Bedarfserhebung Kulturlandschaft: Das sind die wichtigsten Ergebnisse

MITTWOCH, 12. AUGUST 2020, NüRNBERG

#Bedarfserhebung, #Corona, #Kultur, #Nürnberg, #Selbstständige, #Umfrage

Anfang Juni brachten Vertreter*innen der Nürnberger Kulturszene (u.a. Kulturliga, poltibande, heizhaus) in Zusammenarbeit mit dem Kultureferat die sog. Bedarfserhebung auf den Weg. Der Fragebogen richtete sich an Institutionen genauso wie an selbstständig tätige Künstlerinnen und Künstler. Ziel der Befragung war ein Überblick über die aktuelle Situation und die dringenden Bedarfe einer Branche, die von Corona massiv betroffen ist. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.

Nicht ganz einen Monat war die Umfrage online, sie wurde in der Zeit von 122 Selbstständigen und 59 Orten beantwortet.

Von den Soloselbstständigen geben 63 % an, ihre Tätigkeit bis voraussichtlich Ende September aufgeben zu müssen. 25 % gehen von Zahlungsunfähigkeit bis Ende des Jahres aus. 12 % sind wirtschaftlich stabil.

Bei den Orten ist die Lage ähnlich dramatisch. 60 % dieser Institutionen (30 von 59 sind als Verein organisiert) müssen nach derzeitigem Stand Januar 2021 ihre Existenz aufgeben. Das betrifft 67 % der Sparte Musikorte und Kulturgastronomie, die damit Spitzenreiterin ist. 40 % der Orte mit Schwerpunkt Musikveranstaltungen gehen sogar schon von einem Ende zum September aus. Diese Orte geben konkret an, wofür sie jetzt Unterstützung benötigen: laufende Betriebskosten, Pacht und Miete, Personal. Von den freien Theatern gehen 60 % von einem Ende zum neuen Jahr aus. Der eingeschränkte Betrieb verursacht ihnen Mehrkosten, ist gleichzeitig aber nicht kostendeckend.

Die durchschnittlichen Fixkosten aller befragten Orte betragen 2.880 Euro im Monat. In der Kulturgastronomie (z.B. Clubs) sind diese freilich deutlich höher als in der freien, oft ehrenamtlich organisierten, Szene. 59 % der Orte haben Hilfe beantragt oder bereits erhalten, 55 % benötigen weiterhin Zuschüsse.

47 der 122 Selbstständigen haben die Corona-Soforthilfe beantragt, 26 die Künstlerhilfe Bayern, und 6 Unterstützung vom Nürnberger Bündnis für Kultur, 4 greifen auf die Grundsicherung zurück. Die Möglichkeit, Kredite zu beantragen, ist für Künstler*innen nicht attraktiv. 2 der Befragten haben das getan, 4 würden es in Betracht ziehen. Trotzdem haben 26 gar nichts beantragt, was wahrscheinlich auch damit zusammenhängt, dass 46 ihren Lebensunterhalt aus einer Mischkalkulation beziehen und neben der Selbstständigkeit ein weiteres Einkommen haben. 

Die finanzielle Lebensrealität der Kulturschaffenden, auch darauf lenkt die Befragung dankenswerter Weise einen Blick, ist prekär bis bescheiden. Künstlerinnen und Künstler sind Überzeugungstäter, die auch ohne Corona eher selten auf Geldscheinen gebettet sind. Die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten der Befragten belaufen sich auf 1.100 Euro. 20 % geben sogar weniger als 700 Euro monatlicher Lebenskosten an. In der jetzigen Situation halten sich 18 % über Wasser, indem sie Erspartes oder die Altersvorsorge angreifen oder Unterstützung von Partner oder Familie erhalten.

Zitate der Befragten veranschaulichen deren Situation: „Ich lebe z. Zt. zu 60 % von meinen Altersrücklagen. Dies kann ich höchstens noch bis in den September durchhalten. Dann muss ich wohl meine Selbständigkeit aufgeben um nicht in 8 Jahren von Altersarmut geschlagen zu werden.“

Die Umfrage stellt auch die Frage nach anderweitiger Unterstützung, die über finanzielle Hilfe hinausgeht. 47 % der Selbstständigen und 29 % der Orte wünschen sich Beratung. Das beinhaltet nicht nur Informationen über einen möglichen Jobwechsel oder über die Auflagen für Veranstaltungen trotz Corona, sondern beispielsweise auch die Bereitstellung von Flächen und, ganz wichtig, die Klärung von Unsicherheiten, die mit der Soforthilfe einhergehen. Eine befragte Person schreibt: „Da ich die Soforthilfe für Solo-Selbstständige erhalten habe, kann ich die Fragen (...) nicht gut beantworten, da ich noch keine Sicherheit darüber habe, ob ich diese Hilfe tatsächlich behalten kann oder eventuell zurückbezahlen muss und stattdessen andere Fördermittel beantragen müsste.“

Klar ist, angesichts dieser Ergebnisse erst Recht, dass die Coronapandemie eine gewisse Umwälzung der Kultur zur Folge haben wird. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass alle Betriebe überleben werden. Die Umfrage bietet aber auch den Raum für Vorschläge und Forderungen: Was kann und sollte weiterhin getan werden, um Betriebe und Soloselbstständige vor der Insolvenz zu bewahren, wie kann das, was getan wird, besser getan werden? Vier exemplarische Antworten:

„Ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ für die Zeit in der die Auftagslage sehr niedrig ist, würde helfen auch für die Zukunft liquide & handlungsfähig zu bleiben.“

„Eine faire Lösung wäre, den Künstler*innen, die zum Wohle aller aufs Abstellgleis verfrachtet wurden (die also ein staatlich angeordnetes Berufsverbot haben) anhand ihrer Steuererklärung der vergangenen 2 oder 3 Jahre „Kurzarbeiter-Geld“ zu bezahlen.“

„Die Stadt Erlangen beschloß, alle Dozent*innen, die für die Kultureinrichtungen auf Honorarbasis tätig sind, zu unterstützen, indem sie die Honorare für die Kurse, die in dem Zeitraum ausgefallen sind, auszahlten. Die Stadt Nürnberg sollte sich dieses als Beispiel nehmen. Zumal sie deutlich besser mit ihrem Budget für Kultur steht als Erlangen.“

„Art-Leasing als Unterstützungsmaßnahme durch kommunale Träger und Einrichtungen: Privatpersonen, Betriebe und Behörden mieten Originalwerke, vermittelt durch das Kulturamt der Stadt. Offen für alle Nürnberger Künstl*innen, ohne Kuratierung und Eingrenzung und Vorauswahl durch die „üblichen Gremien“.”




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