Raumkompass Nürnberg: Leerstand / Vom Konzept zum Supermarkt und zurück

MONTAG, 21. DEZEMBER 2020

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Das kommunale Immobilienunternehmen wbg Nürnberg (wbg) und der Raumkompass Nürnberg beleben in Kürze einen ehemaligen Supermarkt in Langwasser Nord mit Kunst-, Kultur- und Kreativschaffenden. Dieses Raumangebot ist das erste Modellprojekt für den Raumkompass. Die neue Nutzung des Gebäudes könnte starten, wenn die momentan von akuter Raumnot betroffenen Künstler*innen aus der Marienstraße ihre Zwischennutzung in diesem Gebäude beenden und ihr langfristiger neuer Ort bezugsfertig ist. Dieter Barth, der Leiter der Unternehmenskommunikation der wbg, und Maria Trunk, die den Raumkompass im Amt für Kultur und Freizeit konzipiert, haben uns berichtet, wie sie dabei vorgehen und warum curt zum Medienpartner des Raumkompasses geworden ist, sogar mit einem eigenen Raumangebot als Sahnehäubchen oben drauf.

Frau Trunk, seit dem 1. Oktober ist der Raumkompass Nürnberg nun online. Was genau ist dieser Kompass und wohin soll er die Kreativen der Stadt navigieren?
M. Trunk: So sinnbildlich gesprochen, navigiert der Raumkompass raumsuchende Kulturschaffende und Raumanbieter*innen auf dem oft komplizierten Weg zueinander. Die dazugehörige Internetseite www.raumkompass.nuernberg.de zeigt die Konzipierungsphase des Raumkompasses hin zu einer künftigen Anlaufstelle für Kreative auf Raumsuche. Das heißt, wir sind in Nürnberg gerade dabei, ein kommunales oder externes Leerstandsmanagement für Kulturräume zu entwickeln.

Solch eine Anlaufstelle wurde bereits lange gefordert …
M. Trunk: Genau, die Anbahnung einer solchen Stelle wurde nach langer Vorarbeit vieler Akteur*innen im Januar 2018 Teil der Kulturstrategie. Das Projekt berücksichtigt Dezentralität, Stadtentwicklung, Bedarfe, Besonderheiten und vorhandene Erfahrungen in Nürnberg. Viele Großstädte Deutschlands haben bereits ihr eigenes Modell gefunden, wie etwa München mit dem Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft, Bremen mit der ZwischenZeitZentrale oder Dresden mit der Kreativraumagentur. Das Amt für Kultur und Freizeit (Kuf) wurde bis Ende 2021 mit der Umsetzung beauftragt, weil es bereits zweimal Partner in EU-Projekten zur Belebung von leerstehendem Baukulturerbe war. In Zusammenhang damit entstand unter anderem die digitale Karte OffSpaces. Darauf können Eigentümer*innen Raumangebote eintragen. Offspaces wird nun als Grundstein für den Raumkompass weiterentwickelt und gepflegt.

Die Arbeit ist quasi bis Ende 2021 ein Balanceakt aus Konzepterarbeitung und Praxis. Wie weit sind Sie nun?
M. Trunk: Der Raumkompass als Maßnahme der Kulturstrategie der Stadt Nürnberg bündelt bisher vor allem Informationen zu Kulturräumen. Raumsuchenden bietet die Webseite eine Übersicht über spezifische Plattformen und Ansprechpartner*innen. Sie vermittelt Wissen, gibt Tipps und verweist auf Werkzeuge, Arbeitshilfen und Strategien zu Themen wie Fördermöglichkeiten, Zwischennutzungen für den Einzelhandel oder Innovationen für Innenstädte. Eigentümer*innen bietet der Raumkompass die Möglichkeit, ihre Raumangebote in einen Newsletter aufzunehmen und auf der digitalen Karte OffSpaces einzutragen.

Wie arbeiten Sie mit dem bereits bestehenden „Raumteiler“ zusammen?
M. Trunk: Wir arbeiten eng zusammen. Der Raumteiler macht vor allem bereits bestehende Raumangebote zum Mitnutzen sichtbar und ist ein Mitmach-Tool. Der Raumkompass ist eine Vermittlungsplattform für völlig neue Kulturräume. Die meisten Raumangebote und -gesuche sind klar zuzuordnen, doch oft haben wir Kulturschaffende, die wir gemeinsam betreuen. Beispielsweise wenn es um die Suche nach Orten für Schaufensterausstellungen geht, werfen wir unser Wissen und Können in einen Topf.

Wie kommt es, dass Sie diese Raumangebote im Raumkompass veröffentlichen? Was erhofft sich die wbg als Immobilienunternehmen von diesem Angebot der Stadt Nürnberg?
D. Barth: Wir erhoffen uns die Erschließung neuer Zielgruppen, zu denen wir bisher noch keinen Kontakt haben und wir hoffen natürlich auch, dass wir an der einen oder anderen Stelle bei Bedarf Kunstschaffenden helfen können.

