Matthias Egi Egersdörfer: Hunsrück

MONTAG, 11. OKTOBER 2021, NüRNBERG

#Ausflug, #Egersdörfer, #Hunsrück, #Kolumne, #Matthias Egersdörfer

Mit meiner lieben Frau verbrachte ich Anfang September dieses Jahres einige Ferientage in einer sehr sauberen und ruhigen Ferienwohnung im Hunsrück. Einmal haben wir in einem etwas außerhalb der Ortschaft gelegenen Restaurant mit deutsch-pakistanischer Küche zu Abend gegessen. Ich verzehrte dort ein paniertes Schnitzel mit einer Pilzsauce und dazu Pommes Frites. Die Portion war sehr üppig und preiswert.

Nach dem Genuss der Mahlzeit setzte sich ein Mann in kurzen Hosen und einer Schirmmütze an unseren Tisch. Offensichtlich hatte er mich mit jemand anderem verwechselt. Nachdem sich das Missverständnis geklärt hatte, blieb er dennoch bei uns sitzen und wir konnten ein Gespräch führen. Wie sich herausstellte, arbeitet der Mann als Gabelstaplerfahrer in einer Papierfabrik in nächster Nähe. Auf Grund unserer Sprachweise erfasste er schnell, dass wir nicht aus der Gegend sind. Als wir ihm erklärten, dass wir hier Urlaub machen würden, reagierte er mit großem Erstaunen. Der Mann wollte kaum glauben, dass dies der tatsächliche Anlass sei, weswegen wir uns in diesem verlassenen Landstrich aufhielten. Wir setzten ihm auseinander, dass unsere Unterkunft sehr reinlich und obendrein ruhig wäre. Obendrein müssten wir der Vermieterin für die Räume nur einen geringen Betrag entrichten. Wir erklärten ihm auch, dass sich meine Frau kürzlich erst am Fuß verletzt habe. Insofern kämen größere Ausflüge zur Zeit für uns beide nicht in Betracht. Dann brachte ich das Gespräch auf den Betrieb, in welchem er arbeitete. Wie sich herausstellte, waren meine Gattin und ich justament zwei Tage vorher zu jenem großen Gebäude mit dem Auto gefahren. Mein Ehegespons kann ja wirklich kaum laufen. Deshalb unternahmen wir Ausflüge meist mit dem Fahrzeug. Das enorme Bauwerk war uns im Vorbeifahren aufgefallen und wir wollten wissen, was es mit jenem auf sich habe. Ich fuhr bis zum Eingang und erkundigte mich, ob hier eine Werksbesichtigung angeboten würde. Vom Pförtner wurde mir daraufhin freundlich, aber auch genauso deutlich mitgeteilt, dass so etwas nicht möglich sei. Daher erlaubte uns das Gespräch mit dem kurzhosigen Mann einen nachträglichen Einblick, mit dem wir gar nicht mehr gerechnet hatten. So erfuhren wir, dass in der Papierfabrik über tausend Personen in den verschiedensten Bereichen arbeiteten. Papier würde dort hergestellt werden, das vom Hunsrück in die ganze Welt hinaus ginge. Der Großbetrieb sei vor langer Zeit in einer Garage entstanden. Der Chef des Unternehmens wohne heute in Luxemburg. Vielleicht hielt er sich dort wegen der Steuer auf, mutmaßte der freundliche Herr. Vielleicht seien es aber auch andere Gründe. Als der Angestellte des Betriebes von uns erfuhr, dass wir uns nach einer Führung durch den Betrieb erkundigt hatten, schaute er uns an, als ob er das Gesagte akustisch nicht verstanden hätte. Dann begann er ausgiebig zu lachen und sagte, dass eine Besichtigung wahrlich nicht sehr interessant sei. Er berichtete uns von einer 40 Meter hohen Halle, in der sich auf Paletten die verschiedenen Papiere befänden. Dort würde er hin- und herfahren und die Bögen für die jeweiligen Bestellungen zusammentragen. Nach dem Gespräch sagte ich meiner Frau, dass ich dieses Gebäude durchaus einmal gern von innen gesehen hätte und Zeuge gewesen wäre, wie der Mann dort mit seinem Gabelstapler herumfuhr. Meiner lieben Frau ging es nicht anders.

In diesen Tagen unseres Aufenthaltes statteten wir auch dem sogenannten „Hunsrückhaus“, unterhalb des Erbeskopfes, der mit über 800 Metern der höchste Berg in Rheinland Pfalz ist, einen Besuch ab. Im Erdgeschoss des Gebäudes befand sich ein Café. Die Tische dort waren geschmackvoll eingedeckt. Wir blickten in alle Richtungen. Leider konnten wir kein Personal entdecken. Gern hätten wir dort etwas getrunken und auch eine Kleinigkeit gegessen.

