Theobald O.J. Fuchs: Urlaub in Transgeranien
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Unser lieber Theo alias Theobald O.J. Fuchs erzählt in diesem Beitrag eine alte Geschichte aus seinem Leben, und zeigt uns dabei auf, welche Abenteuer man auf dem Weg zu einer Wendeltreppe erleben kann.
Vor vielen Jahren machten wir eine Reise nach Transgeranien. Mutter wollte dort eine Wendeltreppe kaufen. Von einer bestimmten Marke, die damals total angesagt war. Meine Mutter schwor schon immer auf Markenware. Sie wollte eine Z&C-Wendeltreppe – solch eine oder keine. Die gab‘s seinerzeit nur in Transgeranien. Heute gibt‘s die Firma gar nicht mehr. Vater gab irgendwann nach. Es wurde ihm zu blöd, jeden Tag die Klappleiter aus dem Keller zu holen, um ins Schlafzimmer zu klettern.
Damals gab es noch die berühmte Eiserne Mauer quer durch Europa. Wir mussten eine offene Tür suchen, aber Ungarn und Rumänien hatten geschlossen. Also nahmen wir die Route über Lwow, Przemysl und Krk.
Wir hatten das Beste der 70er für unsere verwöhnten Ohren auf die Fahrt mitgenommen. ABBA, Sailor, Queen und das spanische Pop-Duo Baccara. Das Beste der 80er hatten wir zwar nicht – dafür war es noch zu früh –, aber im Prinzip lief unser eigenes Radio F.
An der Grenze dann das volle Programm. Alle Koffer raus und ausgeleert, die Oma, die zwischen uns Jungs auf dem Rücksitz saß und ein friedliches Nickerchen machte, wurde geweckt und ihre Stricknadeln durchsucht. Die Grenzer fanden nichts, was in ihrem Land verboten war, darüber ärgerten sie sich mit jeder Minute mehr.
Schließlich kam der Hauptmann in Unterhosen und mit Lockenwicklern aus der Grenzwächterhütte, wo er mit einem weißen Elch Karten gespielt hatte. Er (der Mensch) sah ein wenig aus wie Lampe, der CURT-Chef, aber das lag wohl nur an der Frisur. Der Hauptmann befahl, auch die Reifen unseres Autos zu öffnen, da sei bestimmt armenischer Kognak drin, fluchte er. Da hatte meine Mutter, die gebrochen Transgeranisch sprach, die rettende Idee. Ihr war aufgefallen, dass in der Hütte lediglich Marschmusik von einem ausgeleierten Band lief.
Das Land war durch und durch schrecklich. Überall Atomkraftwerke, in jedem Hühnerstall stand eins. Frauen hatten keine eigenen Namen, in jedem Ort hingen Plakate, die das Verbot von Journalismus und öffentlichem Rundfunk forderten. Unter jeder Wiege tuckerte ein Dieselmotor, der die Kleinkinder schon an den Qualm von verbranntem Öl gewöhnen sollte – die einzige Immunisierung, die man hier erlaubte. Männer hatten kurze Haare, aßen rohe Igel und schmiedeten Wendeltreppen. Gurkensuppe gab‘s nur an Donnerstagen, an den anderen Tagen Bärentatzen in Öl aus der Dose, dazu Wodka. Mir und meinem kleinen Bruder, der noch nicht lesen konnte, was auf der Dose stand, schmeckte es. Aber meiner Mutter nicht. Sie verlangte nach Krautwickeln, nichts anderem.
Einmal gelang es meinem Vater, seine kaputte Jeans-Unterhose gegen einen halben Hackbraten einzutauschen. Total illegal, so eine Aktion. Sofort tauchten drei vierschrötige Typen auf, die auf dem Rücken ihrer Uniformjacken die Aufschrift »Superstrenggeheime Staatspolizei« trugen. Wir wurden sie nur los, indem wir ihnen den Fernsehapparat schenkten, den Oma heimlich eingepackt hatte.
Nachdem wir von der Grenzstation aufgebrochen waren, besaßen wir noch eine einzige Kompaktkassette. Zwar ein epochales Meisterwerk der zeitgenössischen Musik, ein Kleinod, ein Geniestreich. Aber trotzdem: vier Wochen lang drehte sich diese eine einzige Kassette im Abspielgerät, das während der Fahrt keine Sekunde ausgeschaltet werden durfte. Wegen irgendetwas mit der Kühlung, erklärte mein Vater, aber genau weiß ich es nicht mehr.
Die Horde Soldaten war mit unseren anderen Kassetten in die Hütte gestürmt und gleich danach hatte „Waterloo“ mit voller Lautstärke aus allen fensterscheibenlosen Fenstern gedröhnt. Nur einer der Grenzer, der jüngste von ihnen, war bei uns geblieben und hatte Vater geholfen, den Motor, den sie in alle Einzelteile zerlegt hatten, wieder zusammen zu bauen. Ich glaube, der Typ stand damals schon auf Punk, ohne zu wissen, dass es das bald geben würde.
Währenddessen bügelten Mutter und Oma nochmal alle Hemden und T-Shirts. Als Vater den Kofferraumdeckel zuschlug, erklang drinnen gerade der Chor von „Bohemian Rhapsody“ mit 1000 Watt, der Elch sprang auf den Tisch, der Hauptmann schlug zum Abschied ein Rad. Wir waren drin im Land.
Der Kauf der original Z&C-Wendeltreppe dauerte dann ganze 7 Minuten. Endlich hatte meine Mutter, wonach es sie so sehr verlangt hatte. Wir luden das Ding in den Kofferraum, weckten die Oma, und Vater ließ die Reifen im Staub quietschen.
Danach vier Wochen Baden am Potzblitzer Meerbusen. Das war sehr schön. Und die Texte von Fredl Fesls drittem Album kann ich noch heute alle auswendig.
Holertütolitütü!
Theobald O. J. Fuchs
Und was treibt er so im Februar und März? Was ein Fuchs im Vorfrühling eben so treibt: Gründlich nachdenken, das Winterfell ausbürsten, seine Kurzgeschichtensammlung „Der beste Freund des Menschen“ (edition blumen) verchecken, zum Biertrinken beispielsweise nach Rohrbach fahren, Buchstaben zählen und nach Farbe sortieren. Live zu sehen ist er bei LESEN FÜR BIER mit Kathi Mock am 23.02. im PARKS.
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Theobald O.J. Fuchs. „Der beste Freund des Menschen“ wurde illustriert von Christian E. Dümmler. Ein Heft mit 28 Seiten voller Wunderlichkeiten, liebevoll gebunden und grundschön gestaltet für Gourmets.
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