Matthias Egi Egersdörfer: Gesine und Ulrich

SAMSTAG, 1. JANUAR 2022, FELD UND FLUR

#Kolumne, #Matthias Egersdörfer, #Mountainbike, #Shortstory

Über Wurzeln, Felsspitzen und durch tiefen dunklen Schlamm radelte der Ulrich Weigand mit hoher Geschwindigkeit mit seinem Mountainbike durch Wald und Flur auf schmalen Pfaden, dass es die Kiesel und die Erdbrocken nur so zur Seite schleuderte. Eine halbe Armlänge hinter Ulrich trat Gesine Weigand die Pedale auf dem zwei Zoll kleineren, baugleichen Vehikel. Wenn es die Wegführung erlaubte, lösten beide die neongrünen Trinkflaschen aus der Befestigung und saugten drei Schluck vom isotonischen Getränk und fuhren sich hernach blitzschnell mit den neongrünen Schweißbändern am Handgelenk über die verschwitze Stirn.

Jetzt griffen wieder beide Hände fest den Lenker. Denn schon ging’s steil einen Abhang hinab, dem zur Linken auch ein silberheller Quell hinabmurmelte, was beide im Zischen ihrer Rastlosigkeit weder sahen noch hörten. Beide trugen enganliegende schwarze Fahrradhosen mit Elchledereinsatz und schwarze Shirts mit Rückentaschen, befüllt mit zwei Maracuja-Nuss-Schnitten, wobei eine aber erst auf halber Strecke vertilgt werden soll – in hastigem Mümmeln, währenddessen man sich kurz anbrummte und zuzwinkerte. Der zweite Riegel war eine Notreserve. Im Falle eines Hungerasts würde dieser rasch vertilgt werden – während der Fahrt, denn jede unnötige Unterbrechung kostet Zeit und minimiert die Gesamtgeschwindigkeit in erheblichem Maß. Ulrich und Gesine trugen selbstredend Fahrradhelme. Bei Ulrich obenauf befand sich eine Kamera, die sich von dort oben in bestechender Qualität die Wegführung detailgenau und tiefenscharf merkte.

Die Aufnahmen des Bildaufnahmegeräts schauten sich Ulrich und Gesine gleich am nächsten Tag an. Projiziert auf der Leinwand im Medienraum der Wohnung ihres Einfamilienhauses mit Tiefgarage. Mit dem Laserpointer leuchtete der Ulrich auf einen Felsbrocken und sagte seiner Gesine, dem Klumpen hätte man nicht rechts ausweichen müssen, ob sie rechts ausgewichen wäre, weil er rechts ausgewichen sei. Sie müsse wissen, dass sie nicht immer rechts ausweichen müsse, wenn er rechts ausweiche. Wenn sie beispielsweise einen Impuls verspüre, links auszuweichen, solle sie gern links ausweichen. Oftmals beschleiche ihn das Gefühl, sie folge ihm in jedem Detail, als wäre seine Streckenführung ein Befehl, dem sie zu folgen habe. Da befände sie sich in einem Irrtum. Das habe er ihr schon einmal mitgeteilt. Das müsse er aber an der Stelle nochmals wiederholen, weil sie diesen Hinweis offensichtlich nicht berücksichtigt habe. Er könne zwar nicht immer hinter sich blicken. Gerade bei schnellen Fahrten bergab erlaube es ihm die Geschwindigkeit nicht, hinter sich zu blicken, um zu erfahren, ob sie ihrem Impuls folge oder ihm nur stur folge, als sei sie angebunden. So gingen die beiden Bildfolge für Bildfolge durch und rekapitulierten Strecke und Streckenführung.