Im ersten Stock wurde uns Zutritt zu einer kostenlosen Ausstellung zum Thema Wald gewährt. Rund um den Erbeskopf soll jetzt nämlich ein Urwald entstehen. Wenn ein Baum umfällt, bleibt er einfach liegen. Dann können ihn die Käfer und die Würmer aufessen. Vögel fressen dann die Käfer und die Würmer. Und die Wildkatzen schmausen dann die Vögel. Die Ausstellung war weiträumig. Auf aufwändigen Schau-tafeln wurden wir über alle Belange des Waldes und die Eigenschaften und Besonderheiten des Nationalparks informiert. Gut gefallen hat uns auch ein größerer Bildschirm, auf dem einige sogenannte „Ranger“ zu sehen waren. In der freien Natur saßen und standen die Mitarbeiter mit zum Teil großen, dunklen Hüten. Wenn man länger hinsah, konnte man erkennen, dass diese auch blinzelten und sich ein wenig bewegten. Und obwohl keiner etwas sagte, betrachteten wir gerne das farbige Foto.

Wenn es den Wald einmal nicht mehr geben sollte, weil vielleicht die Umweltvergiftung noch zunehmen sollte, ist diese Ausstellung durchaus geeignet, einen umfassenden Einblick zu vermitteln, wie ein Wald einmal ausgesehen hat und im Detail funktionierte. Sehr lehrreich war auch der Hinweis, dass die Bäume dort nicht allein für sich herumstehen, sondern dass sie über verschiedene Arten, wie z.B. über die zunehmende Anzahl an Borkenkäfern, miteinander kommunizieren, um alsbald Vorsichtsmaßnahmen einzuleiten. Lobenswert waren auch die vielen interaktiven Angebote. Über einen Display konnte man ein kleines Stück Land mit verschiedenen Natur-Bausteinen wie z.B. Bachlauf oder Blumenwiese bestücken und erhielt nach der Fertigstellung die Information, welche Tiere sich in der speziellen Parzelle finden ließen.

Bereitgestellt war zudem eine Klaviatur. Wenn man auf eine weiße oder schwarze Taste drückte, erschien ein Tier, das im Wald wohnt. Meine Frau war sehr begeistert und drückte eine Taste nach der anderen. Nebenbei konnte man noch in Textform Wissenswertes über die Spezies erfahren. Obendrein hörte man auch die individuellen Geräusche, welche die Lebewesen von sich gaben. Meine Frau hörte gerne ein Wildschwein grunzen. Das gefiel ihr so gut, dass sie gleich danach die Taste noch einmal drückte und das Tier, es war eine Bache, noch ein zweites Mal seine typischen Töne von sich gab. Zu den vorgestellten Tieren gehörte auch ein Uhu. Die Auskünfte waren wie bei den anderen Tieren kurz und prägnant. Beim ersten Drücken der Uhu-Taste dachten meine Frau und ich zunächst, dass man hier das Tonbeispiel vergessen habe. Deshalb drückten wir ein zweites Mal und strengten uns sehr an beim Lauschen. Es war nur ein sehr leises „Uh“ zu vernehmen. Meines Erachtens klang dieser Ruf kläglich. Meine Frau erschrak regelrecht und meinte sogar, man habe hier wohl die Äußerungen einer erkrankten Eule aufgenommen. Ich halte es für möglich, dass dieses Tier im Sterben lag. Vielleicht war es obendrein sehr scheu und die Aufnahme konnte nur aus großem Abstand gemacht werden. Mit letzter Kraft hat der oder die Uhu vielleicht noch ein schwaches „Uh“ herausgebracht, ist vom Ast gekippt und gleich darauf verstorben. Es mag ja sein, dass es sich bei dieser Aufnahme um einen Original-Uhu aus dem Hunsrücker Nationalpark handelte. Aber hätte man hier nicht auf eine Aufnahme eines gesunden Tieres zurückgreifen können? Charakteristisch ist doch das mehrmalige Rufen eines „Uhs“, also mehrmals hintereinander. So kam das Tier ja letztendlich zu seinem Namen. Würde der Vogel nur einmalig „Uh“ rufen, hätte man ihn nicht Uhu, sondern „Uh“ genannt. Erst durch die mehrmalige Wiederholung des „Uh“ zu „Uhuhuhu“ ist doch erst sein Name zu erklären. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn man den Ruf eines kalifornischen oder auch oberpfälzischen Uhus verwendet hätte, wenn er nur zur Zeit der Aufnahme gesund und munter gewesen wäre. Vielleicht spielen da aber Verwertungsrechte eine Rolle und die Verwendung der Audioaufnahme wäre zu kostspielig gewesen. Anderseits hätte man doch sicher unter Hinweis auf die Herkunft des Hörbeispiels eine Einigung erzielen können.

Nichtsdestotrotz möchte ich zum Schluss ausdrücklich darauf hinweisen, das wir den Besuch im Hunsrückhaus und im Besonderen den Besuch der Ausstellung nicht bereut haben. Einzig das Hörbeispiel des Uhu-Rufs war unbefriedigend und hinterließ bei meiner Frau und mir eine unnötige Irritation. Vielleicht kann an dieser Stelle nachgebessert werden. Ich käme sehr gerne für die Kosten auf, wenn es hier sich hier um eine einmalige und nicht zu hohe Zahlung handeln würde. Gerne überweise ich den Betrag zeitnah. Über den Hinweis in der Ausstellung, dass der neue Uhu-Ruf von Matthias Egersdörfer finanziert wurde, würde ich mich freilich sehr freuen.




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Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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