Klaus Haas | Virtuelle soziale Plastik
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Locked in | 050 – Kunst entsteht außerhalb der Komfortzone. Die Kunstschaffenden , die sie verlassen, haben die Chance auf Relevanz, und man kann diese Komfortzone auf vielen Wegen verlassen. Man kann brechen mit Traditionen und Konventionen, das sichert Aufmerksamkeit im Guten und Schlechten, reicht aber selten mittelfristig. Man kann mit der Konvention brechen zugunsten einer neuen Konvention, Technik oder Sichtweise, das ist meistens nachhaltiger.
Oder man begreift das ständige Zerstören und Neuerfinden als künstlerischen Prozess, das ist für alle Beteiligten die anstrengendste und langfristigste Haltung, und auch eine spannende.
Hier kommt Klaus Haas ins Spiel, der virtuell malt, Kunst mit Architektur verschmilzt und Installation mit Stadtraum, der die Theorie verbindet mit dem Werk und die Öffentlichkeit mit der Kunst, ein unermüdlicher Arbeiter im Maschinenraum der Kunst und im Cockpit der sozialen Plastik.
Der Begriff der sozialen Plastik, da ist er wieder: Wenige Konzepte werden im Kulturbereich so oft und so oft falsch gelabelt wie die soziale Plastik. Das ist kein Wunder, denn die dahinterstehende Idee ist mächtig. Als Joseph Beuys sie in den 1970er Jahren ausformte, entdeckte die Kunst ihre Relevanz für die Gesellschaft. Kunst kann die Gesellschaft, das Miteinander, die Demokratie transformieren, das ist das Versprechen, das Beuys durch Performances, Happenings, Installationen und Kongresse einlöste. Kunst kann der Gesellschaft ermöglichen, an diesem Prozess teilzunehmen, das ist der Ursprung von „Jeder Mensch ist ein Künstler“, der zweithäufigst falsch verwendete Begriff in Bezug auf Beuys. Klaus Haas macht nun vermutlich wirklich soziale Plastik, er transformiert und transformiert und manchmal entgleiten ihm die ganzen Ideen und verselbstständigen sich. Aber womöglich ist das gesellschaftspolitisch ziemlich nachhaltig.
Im Interview erzählt Klaus vom kritischen Diskutieren, dem Mensch als Naturbestandteil und Beuys im 21. Jahrhundert.
Marian Wild: Bei der letzten ortung 11 in Schwabach warst du mit deinem QuantenRausch-Projekt und dem „Institut für forschende Kunst im virtuellen Raum“ vertreten, das dazu dient herauszufinden, inwieweit die Malerei mit Mitteln der virtuellen Realität weitergedacht werden kann. Dazu habe ich zwei Fragen: Was sind deine bisherigen Erkenntnisse? Könnte uns deiner Meinung nach der virtuelle Raum helfen, aus der gegenwärtigen Quarantäne zu entkommen?
Klaus Haas: Also, meines Erachtens steckt die virtuelle Realität noch in den Kinderschuhen, vor allem, was ihre technischen Möglichkeiten angeht. Viele sehen in Platons bekanntem Höhlengleichnis aus dem Jahr 300 v. Chr. den Grundstein für das, was wir heute Virtual Reality (VR) nennen. Dabei ist die ethische und philosophische Bedeutung der VR bei weitem noch nicht erkannt. Die Gründung des „Instituts für forschende Kunst im virtuellen Raum“ 2016 zusammen mit Fabian Baumgärtner widmet sich genau diesem Desiderat. Es gilt, die jetzigen Möglichkeiten nicht nur technisch zu erweitern. Im virtuellen Experiment sollen auch brennende gesellschaftliche Fragen aufgeworfen und diskutiert werden. Eigentlich leben wir doch alle längst in „Quarantäne“, ohne dass uns dies bewusst ist. Isolation kann einen Schutz bedeuten, aber auch dazu führen, positive Impulse von uns fernzuhalten. Gerade online sind wir in unserer Wahrnehmung wie in einer Blase gefangen. Andererseits sind die Funktionsweisen unserer Wahrnehmung wiederum evolutiv bedingt. Bei anderen Lebensformen auf unserem Planeten richtet sich die Wahrnehmung beispielsweise auf andere Ziele. Wir erachten technische Phänomene wie Infrarot, Röntgenstrahlung oder den Film inzwischen als selbstverständlich, doch wird der virtuelle Raum oft noch als etwas völlig Irreales, Künstliches interpretiert. Ist er das aber wirklich? Die technischen Möglichkeiten von VR sind jetzt schon immens, auch was die Umsetzung in die „stoffliche Welt“ anbelangt; sei es in Kunst, Malerei, Architektur, Design, Film, Wissenschaft, 3D-Druck oder auch in der Musik. Aber zum rein Technischen gehört eben auch ein offen reflektierendes, empfindsames Denken. Je mehr sich der Mensch von seiner emotionalen Intelligenz entfremdet, umso eingeschränkter und toxischer wird seine kognitive Leistung. Auch wir sind letztlich Teil der Natur, das sollten wir uns immer vor Augen halten. Wir sind aus ihr hervorgegangen und haben kein Recht zu behaupten, dass es anders wäre. Von daher empfinde ich die momentane Quarantäne als Lernprozess, der uns hilft, unser Verhalten gegenüber unserer Umwelt neu zu überdenken. Insbesondere die virtuelle Welt kann dazu beitragen, unser Bewusstsein in diese Richtung hin zu erweitern.
