Uschi Unsinn: Nürnbergs einzig wahre Polit-Dragqueen
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Auf den ersten Blick ist eigentlich alles klar: Wilde Mähne, aufwändiges Make-Up, den Blick selbstbewusst in die Kamera gerichtet. Wer Uschi zum ersten Mal auf ihren Wahlplakaten begegnete, dachte vielleicht, für die Grünen kandidiere eben eine extravagante Frau, Listenplatz 20. Ihr Name: Uwe Scherzer. Seit 30 Jahren setzt sich Uschi Unsinn, Nürnbergs einzig wahre Polit-Dragqueen, für Vielfalt, für buntes, queeres Leben, für Akzeptanz und gegen Ausgrenzung ein. Seit diesem Jahr mit eigenem Sitz im Stadtrat – und ab sofort – 2021, nach Einführung – mit eigener Kolumne im curt.
Natürlich muss man Uschi nicht mehr allzu vielen Menschen in Nürnberg und Umgebung vorstellen. Das war vor dem Wahlkampf schon so und ist seitdem umso mehr der Fall. Seit Jahren steht sie in unterschiedlichsten Funktionen in der Öffentlichkeit, engagiert sich Kondome und Informationen verteilend für die Aids-Hilfe, entertaint bei CSDs im ganzen Land und zahlreichen anderen Veranstaltungen auf der Bühne, unterstützt das politische Engagement des schwullesbischen Vereins Fliederlich und moderiert seit sieben Jahren die „Radiogays“ auf Radio Z.
Uschi Unsinn ist auffällig, laut, präsent. Ihre Sichtbarkeit hat sie nicht nur ihrer Äußerlichkeit zu verdanken, sondern mindestens zu gleichen Teilen ihren Inhalten. Politik hat sie auch schon gemacht, bevor sie in die Politik ging. Warum hat sie sich dennoch entschlossen, sich auf die Liste setzen zu lassen? Uschi – unsere neue Kolumnistin ist zu Gast im curt-Büro – lacht: „Weil ich gefragt wurde!“ Ein parteipolitisches Engagement habe sie sich eigentlich nie vorstellen können, erzählt sie. Der bemühten Kollegin der Grünen versprach Uschi trotzdem, sich das Angebot noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Es ist dem Zuspruch aus dem Bekanntenkreis – „Uschi, des machste!“ – zu verdanken, dass Nürnberg heute eine Stadträtin hat, die auch ein Stadtrat ist. Wobei: Die Sitzungen sind öffentliche Auftritte, im Rathaus erscheint die queerpolitische Sprecherin ihrer Fraktion freilich nicht als Uwe, sondern im vollen Ornat mit Perücke, Kleid, geschminkten Lippen. Sie stellt Sichtbarkeit her, für sich und ihre Themen.
Für Uschi, die trotz Kandidatur für die Grünen parteilos geblieben ist, bedeutet das neue Amt ganz schlicht mehr Gestaltungsmöglichkeiten. „Früher musste ich immer andere Leute für meine Anliegen gewinnen, jetzt formuliere ich die Anträge selbst. Ich mache einfach.“ Ihr Thema, sagt sie, seien die Menschenrechte. In den kommenden Jahren will Uschi mit dem Stadtrat als Hebel versuchen, mehr Akzeptanz für queere Themen zu erwirken. Ihr persönlicher Traum ist das Regenbogenzentrum, eine Begegnungsstätte mit Beratungsangeboten, queerem Jugendzentrum und generationenübergreifendem, bezahlbaren Wohnprojekt. Uschi 2020 kümmert sich um Haushaltsfragen und Erinnerungsarbeit, hält Vorträge und Reden, macht handfeste politische Arbeit. Vom Unsinn ist nicht viel übriggeblieben. „Über die Jahre ist mein Drang nach Gestaltung gewachsen“, sagt sie. „Es macht irgendwann keinen Spaß mehr, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, zehn Mal an die selbe Stelle, bis eine Delle drin ist.“ Wobei in dem Fall wahrscheinlich eher die Wand als der Kopf die Delle abbekommt.
Als das alles anfing, vor über 30 Jahren, war Uschi, sagen wir lieber Uwe, noch auf gänzlich anderen Pfaden unterwegs. Zeitsprung in die 80er-Jahre: Ein junger Mann aus Bad Windsheim kommt nach Rummelsberg, um Diakon zu werden. Für ein Praktikum verschlägt es ihn in die große Stadt – Ansbach. Hier kommt er zum ersten Mal mit schwulen Männern in Kontakt und bekennt sich selbst als homosexuell. Uwe stammt aus einer konservativen Familie, er scheut die Konflikte, die mit seiner sexuellen Identität einhergehen würden. Bei einer freikirchlichen Sekte unternimmt er den Versuch, sich den schwulen „Teufel“ austreiben zu lassen. Das Prozedere ist nicht nur schmerzhaft, sondern auch gefährlich. Nach drei Sitzungen bricht er den Exorzismus ab.
