Matthias Egers Egersdörfer: Im Gasthaus
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Der silberblonde Hausverwalter Rudolf Mendola schritt zwischen den zahlreichen Tischen im Wirtsgarten umher. Lau blies ein Lüftchen an diesem frühen Abend im noch jungen Jahr. Er blickte zu allen Seiten hin. Überall saßen die Menschen in ihrem brausenden Geklapper der Münder, die sprachen, kauten, lachten, riefen und maulten. Schnell atmete der über vierzig Jährige durch die breite Nase ein und durch den leicht geöffneten kleinen Mund aus. Jetzt ergab sich vielleicht, dort vor der berankten Mauer, eine Möglichkeit, dass der Suchende sich niederlassen könnte. Allda erhob sich plötzlich einer im karierten Hemd vom Stuhl. Mendola erhöhte die Geschwindigkeit, weil er die Eventualität sah, einen freiwerdenden Platz zu ergattern.
Eilig knirschte der Kies unter seinen Schuhsohlen. Kleine Steinchen flogen durch die Luft. Er sah dann aber den Herrn im gewürfelten Kleidungsstück, wie der mit plappernder Fröhlichkeit in die Gesäßtasche seiner Hose griff, um ein gelbes Büchlein mit plappernder Fröhlichkeit herauszubefördern. Als er selbiges in seinen Händen hielt und übertrieben geschwenkt hatte, setzte er sich wieder. Dort würde dieser verharren ohne die geringste Absicht, etwas daran zu ändern, begriff sogleich der vom nicht erfüllten Wunsch Enttäuschte. Mendola senkte das Haupt und kratzte mit den Fingern der rechten Hand am Haaransatz seines Hinterkopfes. Dann ging er zwischen den vollbesetzten Tischen weiter. Eine freie Sitzgelegenheit fand er nicht.
Das Gasthaus selbst war innen dunkel und kühl. Rudolf Mendola setzte sich mit dem Rücken zum Fenster. An der Wand vor ihm hing ein älteres Bild mit den Mitgliedern eines Gesangvereins. Ohne Brille konnte er die Sänger nur schemenhaft erkennen. Wahrscheinlich waren ohnehin schon alle unter der Erde. Er winkte dem Kellner. Der Kellner kam und notierte, was Mendola verzehren und vertrinken mochte. Er sagte: „Gern bringen Sie mir bitte ein nicht so kühles Hopfenbier, was ich gern tränke zur Speise, die ich anschließend, nach einer warmen Suppe vorneweg, wegen dem schönen Hunger essen mag.“ Der Kellner lobte sogleich das Bier, das der Mann gewählt hatte. Lobte die Suppe, die dieser genannte hatte. Applaudierte schier ob der bloßen Nennung der Hauptspeise. Und der Angesprochene fragte sich sogleich, was soll sein Jubilieren, sein schieres Jauchzen, die Laune, die ihm wie ein Springbrunnen sprudelt, ob meiner Nennung der zubereiteten Lebensmittel und des Getränks, die ich hier im Gasthaus zu mir nehmen möchte?“ Schon kam die Suppe. Der schwarzhaarige Mann tischte sie auf, mit frohem Lachen im Gesicht. Es fehlte nicht viel dazu und er hätte im singenden Tanz den Teller hereingebracht. Der Mann löffelte eilig die Suppe in der kühlen Düsternis. Er bestellte trotzig ein zweites Bier. Der Kellner schnappte wie ein junger Hund den Ball der Order. Viel Zeit verging nicht, haute er ihm den Humpen scheppernd auf den Tisch. Der einsame Herr wollte noch ein Drittes vom Bier trinken und bestellte dieses. Und wieder schwappte die Laune der Bedienung hoch über die Hafenmauer der Vernunft. Und wie der Kellner schier wieherte beim Bringen von Braten mit Klößen. Jedes weitere Bier bejubelte er, als führte er verloren geglaubte Kinder zurück zum Erzeuger. Und vor Wut sagte dann der Gast, von dem Gebaren erboste, er solle ihm noch warmen Schokoladenkuchen kredenzen ohne Zinnober und unnötiges Getue. Um ein Haar packte der Angesprochene den Besteller an den Backen und küsste ihm den engen Biermund. Der sitzende Kunde fraß den warmen dunklen Teig des Backwerks und mit vollem Mund und ausgestreckten Fingern winkte er kauend nach Bier. Bier, Bier, immer mehr Bier brachte ihm der Hochlaunenmann. Seine Stimmung nahm nicht ab. Der Frohsinn quoll wie Hefeteig am günstigen Ort. Es trank, schluckte und kaute der Gast. Schwamm in der Suppen, der Braten, die Klöß und die zerlaufne Schokolade im Biersee des Bauchs.