Ulrich verschriftlichte hernach noch das Gesagte. Seit frühester Kindheit drängte ihn der Gedanke, Strecken, die er zurückgelegt hatte, detailliert zu erfassen. Oberflächliche Kriterien in jedem Bereich der Lebensführung haben ihn schon immer fast erbost. Sein größter Wunsch ist es, die Landschaft wie eine Partitur vom Anfang bis zum Ende zu begreifen. Er will nicht dieser müde Zuhörer sein, der während der Existenz-Aufführung in seinem Polsterstuhl leicht hinwegdämmert oder abschweift, während sich das Orchester müht, sich an die Taubenabwehr am Balkon oder die Turnschuhe, bei denen sich schon die Sohle löst und die vielleicht baldigst ersetzt werden sollten, oder andere möglichen Abseitigkeiten hinwegdenkt. Er will sein Leben und die Bilder seines Lebens nicht vorbeirauschen lassen wie einen Zug, dem man von rechts nach links hinterhersieht, weil man selbst vor der heruntergelassenen Schranke stehen muss. Er will die Strecke verinnerlichen mit durchgehender Wachheit. Nicht nur beim Forte und den eingängigen Melodien möchte er aus seinem Tran erweckt werden. Die Hinführungen möchte er merken und spüren, den Anstieg zum höheren Moment. Die Weiterführung. Die Ausschweifung. Die Abfolge der Landschaft, eine Abfolge von Noten. Das Hintereinander der Welt will er im Gesamtbild vor sich liegen haben und die Strecke dirigieren mit allem Wissen um Farbigkeit und Temperaturschwankungen im Vorder- und Hintergrund. Schmecken möchte er das Gebüsch. Wo die Schlehen wachsen. Der Neuntöter die Mäuse an Dornen hängt. Das Gehölz, das der Wiese vorausgeht. Nach dem ersten Blühen wurde das Gras dort gesenst. Vom alten Endress mit dem offenen Bein. Die Kirschbäume stehen in Reihen. Gelbrot hängen sie unter dem Grün. Dahinter das Haus aus grauem Stein. In der Dachrinne wächst hoch das Moos. Am Rand des Dorfes. 87 Einwohner. Seit Juli eine Person mehr. Dem Untheim seine Tochter hat einen Buben zur Welt gebracht. Neun Stunden hat es gedauert. Unter der Anhöhe. Im Schwedenkrieg ist da ein Fuhrwerk hinabgestürzt. Die Pferde haben gescheut. Darüber der weite Himmel. Ein Moment wäre das. Das will er eben nicht, dass man sagt: Man sei in x losgefahren. An einer Wiese mit Obstbäumen vorbei. Auf halber Strecke stehe rechter Hand ein altes Feldkreuz. Kurz darauf der Gasthof. Verhasste Oberflächlichkeit.

Da schmerzt es ihn sofort an der Schläfe. Er weiß nicht, wohin er schauen soll, wenn er jemanden so etwas sagen hört. Das sagt er dann unaufgefordert griechische Philosophen auf. Murmelt, soweit bekannt, Geburts- und Sterbedatum. Nach einem kurzen Abriss der Biographie nennt er die Hauptaussagen des Werkes. Senkt seinen Kopf tief auf seine Brust. Mit dicht am Leib gestreckten Armen. Kneten seine Finger die Luft. Als vergeudete Lebenszeit gilt ihm das. Bei so was wird ihm erst unwohl. Dann zeigen sich bei ihm Symptome einer Lebensmittelunverträglichkeit. Als wasche man sich mit einem prämierten Weißwein die Hände, sagt er dann. Den Satz sagt er immer wieder. Erst leise murmelnd. Dann immer lauter. Dann brüllt er den Satz. Lässt man die Welt an sich vorbeirauschen, wie in partieller Bewusstlosigkeit, brüllt er auch oft.
Ulrich arbeitet an einem Panorama, das bestenfalls jeden Meter beschreibt. Nah geht der Blick ins Detail und dann zieht er wieder die Welt weit auf. Die digitale Technik ermöglicht ihm diesen Traum zu verwirklichen. Immer wieder fuhr er mit Gesine dieselbe Strecke. Immer wieder filmte er die gesamte Strecke mit der Kamera auf seinem Fahrradhelm. Anschließend besprach er die Fahrt mit der Partnerin. Hernach vervollständigte er seine schriftlichen Aufzeichnungen mit den aktuell aufgenommenen Bildern und seinen neu verinnerlichten Einsichten.