Herr Barth, ein leerer Supermarkt, das klingt in den Ohren vieler Kulturschaffender nach einer tollen Herausforderung, haben Sie ein paar Details für uns?
D. Barth: Der rund 500 qm große Supermarkt bedarf recht wenig Instandsetzung, besitzt große Fensterflächen und Oberlichter sowie mehrere Ein- und Ausgänge. Er ist quasi ideal für eine Ateliergemeinschaft oder andere kreative Nutzungsideen. Er liegt mitten in einem belebten und verkehrsberuhigten Gebiet. Das sogenannte Baugebiet P in Langwasser ist das erste und älteste autofreie Wohngebiet Deutschlands. Auch heute noch ist die Umgebung speziell, zum Beispiel sind die dort lebenden Kinder im Durchschnitt zwei Jahre früher als ihre Altersgenossen aus konventionellen Gebieten draußen allein unterwegs.

Ist die kulturelle Nutzung Ihrer Immobilien für Sie Neuland?
D. Barth: Nein, insbesondere Ateliers haben eine jahrzehntelange Tradition in unserem Unternehmen. Hier arbeiten wir gerade an einer weiteren Verstetigung. Da passt das Angebot des Raumkompasses super dazu.

In Nürnberg ist der Wegfall vieler Arbeits- und Schaffensräume für Kunst- und Kulturschaffende in aller Munde. Marienstraße, alte Oberpostdirektion, Hofederstraße, Auf AEG, Kohlenhofstraße, P31 – die Raumnot ist momentan groß. Will die wbg damit auch einen Beitrag gegen die Raumknappheit für Kulturschaffende in Nürnberg leisten?
D. Barth: Durch den Raumkompass entstehen ja keine zusätzlichen Räume, es werden bestehende aber mit einer neuen Aufmerksamkeit versehen und an neue Zielgruppen herangeführt. Was daraus wird – wir werden es sehen. Aber ja, die wbg schafft auch neue Räume für genau diese Zielgruppe, zum Beispiel auf dem ehemaligen Branntweinareal oder auch – wenn’s klappt – in der Werderau.

Und nun starten Sie mit dem Supermarkt der wbg als Modellprojekt, um Praxiserfahrungen zu sammeln und diese in das Konzept mit einfließen zu lassen …
M. Trunk: Ja genau, aber auch um Vertrauen zu schaffen, die Vorteile kultureller Nutzungen bewusst zu machen sowie Neugier zu wecken. Eigentümer*innen von Leerständen springen momentan noch nicht jubelnd in die Luft, wenn sie nach der Möglichkeit von Zwischennutzungen wie etwa Pop-up-Stores oder Schaufensterausstellungen hören. Das wollen wir ändern. Gelingen kann das laut den Erfahrungen anderer Leerstandsmanager*innen nur durch gute Vorzeigeprojekte. Abgesehen davon, herrscht ja gerade die vorhin angesprochene akute Raumnot und wir können daher nicht einfach untätig bleiben. Daher der Spagat.

Wir haben in unserem Büro ja selbst noch Flächen frei, die wir zu Jahresbeginn durch ein neues Projekt beleben wollen. Wir nennen es „curt Pop(up)Studio“, ein Art-Residency-Projekt, das Künstler*innen ab Februar jeweils für zwei Monate Arbeitsräume und Mittel zur Verfügung stellen soll, damit sie ungestört arbeiten können. Wobei ungestört nicht ganz richtig ist, denn wir wollen die Künstler*innen dabei medial begleiten und supporten. Wir wandeln also unseren eigenen Büroleerstand – und bieten das dann so auch über den Raumkompass an. Wir suchen dafür übrigens sowohl Künstler*innen, die sich für dafür bewerben, als natürlich auch Sponsoren und Partner*innen. Ich hoffe, das Ganze passt gut in das Raumkompass-Konzept!
M. Trunk: Ja, auf jeden Fall, das klingt super spannend und genau darum geht es! Wir wollen auch auf das Potenzial unkonventioneller und inspirierender Raumideen aufmerksam machen. Ob ein Atelier auf dem Dach, Bandproben in Büroräumen nach Dienstschluss, Chorproben in Parkhäusern, Büro-Gewächshäuser in alten Hallen oder eben das Umdenken vom Supermarkt zum Kulturort: Das hat Potenzial und erzeugt eine Menge positiver Energie in der Kunst- und Kulturszene, was wiederum der Stadtgesellschaft, Wirtschaft und Stadtentwicklung zugute kommt. Wäre eure Idee ein klassisches Co-Working-Angebot, würde ich euch dagegen an andere Ansprechpartner*innen verweisen.

Wir freuen uns schon darauf, beim Raumkompass mitzumachen – und darauf, eure Modellprojekte begleiten zu dürfen!

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Maria Trunk
ist Jahrgang 1984, hat in Leipzig ihren Magister-Abschluss in Japanologie, Journalistik und Biologie absolviert und ist in Nürnberg seit fünf Jahren als Fachjournalistin für Stadtentwicklung tätig. Ihre Studien zur Belebung von leerstehendem Baukulturerbe mithilfe von Kultur- und Kreativschaffenden und nicht zuletzt ihre ehrenamtliche Arbeit im Quellkollektiv führten sie ins Amt für Kultur und Freizeit der Stadt Nürnberg, wo sie nun die Konzipierung des Raumkompasses durchführt, um eine Anlaufstelle für Raumsuchende aus dem Kunst-, Kulturbereich und Kreativbereich auf den Weg zu bringen.




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