Es ist auch diese Erfahrung, die Uwe zu Uschi Unsinn macht. Er will zu dem stehen, was er ist, umgibt sich zunehmend mit anderen schwulen Männern und erfährt in Gesprächen von diesem Ort hinterm Nürnberger Bahnhof, das Paradies, in dem Männer in Frauenkleidern auftreten. Im Telefonbuch schlägt Uwe die Adresse des Cabarets nach. Dem jungen Mann eröffnet sich eine vollkommen neue, bunt schillernde Welt: „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Travestiekünstler gesehen. Mir ist die Kinnlade runtergekippt. Diese tollen Figuren, dieses Auftreten, die lockere Schnauze – ich war 21, 22 und natürlich ein gefundenes Fressen für diese Leute.“
Geprägt von dieser und ähnlichen Erfahrungen in der Szene zieht Uwe nach Nürnberg, beginnt in einem Schwulenlokal zu arbeiten. Es dauert nicht lange, bis er selbst in den Fummel schlüpft, ins erste für Uschi (damals noch ohne den Nachnamen) genähte Kleid. „Diese Kleid würde ich heute natürlich nie mehr anziehen, aber das waren die 80er.“ Es ist die Zeit der Aids-Krise, die Zeit, in der Edmund Stoiber die Ehe für alle mit Teufelsanbetung vergleicht, in der die Polizei regelmäßig Razzien in den Schwulenclubs durchführt. Uschi erinnert sich trotzdem gern: „Die Szene war enger zusammen. Man musste sich nicht verabreden, weil man sich in den Lokalen eh über den Weg gelaufen ist.“
Seither hat Uschi eine beeindruckende Karriere als Gallionsfigur der hiesigen Emanzipationsbewegung hingelegt. Im Comeback steht sie die ersten Mal auf der Bühne, Hertha Herrlich aus dem Paradies verpasst ihr den Beinamen Unsinn, Ende der 90er-Jahre wird sie festes Ensemblemitglied des Fürther Travestietheaters Magic. Das Selbstbewusstsein, mit dem sie heute auftritt, hat sie sich mühsam und ausdauernd erarbeitet. Ihre Bekanntheit sei auch ein Schutz, sagt sie. Wenn sie dieser Tage in der U-Bahn angesprochen wird, dann meist freundlich.
Und trotzdem: Es ist längst nicht alles gut für die LGBTIQ+-Community, das Ziel ist lange nicht erreicht. „Die versteckte Diskriminierung hat abgenommen“, beobachtet Uschi, „dafür hat die offene zugenommen. Es ist wieder üblich, am Stammtisch über den warmen Bruder oder Hinterlader zu sprechen, die Leute sagen einem wieder Scheißschwuchtel ins Gesicht.“ Von zwei körperlichen Übergriffen auf queere Menschen in diesem Jahr weiß Uschi. Sie selbst erzählt von einer verbalen Attacke. All das sind für die extravagante Dame von Listenplatz 20 nur Gründe, um weiterzumachen, Bestätigung der Notwendigkeit ihrer Arbeit. „Ich bin heute nicht mehr der“, sagt sie, „der sich wegducken, der sich in öffentlichen Toiletten verstecken muss, der erpressbar ist, weil er keine Rechte hat.“ Im Gegenteil, Uwe Scherzer ist Stadtrat Uschi Unsinn. Und ab sofort auch Kolumnist bei curt. Wie gut!
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Uschi Unsinn,
geboren 1967 als Uwe Scherzer in Bad Windsheim, startete Ende der 80er-Jahre ihre ersten Gehversuche in der Kunst der Travestie. 1994 fanden ersten Auftritte zusammen mit der Crazy Girls Show Company statt, bevor Uschi 1997 festes Ensemblemitglied des Magic Travestie Cabaret Fürth wurde. Ihr erstes Soloprogramm, 1999, hieß: „Ich bin keine Frau, ich bin ein Fräulein“. Seit Mitte der Nullerjahre engagiert sich Uschi vermehrt im CSD Nürnberg und der Aidshilfe. Seit 2019 ist sie Ehrenmitglied des Fördervereins des CSD Nürnberg, in diesem Jahr zog sie für die Grünen in den Nürnberger Stadtrat ein.
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