Schon vor deiner Idee der virtuellen Malerei waren viele deiner Arbeiten stets in Verbindung mit einem Ort gedacht und ausgeführt. Du veränderst Raumkonfigurationen, störst die Perspektiven, oder hebst einzelne Bereiche hervor. Was fehlt der heutigen Architektur und was kann ihr die Kunst geben?
Die Architektur war schon immer verbunden mit Kunst, Musik, Literatur oder Philosophie und hatte gemeinsam mit diesen die Grundlagen geschaffen, ganze Zeitepochen zu definieren. Alle menschliche Zivilisation ist unabdingbar mit Architektur verbunden: im positiven wie negativen Sinn. Diese Zusammenhänge wieder ins Bewusstsein zurückzuholen, neu zu definieren, auch zu erweitern, ist ein Anliegen, das mir als Künstler sehr am Herzen liegt. Die heutige Architektur wird in den meisten Fällen der reinen Wirtschaftlichkeit und damit oft entmenschlichenden Dogmen unterworfen. Die meisten Architekten leiden darunter. Persönliche Gespräche mit Architekten haben mir das immer wieder bestätigt. Viele Architekten kämpfen in starren Verwaltungs- sowie Finanzierungszwängen. Sie stehen diesen kastrierenden Einschränkungen wie einer undurchdringlichen Wand gegenüber. Innerhalb einer elitären Luxus- und Prestigearchitektur können sich Architekten freilich noch halbwegs verwirklichen. Das sollte sich meines Erachtens gravierend ändern: uns allen und unserer Umwelt zuliebe, die es uns wert sein muss. Nicht nur in den Industriegebieten und Randzonen der Städte, auch in den Innenstädten und Fußgängerzonen der Nachkriegszeit ist eine architektonische Wüste entstanden, die weiter fortwirkt. Die Architektur sollte aber wieder eine schöpferische Symbiose mit Kunst, Musik, Literatur und Philosophie eingehen. Diese Einheit sollte auch auf Wirtschafts- und Verwaltungsebenen ihren Niederschlag finden. Gute Architektur ist ein unbezahlbares Gut, von dem spätere Generationen profitieren werden. Deshalb sollte sich unser Denken und Handeln daran orientieren. Neue, innovative Ansätze bieten zum Beispiel die architektonische Bionik, ökologische und organische Architektur (KLICK!). Ich wage zu behaupten, deren Möglichkeiten werden bei Weitem noch nicht ausreichend genutzt und ich finde, dass Kunst einen wesentlichen Beitrag leisten kann, festgefahrene urbanistische Prinzipien aufzubrechen. Insofern konzentriere ich mich als Künstler nicht alleine auf die Erkundung des virtuellen Raums. Der persönliche Dialog mit dem Menschen ist mir ebenso wichtig. Als Performer agiere ich an der Schnittstelle zwischen virtuellem Werk und Rezipienten. Inmitten meiner Installationen entsteht etwas, das sich mit Joseph Beuys‘ Begriff der „Sozialen Plastik“ am besten umschreiben lässt. Ich arbeite dabei nicht unbedingt gegen die bestehende Architektur, sondern nehme deren Vorgaben auf und verändere sie mit meinen Elementen. So kann man vielleicht von „Assimilation“ sprechen. Auf den ersten Blick wirkt alles einigermaßen passend, doch bei genauerem Hinsehen ist doch etliches seltsam oder befremdlich. Die Kunst will ich nicht als Prestigeobjekt auf öffentlichen Plätzen aufgestellt sehen, um Eindruck zu machen. Besser beiläufig wird sie in die Architektur eingepflanzt, fast unauffällig, wie etwa Insekten mit ihrer Tarntracht agieren. Die Somatolyse [Loslösung vom Körper, Anm. d. Interviewers] macht die Kunst scheinbar unsichtbar, ja fast selbstverständlich integriert. Das schafft eine subversive Akzeptanz beim Betrachter. Bei genauerer Betrachtung kann sich die Wahrnehmung dann gravierend verändern, wie eine Stabheuschrecke, die sich plötzlich doch bewegt. Diese Art „Tarnung“ fasziniert mich. Kunst kann so fast ungehindert in die Architektur und auf öffentliche Plätze eindringen und sich ausbreiten, ohne gleich heroisch, monumental oder separiert zu sein. Zeitgemäß finde ich eine gegen die denkmalorientierte, heroische Präsentation von Kunst gerichtete Auffassung. Die einschleichende Methode könnte einen Weg aufzeigen zu einer Kunst, die uns eine sinnlichere Freude am Entdecken schenkt (KLICK!)
