Theo Fuchs trifft den Lungenfacharzt: Auch ich habe schlecht geschlafen
#Corona, #Dr. Ficker, #Interview, #Theobald O.J. Fuchs
Ich sitze im Garten, ein Feuerchen qualmt lustig vor sich hin, wir haben Forellen geräuchert, zum Nachtisch brutzeln Bratwürste auf dem Rost. Ich reiß mir ein Seidla Bier auf und denke mir, das wäre jetzt der richtige Moment, um mit dem ärztlichen Leiter der Klinik für Pneumologie am Klinikum Nürnberg zu telefonieren. Prof. Dr. Joachim Ficker ist ein alter Bekannter von mir und nebenbei bundesweit bekannter Spezialist für Lungenerkrankungen.
In der Tat hatte ich Ende der 1990er Jahre ein einziges Mal Gelegenheit, mit meinem Bruder, der Medizin studiert hat, wissenschaftlich zusammenzuarbeiten. Damals leitete Dr. Ficker am Uniklinikum in Erlangen das Schlaflabor, wo mein Bruder promovierte, und ich posierte in der Mittagspause für ein paar Fotos als krass verkabelter Patient mit Beatmungsmaske im Testbett. Ich hatte dafür mein bestes Flanell-Baumfällerhemd angezogen und sah sehr gut aus. Und ja: Ich erledigte noch eine kleine Rechnung mit Luftfeuchtigkeit und Partialdruck, genau weiß ich es nicht mehr.
Die Publikation kann der interessierte Leser zum Beispiel auf researchgate.net genießen: „A humidfication system for CPAP therapy in obstructive sleep apnea-evaluation of the effectiveness in changing climatic environmental conditions“, G.H. Wiest, J. Foerst, F.S. Fuchs, S. Lampert, S.P. Schahin, T.O. Fuchs, E.G. Hahn, J.H. Ficker in: DMW – Deutsche Medizinische Wochenschrift 126(11); 294-8, March 2001.
Doch nun die CURT-Spezialfragen, wie sie noch nie zuvor gestellt wurden, und die Antwort des Experten.
THEO: Gleich zu Anfang: Vielen Dank für Deine Zeit! Ein Gedanke von mir ist, dass Du als Arzt jemand bist, der den Menschen Zeit verschafft, indem du sie wieder gesund machst. Darüber wird auch viel gesprochen gerade. Boris Palmer ist das Stichwort, der sagte, dass die Corona-Opfer sowieso gestorben wären. Wie siehst du das – außer, dass es moralisch natürlich eine Schweinerei ist – aus wissenschaftlicher Sicht? Habt ihr eine Übersicht, wie viele ihr rettet, wie viel Lebenszeit ihr den Menschen zurück gebt?
Prof. Dr. Joachim Ficker: Wie viele wir retten, dass wissen wir nicht. Aber ich finde diese Auffassung, dass Covid-19 Patienten ohnehin nur ein paar Wochen vor dem Tod seien und es alles keinen Sinn macht, völlig zynisch und auch falsch. Wenn man systematisch diejenigen, die sterben, anschaut und mit ihrer zu erwartenden Lebensdauer vergleicht, dann kostet ein Covidtod in Deutschland bei einem Mann etwa elf Lebensjahre und bei einer Frau im Durchschnitt 13 Lebensjahre. Der Hintergrund ist der, dass eben nicht nur Hochbetagte sterben und nicht nur Menschen mit Multimorbidität. Sondern Hochbetagtsein und Multimorbidität sind Risikofaktoren, die Erkrankung im schweren Verlauf zu bekommen und dann womöglich einen tödlichen Verlauf zu haben. Aber das ist nicht obligat. Es gibt ohne weiteres auch junge Leute, die an COVID-19 sterben, wie unsere Jüngste, die war in der vierten Lebensdekade, also noch keine Vierzig als sie starb. Und viele von unseren jungen Patienten hatten keine Komorbidität und die waren topfit im Leben. So gesehen, um auf deine Frage zurück zu kommen: Ich weiß nicht, wie viel Lebenszeit wir gerettet haben, wir haben uns viel Mühe gegeben. Aber die Grundauffassung ist eine völlig falsche, zu sagen, es trifft nur alte Leute. Es trifft die jungen auch.
