Staatstheater 20/21: Sommerspielplan, Sonderspielplan und der Coup des Jahres
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So ein Staatstheater ist normalerweise nicht der flexibelste Betrieb unter der Sonne. Spielzeiten werden lange im Voraus geplant, Stücke über Monate entwickelt und geprobt, Haushalte berechnet und abgesegnet. In der Coronakrise ist das Gegenteil gefragt: spontane Einstellung der Spielzeit, ständige Bereitschaft zurückzukehren, digitale Sofortproduktion und eine völlige Umkrempelung jeglicher Planung. Das Staatstheater ist wieder da und hat bietet eine erste Vorschau auf Herbst und Winter.
Update: Wegen eines Corona-Falls in der Familie eines Ensemblemitglieds musste der Sommerspielplan stark reduziert werden. Ein Großteil des Ensembles befindet sich in Quarantäne. Der Audio-Walk und andere Veranstaltungen mit Schauspiel-Mitgliedern entfallen.
Der Sommerspielplan
Jens-Daniel Herzog schaut natürlich mit Wehmut auf diese halbe Spielzeit 2020 zurück. Man sei, sagt er im Rahmen der Pressekonferenz zur Spielzeitvorschau 20/21, auf dem Weg zu einer Rekordspielzeit gewesen. Und habe dann am 11. März eine Vollbremsung einlegen müssen. „In dem Moment ging der Auftrag an alle raus, sich für eine Wiederaufnahme flexibel zu halten.“ Das Staatstheater plötzlich eingefroren. Erst Ende April war klar: Die Regelspielzeit muss abgesagt werden. „Erst da hatten wir zum ersten Mal Planungssicherheit.“
Herzog bezeichnet es als großes Glück, das man mit dem Digitalen Fundus quasi unbeabsichtigt auf eine solche Situation vorbereitet gewesen sei. Dieses Staatstheater-Onlineangebot mit seinen unterschiedlichsten Formaten sei der eigentliche Krisengewinnler. Mit immer neuen Lockerungen wurde aber auch eine Wiederaufnahme des Live-Betriebs denkbar. Jetzt kehrt das Staatstheater also tatsächlich zurück: ein Monat Sommer-Sonder-Spielplan, vom 25. Juni bis 25. Juli.
Der Sommerspielplan beinhaltet unter Einhaltung der aktuellen Hygieneregeln immerhin 119 Veranstaltungen. Herzog freut sich insbesondere, dass dazu auch Mehrspartenprojekte gehören. In den Verwandlungen, einem Wandelkonzert durch die Staatsoper, kooperiert die Staatsphilharmonie mit Ballett und Oper. Die künstlerische Leitung liegt bei Joana Mallwitz und Goyo Montero. Kleinste Gruppen spazieren dabei durch das Gebäude, das in verschiedenen Besetzungen bespielt und betanzt wird, und entdecken dabei auch Orte, an die das Publikum sonst nicht vordringt.
20/21
Klar ist, es wird nicht alles automatisch normal sein, nach der Spielzeitpause. Das Staatstheater hat sich darum, dagegen entschieden, einfach nach alten Plänen weiterzumachen. „Theater“, sagt Jens-Daniel Herzog, „lebt von Nähe, nicht von Distanz. Das werden wir erst wieder haben, wenn es einen Impfstoff oder eine komplette gesellschaftliche Neubewertung der Situation gibt.“
Der Spielplan 20/21 musste also zwei Dinge leisten: Flexibilität ermöglichen und aktuelle Bezüge herstellen. Es werde daher keinen Gesamtspielplan geben, sondern vier Pläne: Herbst, Winter, Frühling, Sommer. Der Vorverkauf für die jeweiligen Stücke beginnt immer einen Monat vorher, Abonnent*innen haben Vorkaufsrecht. Inhaltlich wolle man nicht so tun als finde Theater/Oper/Konzert im luftleeren Raum statt: „Jede Sparte war aufgefordert, künstlerische Antworten auf die Krise zu finden.“
Schauspiel
Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger betont, über die Neu-Planung des Spielplans habe sofort Einigkeit geherrscht. „Theater muss die Wirklichkeit beobachten, beschreiben und ins Spiel bringen“, das sei seine inhaltliche Überzeugung. Fürs Schauspiel bedeutet das auch ästhetische Anpassungen. Von intensivem Körpertheater ist abzusehen. „Wir dürfen unseren natürlichen Impulsen nicht folgen, wir müssen sie umlenken in Sprache.“ Aber: „Auch radikale Reduktion kann ja eine ästhetisch interessante Position sein“, so Gloger.
Das Theaterprogramm beginnt mit Heinrich von Kleists Erdbeben in Chili, Premiere am 18.09. vor 40 Zuschauer*innen in der Kammer. Zum Vergleich: In anderen Häusern in der Schweiz werde bereits wieder für 500 Gäste geplant. Gloger ist selber froh über die Vorsicht. „Ich würde nicht ins Theater gehen, wenn ich mich dort nicht sicher fühle.“ Das Highlight der Spielzeit ist ein Coup: Am 30.10. feiert nach Stückentwicklung in Nürnberg Take the Villa and Run! Uraufführung. Dahinter steht einer der größten Namen der deutschsprachigen Theaterlandschaft, Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis-Träger, Nestroy-Preisträger, Mühlheimer Dramatikerpreis-Träger, designierter Intendant der Berliner Volksbühne: René Pollesch kommt nach Nürnberg. Gloger: Mic-drop, ist das was oder ist das nix?