Du hast in der Klasse von Professor Georg Karl Pfahler an der Akademie in Nürnberg studiert, wurdest dort auch Meisterschüler und fühlst dich offenbar dessen „Hard Edge“-Stil verbunden. Wie kann man sich die Diskussionen in der Klasse Pfahler vorstellen und wo schreibst du seine Kunstauffassung weiter?
Die Auseinandersetzung mit dem Werk eines Professors geht Hand in Hand mit den Mitstudierenden. Die Studenten sollten bei einer guten Klasse offen für unterschiedliche Meinungen sein. Die grundsätzliche Offenheit ist die beste Methode, um Epigonentum zu verhindern. Konträre Äußerungen wurden von Georg Karl Pfahler bewusst innerhalb der Klasse provoziert. Auch in seinem eigenen Schaffen verfuhr Pfahler nicht vollkommen orthodox wie andere „Konkrete“. Man betrachte hierzu nur seine Arbeiten im Bereich des „Hard Edge“ und seine „Farbraumobjekte“ 1969/70 auf der Biennale in Venedig. Das anarchische „Brechen“ hat mich in meiner Kunst inspiriert und vorangetrieben. Nur in gewisser Weise führe ich Pfahlers Kunstauffassung weiter, mich haben auch damals Künstler*innen aus der klassischen Moderne bis heute wie Marcel Duchamp die Dadaisten, Meret Oppenheim, Sonja und Robert Delaunay, Kurt Schwitters mit seinem MERZbau und Oskar Schlemmer das Lackkabinett sehr fasziniert, sowie Piet Mondrian oder die Künstlergruppe Zero. Dies ging eigentlich mit meinem eigenen Autodidakten Studium und meiner Auseinandersetzung weiter mit dem Künstler*innen Nam June Paik, Frank Stella, Donald Judd, Daniel Buren, Dan Flavin, Jenny Holzer, Peter Fischli und David Weiss, Angela Bulloch, Peter Weibel, Jason Rhoades, Martin Kippenberger, Franz Ackermann, Heimo Zobernig, liegen mir am Herzen um nur einige der bekannteren zu nennen. So war die Auseinandersetzung mit der Abstraktion bei mir nie stilorientiert, sondern kam eher einer forschenden Strategie gleich. Die Lust am freien Experiment bildete dabei eine wesentliche Konstante. Als Student habe ich mich bald von festgelegten Haltungen in der Kunst distanziert. Am Ende meines Studiums bin ich nicht immer auf Verständnis gestoßen, was die Ergebnisse meines konzeptuellen Schaffens angeht.
Du reflektierst intensiv die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst. Was ist deine Einschätzung, in welche Richtung wir uns in den nächsten Schritten, auch nach der Krise, bewegen werden?
Vorhersagen haben immer etwas Festgelegtes. Was ich sagen kann ist, dass die bisherigen Gesellschaftsnormen offensichtlich ein gewisses Reset benötigen. Ein solches lässt sich nicht von oben aufzwingen, aber immerhin mittels Kunst reflektieren, transportieren und transformieren. Die Kunst sollte immer frei agitativ bleiben. Sie kann viele Elemente in sich integrieren, um eine Kommunikation in Gang zu setzen. Meine Anliegen gehen bereits in diese Richtung mit dem „Institut für forschende Kunst in virtuellen Raum“. Auch habe ich weitere Projekte in Arbeit, die genau auf diese gesellschaftlichen Aspekte der Erweiterung unseres Denkens und Fühlens abzielen. Eine sensiblere Haltung ist meines Erachtens von Nöten in einer Gesellschaft, in der das „Reißerische“ die Menschen blendet und sie der Möglichkeit eigenständigen Denkens beraubt. Gerade jetzt sehe ich gute Chancen für die Kunst, neue Wege des Miteinanders zu erproben. Ich würde mir einen „neoromantischen“ Sensualismus wünschen, der zugleich progressiv auf die veränderten Bedingungen des Hier und Jetzt eingeht.
Weitere Informationen zum Künstler (KLICK!)
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