Kleine Ausflüge von Egersdörfer und Jordan 2: In den Genusswelten des Hauptbahnhofs
#Hauptbahnhof, #Kleine Ausflüge, #Kolumne, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan
Vor über einem Jahr hat sich der Egersdörfer in sein altes Auto gesetzt und ist nach Tennenlohe gefahren, zum „Walderlebniszentrum“. Dort nahm er sein Notizbüchlein und den Kugelschreiber und ist losgegangen, um zu sehen, was es mit diesem Wort auf sich haben könnte. Der Künstler Michael Jordan aus Erlangen ist Zeichner und Druckgrafiker. Die beiden können sehr gut gemeinsam im Biergarten ohne Eile sitzen, trinken und gelegentlich sprechen. Und so fuhr auch der Jordan einmal in das „Walderlebniszentrum“ nach Tennenlohe und zeichnete dort, was er sah. Der Beitrag erschien in unserer letzten Ausgabe. Das war so gut, das machen sie jetzt öfter: Jordan zeichnet, der Egers macht sich Notizen, und im curt kann man dann erfahren, was hierbei herausgekommen ist.
Durch die Postleitzahl kann man die Orte finden, vielleicht, an die es die beiden Herrn verschlagen hat. Gut, den HBF findet man auch so.
90433 Nürnberg.
Aus langen, schmalen Schlitzen in der Decke drang grellgelbes Licht und erhellte die undurchschaubare Gastronomie-Passage im Bahnhof. In diesem Zwischenreich war schnell vergessen, ob es sich um ein Wunschbild des Tages oder der Nacht handelte. An einer Säulenattrappe hingen zwei schwarz beschirmte Lampen, die das Zwischenreich aus Tag und Nacht illuminierten. Weitere Lichtkuben in verschiedenen Größen verströmten einen mayonnaisefarbenen Fieberwahn. Die Augen der Bedienung sahen knapp über einer schwarzen Maske hervor. Der Kragen ihres weißen Hemdes war mit einer roten Krawatte eng gebunden. Die Stimme der Frau klang leise und gedämpft. Ihre Finger mit den lila Nägeln stellten Getränke auf kleine runde Tische vor den Sitzenden ab, die in die Flüssigkeiten starrten. Ein dumpfes Schlagzeugklopfen rührte durch die Zeitlosigkeit des erträumten Raumes. Darüber versuppte gelangweilter, halbfideler Gesang, Orgelgeklingel und Gitarrenscheppern im Rauschen der Klimaanlage. Die rätselhafte Logik des Raumes war in einem dezenten Mischgeruch aus E-Zigarrendüften, Putzmittel und gegrilltem Fett gehüllt. Menschen bewegten sich in mausbraunen Anoraks, zogen Rollkoffer hinter sich her und trugen Pappbecher in Händen. Ihre schielenden Blicke irrten im Verhau der Architektur. Stockend liefen sie auf dem Holzimitatboden, der sich abwechselte mit einem Grauplattenweg. Dann ließen sie sich nieder auf der plastikgepolsterten Sitzbank. Darauf waren Kissen drapiert mit geometrischen Motiven auf grauem Grund. Die Ruhelosen verharrten stumm, von einer durchbrochenen Holzrotunde umkreist. Abgesägte Birkenäste hingen an Schnüren von der Decke, um die sich durch Plastikefeu rotweiß-karierte Bänder schwangen. An diesen baumelten weiße und braunlackierte Bastgitterherzen. Diese Geäst-Organ-Konstruktionen schwebten wie Menetekel an mehreren Stellen. An der Bar, vor einem kupfernen Braukessel-Blendwerk, unter einem der Launengalgen, saß ein Mann mit seinem Bier und tippte auf seinem Handy, als würde er in den Haaren seines Sohnes nach Läusen suchen. Er trank schluckweise und oft. Behielt kurz die Kleinigkeit im Mund, spülte die Zahnzwischenräume und ließ schließlich die Flüssigkeit den Hals hinunterlaufen. Dann griff er wieder nach dem Glas, saugte die Flüssigkeit daraus, tippte und starrte auf ein Regal mit lauter leeren, braunen Flaschen. An der Wand daneben hing das Bild eines Fachwerkhauses mit spitzem Dach. Fast im selben Farbton der Dachziegel saß vor der großen Fotografie eine ältere rothaarige Frau mit grafisch gelösten Augenbrauen. Aus ihrem beigen Kleid wuchs der Baumhals. Um ihn herum schwang sich schwer eine Silberkette. Ein glatzköpfiger Mann mit Kopfhörern und Tuch um den Hals trank Weizenbier. Er rieb sich die nackte Stirn, schob mit den Fingern Runzelwellen über die Augen. Dabei stierte er in die Unendlichkeit des Nachmittags. Links davor saß ein anderer Mann mit rosiger Haut, getrennt durch eine Säule von einer Brillenfrau. Beide thronten auf kleinen Stühlchen vor ihren Tischchen. Beide winkten sich und gestikulierten stark und deuteten in alle Richtungen. Im Überschwang legte die Dame ihr dünnes Bein auf die Tischplatte. Sofort erschrak sie über sich selbst und blickte sich um, ob sie dabei vielleicht beobachtet worden sei und stellte ihr Körperteil mit Lachen plötzlich ruckhaft auf den Boden. Daneben leuchtete matt die Fototapete vom Meer, Dünenlandschaft mit Leuchtturm und blauem Himmel. Auf der anderen Seite, um die Säule einer schwer zu entschlüsselnden Aufzugmetapher, hatten borstige Männer mit solidem Schuhwerk, wattierten Jacken und zum Teil vielfarbigen Handwerkerhosen Platz genommen. Sie tranken das Bier direkt aus der Flasche.
Sie stupsten und klopften sich gegenseitig die Schultern ihrer kompakten und runden Oberkörper. Sie mahnten einander, wenn einer zu laut wurde. Die Spezialisten verließen zwischendurch die Plätze und kehrten in wechselnden Konstellationen zurück. Wie Felsen standen sie in dieser absurden Landschaft und überragten diese. Und sie holten immer wieder neue Flaschen und brachten immer wieder neue Geschichten und lachten wacker Löcher in die Illusion.
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Matthias Egersdörfer / www.egers.de
Michael Jordan / www.ansichten-des-jordan.de
Egersdörfer war zuletzt in den BR-Radiospitzen zu hören mit seinem Monatsrückblick für den März.
Am 1. Mai um 20:15 kommt der neuen Frankentatort, da profiled Egi auch wieder. Diesmal geht´s um einen toten ITler! Wir hören den Egi schon witzeln: „Der is hi, der vom IT.“ Und: „In der rechdn Hand die Maus, in der linken den Naggdmull – dybbisch IT.“ Naja, so stellen wir uns das vor. Mal sehen!
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