Philharmonie
So eine Philharmonie ist ein ganzer Haufen von Menschen, die wahrscheinlich nicht in einem Haushalt zusammenleben. 91 Musiker*innen, die wegen Corona nicht einfach Ruhe geben wollten, gehören dem Orchester an. Schnell hätten sich kleine Gruppen zusammengefunden, erzählt Musikdirektorin Joana Mallwitz, die die Musik zu den Hospizen, Seniorenheimen und Krankenhäusern brachten. Jetzt sei die Vorfreude groß, im Zuge der Verwandlungen wieder vorm Staatstheaterpublikum spielen zu dürfen.
Die Pandemie hat auch hier zu neuen kreativen Blüten geführt. Für kleine HörerInnen nahmen die Orchestermusiker*innen eine Hörspielfassung von Jonas kleine Oma auf, die sich in den Kindergärten der Stadt großer Beliebtheit erfreut. Für den Digitalen Fundus entstand unter anderem der Videorundgang durch Beethovens 7. Symphonie. Wenn am 23.10. die Philharmonischen Konzerte vors Publikum zurückkehren (Mozart und Bartók), muss die Chefin nicht nur darauf achten, dass jeder seinen Einsatz findet, sondern auch dass jeder nur seinen eigenen Stuhl und seinen eigenen desinfizierten Notenständer verwendet.
Oper
Operndirektor Jens-Daniel Herzog entschied sich als Reaktion auf die aktuelle Nachrichtenlage für einen Rückgriff auf die älteste Oper überhaupt: Claudio Monteverdis L’Orfeo (Premiere 02.10.). Der Mythos des Orpheus, der seine verstorbene Eurydike zurückholen will, lade sich durch die Gegenwart komplett neu auf. Gemeinsam mit dem Komponisten Frank Löhr entwickelt Joana Mallwitz zu diesem Anlass eine neue Nürnberger Fassung des Orchesterwerks.
Der Orfeo findet, ebenso wie die Operngala am 11.10. noch mit reduzierten Mitteln statt. Die Wette im Spielplan heißt Il Trovatore, stammt von Giuseppe Verdi und soll am 28.11. Premiere feiern. Herzog: „Dafür brauchen wir den Chor und das komplette Orchester.“
Ballett
„Tanz geht nicht ohne Kontakt“, sagt Ballettdirektor Goyo Montero, der sich in einer Situation befindet, in der Tanz ohne Kontakt gehen muss. Er habe versucht, diese Situation als Motivation zu nutzen, um neue Wege der Choreografie zu finden. Das Nürnberger Ballett in der anstehenden Spielzeit wird also möglicherweise anders aussehen als man es kennt.
Inhaltlich hat sich Montero mit Fragen nach Angst und Isolation auseinandergesetzt und ist über dieser Auseinandersetzung zum Märchen Peter und der Wolf gekommen. Der Peter traut sich nicht raus, denn draußen ist der Wolf. Monteros Version auf der Grundlage von Prokofjews Werk, Über den Wolf, feiert am 24.10. Premiere, es wird aber auch zusätzlich eine digitale Version geben.
Das Haus
Wie geht es weiter mit dem Staatstheater ist eine Frage, die in zweifacher Hinsicht verstanden werden kann. Bürgermeisterin Dr. Julia Lehner sagt am Anfang der Pressekonferenz: „Wann dürfen wieder mehr Menschen Platz nehmen? Die Frage ist leider nicht zu beantworten.“ Man müsse hoffen, dass die relative Strenge der Verordnungen in Bayern geholfen und genutzt hat. Die Rettungsschirme allerdings, räumt die CSU-Politikerin ein, funktionierten nur teilweise. Es gebe immer noch Lücken, die gestopft werden müssen, denn: „Kultur ist nicht das schöne Additiv. Ohne Kultur ist alles nichts.“
Das Staatstheater gehört freilich nicht zu den Betrieben, die jetzt in existentielle Nöte geraten. Die Liste der Sponsoren ist lang, keine der Firmen habe ihre Hilfe zurückgezogen, so Intendant Herzog. Durch die wirtschaftliche Gesundheit des Hauses und das Instrument der Kurzarbeit könne man heute sagen: „Wir kommen ganz gut durch.“ Wenn auch nicht sorglos. In Zahlen heißt das: Weil das Staatstheater 20 Prozent des Budgets selbst erwirtschaften muss, fehlen momentan 3 Millionen Euro in der Kasse. Geschäftsführer Christian Ruppert: „Wir gehen davon aus, dieses Gap bewältigt zu bekommen.“
Man kann also davon ausgehen, das Staatstheater wird auch nach Corona noch stehen. Die wirklich interessante Frage ist, ob es dann noch bespielt wird. Die Staatsoper ist Baujahr 1905 und weist mittlerweile Mängel auf, die, wenn nicht behoben, die Betriebserlaubnis gefährden. Die Stadt erwartet Ende Juli die Ergebnisse von zwei Studien, die die Themen Tragwerk/Statik und Brandschutz näher beleuchten.
Jens-Daniel Herzog betont, man sei auf das Thema vorbereitet und auf der Suche nach Ausweichspielstätten. Man wird in absehbarer Zeit ausweichen müssen und zwar für längere Zeit. „Wir möchten für diese Spielstätte eine eigene Vision entwickeln, auch in Hinblick auf N2025: Das Musiktheater, das in die Stadt hineinwirkt.“ So kann man dem Szenario vielleicht etwas Produktives, Kreatives abgewinnen. Auch wenn sich das im ersten Moment freilich nicht schön anhört: Wenn Nürnberg 2025 Kulturhauptstadt Europas sein sollte, wird die Staatsoper mit großer Sicherheit nicht zur Verfügung stehen.
Alle Termine und Tickets: www.staatstheater-nuernberg.de
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