Denselben Helm mit dem scharf geschalteten Aufnahmegerät pflegt der Ulrich auch oft beim Liebesspiel mit seiner Gesine zu tragen. Kein redender Laut unterbrach die Stille. Nur tiefe Seufzer, schallende Küsse und das laute Klopfen zweier in Entzücken verlorener Herzen belebten die stumme Szene. Jede Ader war zum klopfenden Puls geworden, und das süßeste Gefühl ging in das seligste Unbewusstsein über, das zärtlichste Bewusstsein verlor sich im süßesten Nichtgefühl. Der Termin wurde stets von beiden besprochen und anberaumt. Direkten Termindruck vor und nach der leiblichen Vereinigung vermieden die beiden schon im Voraus. Gleich am nächsten Tag beschauen und besprechen sie dann gemeinsam in gelöster Stimmung bei einem Glas Weißwein diverse Situationen des Beischlafs. Wie sie da seinen Hosenbund so resolut und doch auch zärtlich gegriffen habe und dann fast zaghaft suchend mit Daumen und Zeigefinger den Reißverschluss heruntergezogen habe, dass habe er genossen auf hohem Niveau, sagt der Ulrich der Gesine mit einem genießerischen Lächeln. Er zeigt mit dem Laserpointer auf den kleinen, abgespreizten Finger beim Öffnen der Hose. Sie mochte sein Grunzen. Fröhlich klang das und gleichzeitig so säugetierartig brünstig und durch dieses rüsselnde Schnauben hätte sie gewusst, dass sie in ihrem Tun richtig lag. Und da habe er sie „Sau“ geheißen, in ihr Ohr habe er das geflüstert. Tatsächlich habe er sie bislang nie als „Sau“ tituliert. Oft schon habe er sie „Täubchen“ genannt, gern auch „kleine Bärenfrau“. Ulrich stoppt die Wiedergabe des Liebesfilms. Ob er ihr gegenüber wirklich noch nie das Wort „Sau“ benutzt habe, möchte er jetzt fast ernst wissen. Das sei das erste Mal gewesen, soweit sie sich erinnern könne. Es läge doch auf der Hand, das Wort sei doch freilich im Stande, die Flammen des Eros noch höher hinaufschlagen zu lassen. Da gab sie ihm recht und bekräftigte seine Meinung und bekannte, dass sie das gern höre. Wobei sie jetzt im Nachhinein die Positionierung des Ausdrucks an der Stelle für ein wenig verfrüht halten würde. Als er „Sau“ gesagt habe, wären sie noch bei der Ouvertüre gewesen. Sie dachte kurz nach. „Sau“ solle er sagen, wenn er mit einer Hand schon zumindest eine nackte Brust gegriffen habe. Sie möchte vielleicht erst „Sau“ genannt werden, wenn dem Gesagten das Lecken einer Brustwarze vorausgegangen wäre. Dann lächeln sich beide an. Dann nippen beide am Wein und lassen die Aufnahme weiterlaufen, unterbrechen immer wieder, um das Geschehene zu analysieren bis zum Höhepunkt und dem seligen Ausklang.   

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Dates und Infos zu „Egersdörfer und Artverwandte“, „Carmen oder die Traurigkeit der letzten Jahre“, „Nachrichten aus dem Hinterhaus“, „Theater Dreamteam“, „Mündlich“ mit Heinrich Filsner ... immer aktualisiert auf www.egers.de




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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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TAFELHALLE. Es ist ja nicht so, als ob der feine Herr Matthias "Egi" Egersdörfer in der Vergangenheit von den Preisjurys ignoriert und übergangen worden wäre. Das nicht selten unflätige Gebaren dieses grob wirkenden Mannes wird seit 2007 mit verblüffender Regelmäßigkeit ausgezeichnet: Hamburger Comedy Preis, Kabarett Kaktus, Passauer Scharfrichterbeil, Stuttgarter Besen, Böblinger Fingerhut, Hassfurter Warentrenner, Göppinger Beutel, ... Einer fehlte! Und nunmehr endlich hat unser Achill den Olymp erklommen und darf sich den, noch dazu von seiner Geburtsstadt gestifteten und vom dort ansässigen Burgtheater vergebenen, Deutschen Kabarettpreis in seine stets penibel polierte Preisvitrine stellen. Er ist mit 6.000 Euro dotiert, was für einen A-Prominenten aber zweitrangig sein dürfte und wahrscheinlich mittlerweile automatisch an ein Witwen- und Waisenhaus überwiesen wird.
Aber im Ernst! Der curt ist mehr als stolz über ein Wort, das nur aus fünf Buchstaben besteht, weil wir das sagen dürfen: UNSER Egi gewinnt den Deutschen Kabarettpreis 2024. Er ist nicht nur, auch das dürfen wir hoffentlich sagen, ein Freund des Hauses, er ist auch, denn einige Gesichter hat der curt bereits kommen und gehen sehen, er ist, das dürfte korrekt so sein, unser langjährigster Schreiber, der seit hunderten und hunderten von Ausgaben unser schönes Heft einleitet. Der Herr Egersdörfer ist einer, der nicht nur, wie es die Jury beschreibt, mit Mut, Vielseitigkeit und Beharrlichkeit seinen Platz in deutschen Kabarettszene erobert hat und mit seinem Bühnenego auf manchmal verstörende Weise Schmerzgrenzen auslotet, nein, er ist auch einer, der sich trotz hallenfüllender Tourneetätigkeit landauf, landab und einem Millionenpublikum im Öffentlich Rechtlichen Fernsehen, nicht zu schade ist, mit absoluter Verlässlichkeit sein Textchen für die kleine Kulturpostillenklitsche in der Heimat abzuliefern. Damit unsere Leser:innen sich in jedem Heft wenigstens für die zwei bis vier Seiten auch mit Literatur mit Anspruch auseinandersetzen dürfen. "Im deutschsprachigen Kabarett gehört Matthias Egersdörfer zu den ganz großen Geschichtenerzählern" – und im Nürnberger Kulturmagazinjournalismus erst recht!
Vielen Dank, Matthias, und herzlichen Glückwunsch! Er trifft bestimmt nicht den Falschen, dieser Preis.
www.egers.de

