Der Bottom-up-Regenbogen: Statement für Vielfalt und gegen Rassismus

FREITAG, 30. OKTOBER 2020, ZEPPELINTRIBüNE

#Guerilla, #Kunst, #Regenbogen, #Regenbogenpräludium, #Reichsparteitagsgelände, #Zeppelintribüne

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch verschönerten Unbekannte die Zeppelintribüne des Reichsparteitagsgeländes mit acht bunten Streifen. Das Regenbogenpräludium, so nennt sich die Künstlergruppe, hinterließ ein Guerilla-Kunstwerk, das mit einfachen Mitteln großen Effekt erzielte. Es war der eingeweihte Fotograf Peter Kunz, der am Mittwochmorgen, kurz nach 8, die ersten Bilder auf Facebook droppte. In diesem Moment beginnt die Rezeptionsgeschichte. 

Und die hat möglicherweise auch eine juristische Dimension. Obwohl es sich bei der angebrachten Farbe und wasserlösliche, ungiftige handelt, die von alleine verschwunden wäre, ermittelt die Polizei gegen das Künstlerkollektiv. Wegen Sachbeschädigung. Der Regenbogen war, laut Informationen der dpa, vom Nürnberger Liegenschaftsamt zur Anzeige gebracht worden. 

Auch deshalb wollen die Mitglieder des Kollektivs zumindest vorerst anonym bleiben. Wie lange diese Anonymität aller Beteiligten Bestand haben wird, hängt sicher auch vom Verlauf der Ermittlungen ab. Das Regenbogenpräludium schreibt uns: “Die Polizei ermittelt, obwohl die öffentliche Meinung mehrheitlich hinter unserer Arbeit steht. Das Bewerbungsbüro selbst, Frau Lehner im Rahmen ihrer politischen Problemstellung, viele Leser in Kommentaren, Behördenmitarbeiter durch weitergeleitete, tränenreiche Bekundungen von Freude und Stolz. Sogar hochrangige Behördenmitarbeiter*innen und Politiker*innen geben uns per Mail äußerst positives Feedback.” MIttlerweile wissen wir: All das schützt vorm Kärcher nicht.

Julia Lehner hatte in einer ersten Stellungnahme künstlerische Interventionen, die sich mit der NS-Zeit auseinandersetzen, grundsätzlich begrüßt. Die Einschränkung offenbart das eigentliche, brave Kunstverständnis der Kulturbürgermeisterin: Die Aktionen müsen mit dem Denkmalschutz vereinbar seien (das ist klar), und abgesprochen. Das Kollektiv sagte der NN, der Kulturhauptstadtbewerbung stehe man ambivalent gegenüber, die Aktion war absichtlich so getimed, dass sie die Jury nicht mehr beeinflussen konnte. Das Regenbogenpräludium positioniert sich damit klar gegen eine von der Stadt initiierte, abgenickte Kunst. “Der Regenbogen dort öffnet – und ist bottom-up. Fast alles hier in NBG ist aber doch top-down, oder etwa nicht?” Vor dem Hintergrund, dass ähnliche Aktionen in der Vergangenheit von der Stadt verhindert worden seien, transportiert der Regenbogen neben dem Kontrast zum Nazibau auch die Selbstermächtigung der Kunst. 

Dem Bewerbungsbüro gefällt das. Via Facebook wurde diese Haltung noch am Mittwoch schnell klargestellt: “Gerade am heutigen Tag, an dem der Titel Kulturhauptstadt Europas 2025 leider nicht nach Nürnberg ging, ist diese Aktion ein wichtiges Statement, das wir unterstützen.” Jede Äußerung in eine andere Richtung wäre auch ganz und gar nicht schlau gewesen, erfüllt die Aktion schließlich gewisse Forderungen aus dem Bid Book der Bewerbung mit großer Konsequenz. Und schenkte Nürnberg ein temporäres Kunstwerk mit politischer Relevanz und realem Effekt: Zumindest bis die Farbe vollständig abgewaschen ist, eignet sich die Tribüne nicht mehr als Selfie-Kulisse für Nazis. 

Bei all den positiven Reaktionen darf eine Gruppierung nicht fehlen, die ihrer Rolle ebenfalls gerecht werden muss. Die AfD findet den Regenbogen blöd, nennt die Gruppe “linke Spinner” und die Aktion selbst einen Akt der Selbstinszenierung. Gleichwohl ist AfD-Mann Matthias Vogler schlau genug, lieber Law-and-order-mäßig als politisch zu argumentieren. Die Tribüne solle als Mahnung an die dunkelste Zeit deutscher Geschichte erhalten bleiben (damit die sich nicht wiederholt, nicht AfD wählen). 

Den Vorwurf der Selbstinszenierung möchte die Gruppe freilich nicht stehen lassen. Er verfängt auch nicht, schließlich sind die inszenierbaren Künstler*innen und ihre Lebensläufe gar nicht bekannt. “Es geht”, schreibt unser Kontakt, “um den Regenbogen als Statement der Vielfalt und des Nie wieder.”