Mit einem Mal wusste der Mendola alles: „Der Kellner ist beauftragt an meiner Beerdigung zu servieren. Die Suppen gibt’s als Vorspeis‘. Hier war er gesessen und hat sie so froh gelöffelt‘, spricht der vor der Trauergemeinde. Dies Bier hat er vertrunken in schierer Lebenslust, nichtsahnend den Tod‘, heuchelt der Kerl und tupft sich feuchte Stellen im Augwinkel. Die Trauernden trinken im Andenken das Bier das ich trank, löffeln die Suppen, verzehren den Braten, die Klöße, die der Kerl ihnen serviert. Und heute weiß er schon und freut sich, was ich eine Zeche zusammenfress, zusammensauf und freut sich über den Gewinn, den er macht. Den Gewinn, den er maximiert, wenn er bei meiner Leich die trauernden Gäste bewirtet und betextet mit der Geschichte meines Mahls. Und sieht sich schon am Ende des Abends nach der Verabschiedung. Wie die Wörter und die verbrauchte Luft zum geöffneten Fenster hinausfliegen. Greift er der Witwe, meinem vom Schmerz verschönten Weibe, unter den Schleier ans wackelnde Kinn, dies für einen Kuss zu fixieren. Gierig saugen sie sich fest. Schon fällt das Beerdigungsgewand, die Kellnerhose gelockert, fallen alle Schranken der Förmlichkeit. Bumst der Mann eingedenk des Rechnungsbetrags einschließlich der Mehrwertsteuer die Hinterlassene. Das weiß er schon heute, wo ich noch schnauf und schnabulier. Das begründet dem Mundschenk seine beste Laune und lässt sein Herz in schnellen Triolen bumpern.“
Jetzt aber noch lebendig, schrie der Rudolf M. mit dem schütteren Resthaar aus Leibeskräften nach einem Williamschristschnaps zum Abschluss. Wie die olympische Fackel trug der Herr Ober das Stamperl. Lachte breit dazu zwischen erröteten Bäckchen. Der im Innenraum schief Sitzende stieß sich den Alkohol wie ein Schwert in den Rachen, grölte im Äthanolwind die Absicht nach pekuniärer Begleichung seiner Speisen und Getränke. Addierte dem zukünftigen Witwenschänder gleich 7,50 € auf den genannten Betrag, zählte es aus dem Geldbeutel mit Geschepper auf den Tisch, klopfte dem Springfidelen währenddessen den Buckel und lobte schmetternd, was er gekaut und geschluckt hatte, und bald und gern noch verdauen würde und dessen prächtige Leistung des Bringens und die Laune mit der er das getan hätte. Schrie ihm der Berauschte seinen Dank ins Ohr, dass es ihn schier umriss. Pfiff es dem Gastronom im Gehörgang. Angelte der Wankende sein Westchen, schlüpfte knapp in die sich schüttelnden Arme des undurchschaubaren Jäckchens. Riss das Türblatt schier aus der Verankerung und eilte rumpelnd in die Nacht hinaus. Die Fachkraft des Gaststättengewerbes stand vor dem leeren Tisch, blickte ratlos in den geöffneten Geldbeutel und schüttelte die Münzen als würden die eine Erklärung abgeben. Schließlich schloss dieser die lederne Börse und machte sich, den Kopf leicht schleudernd, auf den Weg in die Küche, um zu schauen, wie weit man dort schon gekommen wäre mit der Reinigung des Herdes und der Töpfe.
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