Meine Zelle war ein großer Garten – Das Buch zum Fall Banu
#Banu, #Buch, #Crowdfunding, #Dr. Marian Wild, #Menschenrechte
Der Fall der Nürnberger Ärztin Ärztin Dr. Dilay Banu Büyükavci bewegt diese Stadt strenggenommen schon seit sechs Jahren. 2015 wurde Büyükavci zum ersten Mal verhaftet und saß 34 Monate in Untersuchungshaft. Ihr wird die Mitgliedschaft in der TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) vorgeworfen – die in der Türkei verboten ist, in Deutschland aber nicht. Seit ihrer ersten Verhaftung laufen Büyükavcis Kolleginnen und Kollegen im Klinikum Nürnberg Sturm gegen die Kriminalisierung einer hoch geschätzten Fachärztin für Psychosomatik und Psychiatrie. Die Gewerkschaft ver.di hat die Solidaritätsaktion #banumussbleiben mit wöchentlichen Mahnwachen ins Leben gerufen. Man möchte die mittlerweile drohende Ausweisung von Büyükavci in ein Land, in der ihr Haft und Folter drohen, um jeden Preis verhindern. Um ehrlich zu sein: Je länger das Thema präsent bleibt, desto komplexer wird es. Und umso froher sind wir, das sich ausgerechnet curts finest Marian Wild mit der Sache für ein Buchprojekt beim Fürther Verlag starfruit publications auseinandersetzt. Um dieses Buch „Meine Zelle war ein großer Garten“ realisieren zu können, läuft derzeit ein Crowdfunding bei Betterplace. Wir haben mit Marian über den Fall und seine Arbeit an dem Buch gesprochen.
CURT: Wie und wann bist du auf den Ausweisungsprozess gegen Dr. Dilay Banu Büyükavci aufmerksam geworden? Hast du das Thema schon länger verfolgt und an den Mahnwachen teilgenommen?
MARIAN WILD: Ganz zu Beginn, ich glaube Anfang des Jahres, ist mir ein Zeitungsartikel aufgefallen. Über den bin ich mit Manfred Rothenberger ins Gespräch gekommen, wir sehen uns regelmäßig, um ein paar Buchprojekte zu besprechen, die wir zusammen stemmen. Da er selbst eine klare Haltung zu dem ganzen Fall hat, wurde ich neugierig und habe mich eingelesen.
Kannst du einmal deine Haltung zur Sache darlegen?
Ich bin entsetzt, dass ein derartiger Vorgang in Deutschland möglich ist. Dabei geht es für mich nicht um politische Richtungen, auch nicht um persönliche Sympathien für Ideen des Kommunismus, sondern um die Tatsache, dass wir alle uns darauf verlassen können müssen, dass unser Rechtsstaat durchgängig ordentlich arbeitet und die Justitia letztlich im besten Sinn blind dafür ist, wer vor ihr steht; dass es also völlig egal ist, woher man kommt oder wer man ist, wenn eine Strafe ausgesprochen wird. Aus meiner Sicht gibt es in Banus Prozess einige Ungereimtheiten, unnötige Härten und auch Unrecht. Ich will mich nicht damit abfinden, dass mein Staat Menschen mehrere Jahre ins Gefängnis und mehrere Monate dort in Isolationshaft schickt, weil diese eine politische Partei unterstützen, die nicht verboten, aber dem Staat offenbar unangenehm ist. Solche Vorgänge führen auf eine illiberale, abschüssige Bahn.
Wie kam das Buchprojekt zustande, das jetzt über Crowdfunding finanziert werden soll?
Ich bin Kunstwissenschaftler und interessiert an Kultur und Politik, der Verlag starfruit publications und dessen Verleger Manfred Rothenberger haben es sich zur Aufgabe gemacht, wichtige kulturelle Phänomene unter die Menschen zu bringen, man könnte also sagen, das Buch war quasi unumgänglich (lacht). Was Banu erlebt hat, muss festgehalten und veröffentlicht werden; aber es muss auch eingeordnet und erklärt werden. Wir wissen viel zu wenig über die Türkei, über ihre Verfassung, ihre Kultur, ihre Literatur und ihre Menschen. Darum wird unser Buch ausführlich Banus Geschichte erzählen, aber über zahlreiche „Kulturimplantate“ auch viel über die Türkei. Wir crowdfunden, weil dieses Buch das Gemeinschaftsprojekt einer mündigen Gesellschaft sein soll. Man kann bei betterplace dafür spenden und damit zu seiner Realisierung beitragen – wenn man das tut, bekommt man eine Spendenquittung und wird im Buch als Unterstützer*in genannt. Wenn man das möchte. Jeder eingehende Euro hilft dem Projekt.
