Kleine Ausflüge von Egersdörfer und Jordan 4: Unter der Burg wachsen die Trauben
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90403 Nürnberg. Durch das Tiergärtnertor, am „Wanderer“ vorbei, rechts vom Pilatushaus führen einige Treppen zum mit Kopfstein gepflasterten Sträßchen „Am Ölberg“ hinauf. Dort wo die Stufen enden, steht eine Kastanie, schüchtern blühend. „Der Baum kränkelt schon länger“, sagt Herr Fritz. „Von einem Bakterium ist er befallen und blutet an der Seite. Mag auch sein, dass er im Sommer zu wenig Wasser bekommt. Im Juli verliert er auf einen Schlag alle Blätter. Aber gerade geht’s ihm gut.“
Während der direkte Nachbar des Laubbaumes spricht, wird er von einem Gartenrotschwänzchen zärtlich umflogen. „Die Dame hat mich einige Male draußen beim Händewaschen begleitet und dabei recht neidisch geschaut. Sie wollte freilich nichts anderes, als dass ich ihr eine Vogeltränke bereitstelle. Dem Wunsch bin ich zeitnah nachgekommen.“ Mit einem Blick auf das hüpfende Tier ergänzt der studierte Soziologe und Philosoph mit einem Lächeln: „Freilich handelt es sich hier um eine typische anthropozentrische Überformung der Natur.“ Seit einigen Jahren wohnt Herr Fritz jetzt schon an der südlichen Seite unterhalb vom Pallas der Nürnberger Burg. Oft und gern habe er dort aus seinem Küchenfenster geschaut auf den kleinen Garten unterhalb der Sandsteinmauer. Weil der Mann als Weinfachberater arbeitet und sich schon seit der frühen Jugend intensiv mit der Veredelung der Traube an sich auseinandersetzt, blieb es nicht beim sprachlosen Beobachten. Der Fachmann wusste, dass es beim Weinbau eben nicht ausschließlich auf die direkte Bestrahlung durch die Sonne ankommt, sondern vielmehr auf die Abstrahlwärme, die hier von der Sandsteinmauer und auf der anderen Seite von der Hauswand ausgeht, und die einen regelrechten Kachelofeneffekt bewirkt. Deshalb fand er dort vor seinem Entree geradezu ideale Bedingungen für einen eigenen kleinen Weinberg. Der Mann handelte entschlossen. Seit einigen Jahren stehen an 45 Moselpfählen dicht die Reben, im vertikalem Kordonschnitt angebunden, auf welchen die Trauben heranwachsen, für Fritzens eigenem Naturwein „Clos Noris“. 2019 wurde der erste Jahrgang ausgiebig gefeiert. Zwischen 25 bis 45 Litern des Nürnberger „Orange Wine“ sind der Ertrag im Jahr. Gelegentlich sitzt der einzige Winzer innerhalb der Nürnberger Burgmauern dort und schaut den Trauben beim Wachsen zu, trinkt einen Schluck und gibt den suchenden Spaziergängern freundlich Auskunft, wie man zum Rosengarten oder hinauf auf den Wehrgang kommt. Als Dank sagen diese im Weitergehen, dass sie an der Stelle auch gern verweilen und mit ihm trinken möchten und amüsieren sich ein wenig über die übersichtlichen Weinreben. Der leidenschaftliche Kleinwinzer lächelt milde, trinkt ein kleines Schlückchen und denkt sich seinen Teil. In seinem Keller reift inzwischen der Rebensaft.
Heute heißt die Gegend, wo der Fritz wohnt und Wein anbaut, wie schon erwähnt, „Am Ölberg“, aber noch um 1800 war sie unter dem Flurnamen „beim Weinberg“ bekannt.
(Quelle: „Nürnberger Weinlesesbuch, Spätlese“, Verlag Erna Hofmann Seite 12, 2002)
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Matthias Egersdörfer / www.egers.de
Michael Jordan / www.ansichten-des-jordan.de
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