GLOBAL! ART! FESTIVAL!
#Architektur, #Ausstellung, #Bildung, #Germanisches Nationalmuseum, #Kultur, #Kunst, #Museum
Wir erweitern unsere musealen Strecken und springen dabei von der Zukunft (Deutsches Museum Nürnberg) zurück in die Gegenwart, genauer: an den Kornmarkt und an die Straße der Menschenrechte. Hier wird nicht nur Geschichte aufgearbeitet und dargestellt, sondern man bietet Raum und Flächen für zeitgenössische Kunstevents. Unser Fachmann dafür, unser Kunstbeauftragter Marian Wild, stellt Fragen, die er, wenn nötig, auch selbst beantwortet.
CURT UND DAS GERMANISCHE NATIONALMUSEUM
Teil 1
GERMANISCH? NATIONAL? MUSEUM?
GLOBAL! ART! FESTIVAL!
Es ist eine zentrale Frage unserer Zeit: Was formt unsere Identität? Das Germanische Nationalmuseum wagt einen mutigen Schritt in diese für die Zukunft so wichtige Debatte und öffnet seine weitläufigen Räume dem GLOBAL ART FESTIVAL und dem zeitgenössischen, künstlerischen Dialog. curt-Kunstredakteur Marian hat sich für euch auf eine erste Spurensuche begeben.
Der BASEBALLSCHLÄGER ist ein ästhetisches Statement: Er ist perfekt gedrechselt aus naturbelassenem, gemasertem Holz, weich abgerundet an den Kanten, sich sanft verjüngend vom Kopf zum Schaft. Am Ende erwächst ein hölzerner Wulst um dem Batter, dem für den Schlag zuständigen Spieler in einer Runde des US-amerikanischen Volkssports, den bestmöglichen Grip beim Treffen des festen, faustgroßen Lederballs zu geben. „Dem deutschen Volke“ ist in sanft verschnörkelter Schrift in den Kopf eingraviert, und spätestens hier wird man stutzig: Den Schriftzug kennt man, aus Berlin, genauer von Paul Wallots Reichstagsgebäude aus wilhelminischer Zeit, als das Parlament noch mehr partizipatives Feigenblatt des Kaisers als echtes demokratisches Organ war. „Dem deutschen Volke“ steht hier in Eisenlettern über dem Eingangsportikus, 16 Meter breit und 60 Zentimeter hoch. Kein Geringerer als Peter Behrens hat die Schrifttype eigens entworfen und die Lettern aus eingeschmolzenen, französischen Kanonen gießen lassen, 1916 wurde die Widmung am Gebäude angebracht, nun nicht direkt am Vorabend, aber doch in historischer Sichtweite der demokratischen Revolution drei Jahre später.
Im Jahr 2000, also 84 Jahre, eineinhalb Weltkriege und zwei Diktaturen später, widmet der Bildhauer Hans Haacke sich der Inschrift und ergänzt im von Norman Foster neu überkuppelten, gläsern-transparent renovierten Reichstagsgebäude der alten, wiedervereinten, neuen Landeshauptstadt eine Bildhauerarbeit in einem der Innenhofkarrees. Umrankt von Bodendeckern und umrahmt von einer eleganten Steinkante, am besten lesbar beim Blick von der öffentlich zugänglichen Gebäudeterrasse, setzt er den Schriftzug „Der Bevölkerung“, in der gleichen Schrifttype wie vor ihm Peter Behrens. Nicht mehr Volk, nicht mehr deutsch: Fortan soll der Symbolbau explizit allen gehören. Das Problem mit der Widmung von 1916 ist nun also bekannt, auch wenn man dem avantgardistischen Architekten und Protodesigner Peter Behrens wohl unterstellen kann, dass er eher keine völkisch-reaktionären Tendenzen ausleben wollte; womöglich wollte er genau die Idee transportieren, die Hans Haacke später in das Gebäude einschreibt.
Die Zeiten ändern sich, und so wirkt die Widmung von 1916 heute aus nachvollziehbaren Gründen beunruhigend: Zum einen im Kontext anderer Sätze der Zeit, wie Emanuel Geibels Schlagwort „Am deutschen Wesen mag die Welt genesen“ von 1861, das im Ersten und Zweiten Weltkrieg ausgiebig zitiert wurde, mit den bekannten Folgen. Zum anderen mit Blick auf die heutige Gesellschaft, die bunter, internationaler, wuseliger, europäischer und unübersichtlicher ist denn je. Wenn der 1972 im türkischen Bingöl geborene Konzeptkünstler Miro Kaygalak diese heute so unzeitgemäßen Worte in einen Baseballschläger graviert, öffnen sich darum einige Bedeutungsebenen, nicht alle sind schön. Bereits 1744 entstand das Spiel als „Base-Ball“ in England, heute wird es überall auf der Welt gespielt, auch von rund 30.000 Menschen in Deutschland. Der Baseballschläger ist also ein internationales Sportgerät, ursprünglich ein englisches, sicher aber kein deutsches. Was übergibt man „dem deutschen Volke“ also mit diesem Schläger? Gewalt, zum Beispiel. Die angelsächsischen Schläger wurden z.B. im wiedervereinigten Deutschland der 1990er Jahre von Rechtsradikalen gegen Menschen anderer Herkunft und Deutsche mit anderem Aussehen eingesetzt, mit teils tödlichen Folgen für die Angegriffenen. Es ist womöglich das gleiche Gewaltpotenzial, mit dem man im zweiten Weltkrieg die Welt „am deutschen Wesen genesen“ ließ, könnte man nach Vertiefung in Kaygalaks Werk denken. Gewalt kann und darf nicht das Ende der so wichtigen Debatte über zentrale Worte und Begriffe eines Landes und einer Gesellschaft sein, und dieser Erkenntnis folgend werden einige der ausgestellten Arbeiten verständlich: Die Filmkünstlerin Kate Ledina, die sich als Germania verkleidet, trägt die Debatte ebenso weiter wie Alina Manukyan, die in ihrem Video das armenische Wachsgießen untersucht.
Im Großen und Kleinen, im Grundsätzlichen und im Detail, anklagend, sanft, humorvoll und subversiv stellen die über 70 Werke der 56 Kunstschaffenden des Global Art Festivals die Frage nach Identität, Herkunft, Tradition, Erinnerungskultur und Sprache, 30 Veranstaltungen ergänzen das 50 Tage umfassende Projekt, das von einem breiten Bündnis aus institutionellen und freien Unterstützer*innen getragen wird.
In Zeiten weltweit wachsender Ressentiments und unsachlicher, populistischer Debatten sendet die „Stadt der Menschenrechte“ damit ein kraftvolles Signal der kulturellen Aufklärung.
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GLOBAL ART FESTIVAL @ GERMANISCHES NATIONALMUSEUM
Kartäusergasse 1, Nbg. www.globalartfestival.de/ausstellung
Achtung, informiert euch! www.gnm.de/aktuelles/besuch-planen
ONLINEBUCHUNG DER TICKETS
für Eintritt, Führungen* + Veranstaltungen, soweit sie stattfinden:
www.gnm.ticketfritz.de
*Der Verfasser des Artikels ist am Projekt beteiligt und wird die Onlineformate durchführen
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