Wovon willst du in dem Buch erzählen, was ist dir wichtig?
Als Banu in Isolationshaft saß, hat sie gelesen, und zwar alles Mögliche – Liebesromane, Reiseberichte. Und den „Graf von Monte Christo“: Ein Buch über einen Gefängnisausbruch, toll, oder? (lacht). Und eben türkische Literaten, Dichter, Journalisten, die durch Zufall alle in der Stadelheimer Gefängnisbibliothek verfügbar waren. Banu hat die Isolationshaft durch ihren Willen und mit der Hilfe von Kultur bezwungen. So, und jetzt kommt das Verrückte. Es gibt eine hundertjährige „Tradition“ von Gefängnisliteraten in der Türkei: Fast alle relevanten Dichter, Schriftsteller und Denker waren dort aus politischen Gründen im Gefängnis (wie Orhan Kemal, Nazim Hikmet, Kemal Tahir, Ahmed Altan oder Can Dündar) oder haben einen politischen Prozess nur knapp abwenden können (wie der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk). Es gibt also mehrere Generationen eingesperrter türkischer Intellektueller, die während der Haft die Schriften anderer inhaftierter Intellektueller lesen, die diese – wiederum teils in Haft – über andere inhaftierte Intellektuelle geschrieben haben. Das lasse ich mal so stehen.
In der Ankündigung klingt auch Kritik an der Stadt Nürnberg an. Warum, glaubst du, hält die Ausländerbehörde an dem Ausweisungsverfahren fest?
Nürnberg ist seit 1999 „Stadt der Menschenrechte“, das halte ich für deutlich besser und schmeichelhafter als frühere Beinamen. Damit geht aber aus meinem Verständnis auch eine große Verantwortung einher, die sich nicht in einer Preisvergabe alle zwei Jahre erschöpfen darf, sondern sich im alltäglichen Umgang der Stadt mit der Gesellschaft, und vor allem mit ihren eigenen Mitarbeiter*innen (wie zum Beispiel Banu, die als Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychiatrie am Städtischen Klinikum arbeitet) spiegeln sollte. Das ist mein persönlicher Grund für die Kritik.
Ich glaube, die Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde wollen letztendlich genauso alles richtig machen, mit ihren Mitmenschen gut auskommen und wie alle ein angstfreies und vom Rechtsstaat beschütztes und selbstbestimmtes Leben führen. Ich möchte die dort anfallenden Entscheidungen nicht treffen müssen. Aber ich hoffe auf Einsicht, dass in diesem Fall etwas dramatisch schief läuft.
Wie schaut deine Arbeit an dem Buch momentan konkret aus? Worin besteht die größte Schwierigkeit für dich?
Meine größte Schwierigkeit ist, dass ich kein Wort türkisch spreche (lacht). Ich konzipiere gerade die verschiedenen Ebenen des Buchs und verwebe sie. Dazu zählen ein umfassendes Interview mit Banu über Gott und die Welt und ihr Leben ebenso wie Informationen über die Hintergründe dieses Falles, die wir mit verschiedenen Experten diskutieren wollen. Aber auch ein Blick in die türkische Verfassung, und nicht zuletzt die „Kulturimplantate“: Texte und Gedichte von türkischen Literaten, die Banu während ihrer Haft gelesen hat. Manches davon wurde noch nie ins Deutsche oder Englische übertragen, das möchte ich im weiteren Verlauf der Arbeit am Buch mit Banu gemeinsam machen.
Wie geht es Banu momentan?
Sie ist sehr stark, aber das Ganze nimmt sie natürlich mit. Als wir vor ein paar Monaten ein langes Interview geführt haben, hat mich überrascht, wie sanft und emotional sie ist, und gleichzeitig wie unbeugsam. Nach dem Interview hat sie gesagt, sie mache sich Sorgen um mich, weil ich das jetzt alles mit durchmachen müsse. Das muss sie aber nicht, denn ich halte viel aus, und es ist wichtig, dieses Buch zu machen.
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Meine Zelle war ein großer Garten. Das Buch von Dr. Marian Wild über den Fall Banu.
Erscheint im Verlag startfruit publications.
Dr. Marian Wild ist Kunsthistoriker, Kurator, redaktioneller Mitarbeiter von curt
- und, frischgebacken, erster Träger des Heinz-Neidel-Forschungsstipendiums
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