Der curt hat beim Liegenschaftsamt eine Anfrage gestellt, warum eine Strafanzeige für notwendig erachtet wurde. Die Sachbeschädigung ist ein Antragsdelikt, dem sonst nicht nachgegangen werden müsste. Die positiven Reaktionen aus der Stadt und Öffentlichkeit waren bekannt, genauso wie die Wasserlöslichkeit der Farbe. Die Gruppe schreibt: “Wir vermuten politische Motive. Für den Laien lässt sich z.B. das Strafgesetzbuch durchaus anders interpretieren, ganz unabhängig von der scheinbaren Abgehobenheit des Grundgesetzes. Unsere Rechtsberatung attestierte uns ein "Restrisiko" – so würde wegen der Materialeigenschaften unserer wasserlöslichen Farbe der Staatsanwaltschaft die Arbeit am Ende recht schwer fallen”

Update: Was wir am Anfang gar nicht gesehen haben oder sehen wollten, weil naiv: Auf den Bildern, die wir via Instagram gefunden haben, sieht man nicht die natürliche Ablösung der Farbe, sondern die Reinigung des Nazibaus von der Kunst. Man stelle sich vor, Nürnberg wäre an diesem Mittwoch tatsächlich Kulturhauptstadt geworden, um weniger später ein solche Aktion aufwändig zu tilgen. Das wäre unwürdig gewesen.
   




Twitter Facebook Google

#Guerilla, #Kunst, #Regenbogen, #Regenbogenpräludium, #Reichsparteitagsgelände, #Zeppelintribüne

Vielleicht auch interessant...

ROTE GALERIE. Alle vier bis fünf Wochen gibt es in der ROTEN GALERIE eine neue Ausstellung, oft auch mit politischen Anliegen. Dazwischen jede Menge weitere Veranstaltungen von Konzerten bis zu Diskussionen. Aber im Mittelpunkt: die Menschen und ihre Kunst. Gegen den Krieg gegen die Ukraine, gegen Russland. Gegen Trump. Und dabei immer: für die Kunst und die Kultur. Die Förderung von regionalen Künstler:innen sind besonders im Fokus für die Galerie, so wie Bogi Nagy, Gymmick, Momoshi, D.A.M.N. und so viele andere. Aber auch internationale Gäste sind willkommen – wie 2021 die russische Künstlerin, Regisseurin und LGBTQIA+-Aktivistin Victoria Naraxsa, die ihre Skizzen und Zeichnung ausstellte, die sie malte, als sie in Moskau im Gefängnis saß. Wir haben mit Michael Ziegler geplaudert, dem Vorsitzenden der Karl-Bröger-Gesellschaft. Zu seinem Verein gehört die ROTE GALERIE.  >>
IDYLLEREI. Die Idyllerei-Zentrale, Kunstraum für Menschen mit geistiger Behinderung, zeigt ab 24. Oktober die Arbeiten eines Nürnberger Kultfigur, die manche:r vielleicht über die tolle Doku der Medienwerkstatt kennengelernt hat. Stanley Schulten aka. Mr Wolf. in: Wild and Free – von Wölfen und Autos. Mr Wolf gehört sowohl dem queeren als auch dem autistischen Spektrum an. Mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren, identifiziert er sich heute als Mann, häufig aber nicht als Mensch, sondern als Wolfscharakter. Diesen Wolf erweckt er auf Leinwand, in Animationen und vor allem in Comics zum Leben. Momentan arbeitet Schulten an einer zusammenhängenden Geschichte über ein Stiefkind mit Asperger Syndrom: Der Wolf und die Stiefmutter. Lutz Krutein, Leiter der Idyllerei sagt: “Ich habe nie gesehen, dass er an irgendeiner Stelle korrigiert hätte, sondern er hat die Bilder „druckfertig“ im Kopf und zeichnet sofort ins Reine.”

Gelegenheit diesen besonderen Künstler kennenzulernen, bietet ab 24.10. die Ausstellung in der Idyllerei, die auch versucht, der spannenden Frage nachzugehen: Wie kann man etwas werden, was man offensichtlich nicht ist? Vernissage ab 18.30 Uhr. Die Ausstellung läuft bis zum 09.11. und ist den Öffnungszeiten der Idyllerei zu sehen: Do. bis Sa., 14-18 Uhr.

www.idyllerei.de
   >>
REICHSPARTEITAGSGELäNDE. Im letzten Review ging es um die Frage, inwieweit eine innere Erinnerungsarbeit mit physisch erfahrbaren Elementen aufklärerisch und ästhetisch funktionieren kann, am Beispiel der Holzschuharbeit von Harald Kienle für Hersbruck. Über diese Beobachtung und den größeren Kontext einer kreativen Erinnerungsarbeit spreche ich im folgenden Interview mit Hajo Wagner. Alle gestellten Fragen wurden unverändert schriftlich beantwortet, die Antworten wurden inhaltlich nicht verändert.  >>
20241001_pfuetze
20241001_Salz_Pfeffer
20241001_Einblick
20241001_Staatstheater
20241001_Retterspitz
20230703_lighttone
20241104_curt_XMAS
20241001_Staatstheater_Erlangen
20241001_VAG_Nightliner
20241001_Kaweco
20240801_mfk_PotzBlitz
20240601_ebl
20241001_GNM_hallo_nature