glauben schenken, werden wohl schon bald knackige Releases auf uns niederregnen wie Pistazien auf Baklava. Ja, ja, ja, wir Curtis sind und bleiben dem Rap-Pop-Charme der Brüder verfallen. 
Zu den letzten Saxophonklängen setze ich zum finalen Sprint an, denn der letzte Pflichttermin steht schon auf den Brettern im Korn’s: Die wunderbare Zweisamkeit von Jan Kerscher, aka Like Lovers, gemeinsam mit Schlagzeuger Michi Dreilich hat eine liebevolle Wucht und macht total Bock. Auch hier: Anhaltender Applaus vom ganzen Saal für eine facettenreiche und durchwegs aufregende Indie-Alternative-Performance. Curt-Kolumnist Tommy hatte Jan übrigens vor Kurzem für uns HIER im Interview! Nach dem Konzert bringen mich Andi und Helene ins Bett. Sie flüstern in meine angenehm pfeifenden Ohren, dass ich jetzt erstmal die vielen neuen Eindrücke gewissenhaft verarbeiten muss, um einen schönen Nachbericht schreiben zu können. Mission erfüllt.

Gut gemacht! Alle zusammen. Das war ein grandioses Konzert-Wochenende und Festival! Den Mehrwert des kulturellen Austausches in vielen Gesprächen, Vorträgen und Verleihungen nicht zu vergessen. Nürnberg Pop hat große Relevanz, führt Veranstalter:innen, Politiker:innen, und Künstler:innen zusammen und ist einfach ein fetzen Projekt. Wir sind stolzer Medienpartner und sagen Chapeau und Dankeschön!


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Nürnberg POP

06. – 08.10.2022
https://www.nuernberg-pop.com
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Bilder von den Veranstaltern und ihren Freunden gibt´s vor allem hier:
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