Die Sängerin Elizabeth Kingdon ist tot
EIn Nachruf von Dieter Stoll. Sie sang die größten Partien auf großer Opernbühne und wurde legendär, als sie zusätzlich an der Spitze der Pocket Opera Company souverän die Alternative zu sich selbst erfand. Da konnte man sie dann beispielsweise in Wagners „Tannhäuser“ als Elisabeth und Venus sehen, aber auch im Zirkuszelt auf internationalen Festivals als Catalanis „Geierwally“. Wenige Tage vor ihrem 93. Geburtstag ist die Ausnahme-Sängerin Elizabeth Kingdon, die 1956 mit abgeschlossenem Mathematik-Studium dank Fulbright-Stipendium aus den USA zum Gesangsstudium nach Deutschland kam und hier blieb, in Nürnberg gestorben.
Die dramatischen Figuren von Wagner, Puccini und Verdi gehörten zu ihrem Repertoire, sie war eine denkwürdige „Ariadne auf Naxos“ und anrührend als Beethovens „Fidelio“, aber für ihre musikkomödiantische Leistung in Ligetis greller Satire „Le Grand Macabre“ wurde sie mindestens ebenso gefeiert. Schon 1963 war sie als „Jugendlich-Dramatische“ ins Ensemble der damaligen Städtischen Bühnen von Frankens Metropole gekommen. 1976 schloss sie sich zusätzlich, trotz durchaus derb kritischer Vorbehalte ihres damaligen Opernhaus-Chefs, der Initiative des Jung-Regisseurs Peter Beat Wyrsch an, wurde zur umwerfenden Protagonistin des POC-Stils. Ohne Angst vor der Eigendynamik von Travestie („Warum sollte man in der Oper nicht lachen!“, postulierte sie im Interview) kam so eine multiple Opernwunderwelt zustande, die originell und witzig vergessene Schätze des Musiktheaters (Marschners „Der Vampyr“) entstaubte und mit Auftragswerken die Gegenwart (wie die Komponisten Franz Hummel und Walter Zimmermann) respektvoll auf die wechselnden Bühnen brachte. Wagners „Ring“ mit Kingdon/Brünnhilde gehörte auch dazu, Donizettis durch ihr Schicksal kletternde „Lukrezia Borgia“ bleibt sowieso unvergesslich. Wie das große Solo „Elizas Pocket Paradise“, wo POC-Regisseur Wyrsch seiner Spezial-Diva mit der Fake-Gala einer Kulturpreisverleihung die Gelegenheit gab, alle Lieblingspartien samt Salomes Schleiertanz quasi auf dem selbstgebastelten Ehrenpodest zu exekutieren. Was für ein Erlebnis! Zumal die diversen Kulturpreise von Stadt und Bezirk dann tatsächlich und völlig zurecht in Serie folgten. Und am Rande vermerkt: Niemand sonst hat die Boulevard-Ehrung des Abendzeitungs-Kulturressorts so oft bekommen wie dieses lebende Ereignis – die dort in Umlauf gebrachten „Sterne des Jahres“ beleuchteten die ganze Karriere.
Die allzeit neugierig bleibende Elizabeth Kingdon hatte es sich da längst zwischen den Kultur-Positionen eingerichtet. Sie machte sogar mit, als zur Wiedereröffnung im Schauspielhaus ein Tucholsky-Abend anstand und fühlte erkennbar Mitverantwortung für das ganze Kulturleben ihrer Wahlheimat. Der 2001 gegründeten Kingdon-Grünwald-Stiftung gab sie, die erst spät die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte, große Teile ihres Vermögens zur Förderung des „innovativ-experimentalen Musiktheaters“. Da konnte sie sich weiter freuen an ihrem Leben, feierte runde Geburtstage vor viel Publikum gerne mit eigenen Auftritten und empfing nach einem schrecklichen Unfall im Krankenbett die besorgten Freunde mit der Aussage „Aber meinen Neunzigsten feiere ich auf alle Fälle“. Das tat sie in gewohnt bester Laune.
Jetzt ist Elizabeth Kingdon eine Woche vor dem 93. Geburtstag gestorben. Nürnberg trauert um eine unersetzliche Größe der Kultur-Szene.
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