Rückblick: Immergut Festival 2009

FREITAG, 12. JUNI 2009



Bunte Papierschnipsel fliegen durch die Luft, im Hintergrund hängt eine feierliche „10“, auf der Zeltbühne stehen Pale und spielen ihren Hit „Hello, Lucky Thing“. Gerade noch stand mit

Kemper einer der Mitbegründer des Immergut Festivals wenige Meter neben mir und hat lächelnd die tanzenden Menschen um sich herum betrachtet. Hier scheint alles auf Geburtstagsparty programmiert zu sein. Schließlich feiert man nicht all zu oft den zehnten Geburtstag als kleines Indie-Festival und doch ist hier nichts wie es scheint, denn dieses Jubiläum ist ganz und ganz Abschied.

Schon vor einer ganzen Weile haben Pale bekannt gegeben, dass sie sich nach 15 Jahren Bandgeschichte auflösen und ihren letzten Auftritt beim Immergut Festival spielen werden. So enthusiastisch Band und Publikum diesen Auftritt zelebrieren, so traurig sind alle Beteiligten, als das Ende näher rückt und der Pathos die finalen Ansagen dominiert. Pale dürfen das, sie müssen sogar und selbst wenn man in den letzten 15 Jahren kein einziges Mal in den Plattenladen gegangen ist, um sich einen Tonträger von Pale zu besorgen, empfindet man in diesem Moment nichts außer Liebe für die Menschen vor und auf der Bühne, die sich gerade an ihrer Band erfreuen.

Es ist auch der Moment in dem man seinen Frieden mit dem diesjährigen Line Up des Immergut Festivals macht. Denn mit interessantem und aktuellem Booking in der so weit verwinkelten Schublade „Independent“ hat das in diesem Jahr eigentlich nicht viel zu tun. Vielmehr hätte das Line Up so oder so ähnlich schon beim ersten Immergut auf der Bühne stehen können, wie Patrick Wagner von Louisville Records im Voraus richtig bemerkt hat. Klar, Thees Uhlmann steht mit Tomte heute zu später Stunde auf der Hauptbühne und liegt nicht mehr nachmittags betrunken auf der Zeltbühne, Kettcar überzeugen nicht mehr nur bei Tageslicht, sondern auch zur Primetime, aber die unsäglichen Virginia Jetzt! oder die immer wiederkehrenden Samba hat man in genau dieser Form schon vor gut zehn Jahren im hohen Norden bei Neustrelitz sehen können.

Die Unterschiede liegen im Detail: Sometree wissen inzwischen, dass sie mit ihrer Musik wohl nicht reich werden, für einige Leute nach all den Jahren aber immer noch - oder mehr denn je - die berührendste Musik überhaupt machen. Eine Band wie Bodi Bill hätte es vor zehn Jahren in Deutschland noch gar nicht gegeben oder sie hätte sich in einem düsteren Keller irgendwo in Berlin verstecken müssen. Polarkreis 18 sind längst zu groß für die Nebenbühne und machen genau das, was das Immergut nie getan hat: den Erfolg mit aller Gewalt erzwingen. Die Sterne wiederum sind für das Zelt viel zu klein, weil sie immer noch eine der besten Bands der Hamburger Schule sind und The Whitest Boy Alive kommen zwar fast schon etwas zu layed-back daher, beweisen aber dass das aktuelle Musikgeschehen nicht völlig am Immergut vorbeigegangen ist. Ansonsten wenig Neues an der deutschen Pop-Front. Porous heißen jetzt The Band On The Edge Of Forever, Olli Schulz ist immer noch nicht lustig und Kapellen wie Hundreds, Luke oder Silvester sind durchaus nett gemeint, aber irgendwie hat man das alles schon mal gehört und zwar in besser.

Trotzdem bringt man gegen Ende der Jubiläums-Ausgabe Verständnis für die Bandauswahl auf, denn die hat wohl in erster Linie mit einem weiteren Abschied zu tun: Auch Kemper, der Hauptverantwortliche fürs Booking, hat bereits vor dem zehnten Immergut seinen Rückzug aus der Festivallandschaft bekannt gegeben. „Unser Leitmotiv war: Wir buchen unsere aktuellen Lieblingsbands und hoffen, dass auch andere Leute das gut finden. (...) Diese Immergut-Szene gibt es aber nicht mehr“, gibt er im Interview mit jetzt.de zu Protokoll und blickt wehmütig auf das frühere Publikum zurück: „Es laufen nur noch wenige mit Seitenscheitel, Trainingsjacke und Bandbuttons auf dem Festivalgelände herum. Die typischen Tocotronic-Fans eben.“ Stattdessen fühlt er sich von übergroßen Sonnenbrillen verschreckt und von immer mehr Menschen, die vor allem wegen der Party und weniger wegen den Bands nach Neustrelitz kommen. Man kann ihn verstehen, denn wer in den letzten zehn Jahren über den privaten Konsum hinaus irgendwie mit Musik zu tun hatte, wird nicht an Entwicklungen vorbei gekommen sein, die einen traurig, sauer oder nostalgisch haben werden lassen. Und doch muss man natürlich akzeptieren, dass sich eben alles ändert mit der Zeit - erst recht wenn es um Pop-Musik geht und um so etwas Undefinierbares wie eine „Indie-Szene“.

Als Pale sich dann ein letztes Mal vor ihrem Publikum verneigt haben, betreten The Soundtrack of Our Lives die Hauptbühne und wirken dabei wie die Totengräber, die das Immergut Festival nun würdevoll bestatten sollen. Spätestens jetzt stellt sich die Frage, ob das zehnte Immergut nicht nur ein Abschied von Kemper ist, sondern das Projekt als ganzes am Ende ist - zumindest lassen das einige Ansagen und Zwischentöne vermuten. Angeführt von Ebbot Lundberg, der nicht nur einmal an den Dude aus „The Big Lebowski“ erinnert, poltern die Schweden mit ihrem mächtigem Kraut- und Psychedelic-Rock durch die Nacht. Es ist einer der fesselndsten Immergut-Auftritte und gleichzeitig einer der schlecht besuchtesten Abschluss-Acts der letzten Jahre und es gibt wohl kein besseres Bild, um den Status Quo des Immergut Festivals im Jahr 2009 zusammenzufassen. Einen besseren Abschluss hätte man trotzdem nicht wählen können, allein schon wegen dem Bandnamen: der Soundtrack unseres Lebens. Hier bei Neustrelitz hat er stattgefunden, zehn Jahre lang. Zumindest für ein paar von uns.

Text: Sebastian Gloser
Fotos: Marika Izydor und Robert Krupar




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