Förderpreis LARA ERMER
Der Förderpreis des Deutschen Kabarett-Preises für das Jahr 2024, dotiert mit 2000 Euro, vergeben vom nürnberger burgtheater, geht an LARA ERMER, geboren in Fürth, mittlerweile leider abgewandert, aber immer noch auf den hiesigen Bühnen zu sehen. Lara Ermer besitzt die Gabe aktuelle Zeitgeistthemen so zu beleuchten, dass daraus absurd-komische Miniaturen entstehen. Thematisch führt sie dabei souverän die satirische Pionierarbeit ihrer Vorgängerinnen fort. Den jungen Frauen im Kabarett gibt Lara Ermer eine starke Stimme. Bitte mehr davon!
www.laraermer.com

Sonderpreis SEBASTIAN 23
Sebastian Rabsahl, auf der Bühne bekannt als Sebastian 23, ist ein Pionier der Poetryslam-Szene. Er verbindet gekonnt und zeitgemäß Wortspiel, Musik, literarische Kurzformen und Politik. Mit seinem kabarettistischen Schaffen bespielt er alle aktuellen Formate der öffentlichen Präsenz gleichermaßen. So überwindet er virtuos die Genregrenzen und erweitert den Spielraum für seine Themen.
www.sebastian23.org

Der Verleihung, moderiert von Luise Kinseher, findet am 11.01. in der Tafelhalle statt.
www.burgtheater.de

Am 24.01. präsentiert der Herr Egi dann sein neues Programm im Gutmann am Dutzendteich:
www.gutmann-nuernberg.de  >>
REICHSPARTEITAGSGELäNDE. Im letzten Review ging es um die Frage, inwieweit eine innere Erinnerungsarbeit mit physisch erfahrbaren Elementen aufklärerisch und ästhetisch funktionieren kann, am Beispiel der Holzschuharbeit von Harald Kienle für Hersbruck. Über diese Beobachtung und den größeren Kontext einer kreativen Erinnerungsarbeit spreche ich im folgenden Interview mit Hajo Wagner. Alle gestellten Fragen wurden unverändert schriftlich beantwortet, die Antworten wurden inhaltlich nicht verändert.  >>
Kultur  19.10.-15.11.2024
NÜ/FÜ/ER.
Text: Tommy Wurm
Oktober und November sind die perfekten Kabarett- und Comedy-Monate. Draußen ist es dunkel und die Seele braucht Wärme, Freude und Humor. 
Hier eine subjektive Auswahl, die euch den Herbst versüßen soll. Witzig, oder?

Fee Bremberck  –  Erklär’s mir, als wäre ich eine Frau 
19.10., Burgtheater Nürnberg
Die 30-Jährige Münchnerin Felicia “Fee“ Brembeck ist eine vielseitige Künstlerin. Sie schreibt Bücher, gewinnt Preise beim Poetry-Slam und hat einen Masteranschuss in Operngesang. Ihr aktuelles Programm “Erklär’s mir, als wäre ich eine Frau“ dreht sich um das leidige Thema Mansplaining. Gutgebildete Männer in den besten Jahren erklären jüngeren Frauen die Welt. Klar, sie meinen es doch nur gut, oder? Viele wahrscheinlich schon, aber das ändert ja nichts an der Tatsache, dass diese verbale Übergriffigkeiten schon immer ein No-Go sind. Fee erörtert dieses Thema mit viel Witz und Charme, nicht ohne die Torstens dieser Welt (die meisten Mansplainer dieser Welt heißen ihrer Meinung nach Torsten) klar zu benennen und in die Schranken zu weisen. Macht Spaß.   >>
AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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