Das kann man gar nicht oft genug sagen. Ich finde es auch wichtig, auch einem jüngeren Publikum klarzumachen: Leute, es ist niemand sicher!
Es geht ja nicht nur darum, sterbe ich oder überlebe ich. Es geht auch um Leiden. Es ist wirklich leiden, wenn jemand eine schwere Covid-Manifestation hat. Die Leute kriegen keine Luft, sie sind richtig krank. Das ist ein Aspekt, der oft vergessen wird. Es ist ja nicht so, dass ich in die Klinik gehe und dann sterbe ich oder komme wieder raus. Es ist wirklich ein Leiden, und dieses Leiden dauert drei, vier Wochen. Und das Nächste ist: es können bleibende Schäden entstehen. Wir sehen Patienten, die viele Wochen und wohl auch Monate danach – so richtig lange Erfahrungen haben wir ja noch nicht – noch Leistungseinschränkungen der Lunge haben. Das heißt, sie kommen schlecht die Treppe rauf, sie können nicht zügig in der Ebene gehen und viele haben quälenden Hustenreiz noch für viele Wochen. Wann der dann aufhört, wissen wir noch gar nicht.
Du kannst demnach gar nicht genug warnen. Ich persönlich kenne zum Glück keinen Patienten. In meinem Bekanntenkreis ist tatsächlich noch niemand dabei. Toitoitoi, das ist ein gutes Zeichen, denke ich, denn es heißt, die Prävention funktioniert. Wie so schön gesagt wird: Prävention kennt keine Helden. Es passiert nichts und alle denken, wozu waren die Maßnahmen da? Aber du bist ja direkt damit konfrontiert. Ihr habt, wie du ja andeutest, Patienten. Wie viele habt ihr?
Ich darf offiziell kein Zahlen nennen, aber wir haben bislang eine dreistellige Zahl von Patienten im Klinikum Nürnberg betreut, stationär. Ambulante kommen extra.
Du bist jetzt auch medial aktiv. Nordbayrische habe ich selber gelesen, ich habe mir auch Deinen podcast auf N1 angehört, und in der Süddeutschen wurdest du zitiert, du warst bei Roprot München im Fernsehen. Du hast dich da nicht vorbereiten können, dass du plötzlich gefragter Interviewpartner bist.
Sagen wir so, ich war schon häufig im Fernsehen, ich war häufig im Radio, ich habe immer wieder Pressekontakte seit Jahrzehnten. Ich mache das durchaus auch gerne, gerade weil ich sehe, dass sich sehr viele äußern, die keine unmittelbaren Erfahrungen mit dem Krankheitsbild haben, die nicht unmittelbar im Geschehen drin sind und die sich auf sehr theoretischer Basis äußern. Es ist mir ein Bedürfnis, hier aus der Praxis dagegenzuhalten und eine aus Erfahrung und nahe an der Realität entstandene Auffassung weiterzugeben.
Hörst du den podcast von Dr. Drosten an? Er ist wohl der bekannteste Wissenschaftler/Arzt in dieser Pandemie.
Er ist ein exzellenter Virologe und er ist ein sehr geschickter, kluger Erklärer. Ich bin einer seiner konsequenten Follower.
Kennst du ihn persönlich?
Ich habe ihn vor vielen Jahren mal getroffen und wusste damals natürlich nicht, dass er mal der berühmte SARS-Cov-2-Mann werden würde (lacht).
Wir haben uns auch Ende der Neunziger in Erlangen getroffen, da hätte ich auch niemals gedacht, dass ich jemals bei dir für ein Interview anrufen würde. CURT als Kultur- und Veranstaltungsmagazin ist natürlich selber schwer betroffen. Die April- und die Mai-Ausgaben sind nicht erschienen, weil es nichts zu füllen gab. Es gibt keine Ausgehtipps, keine Restaurant-Tipps, keine Ausstellungen, die man besuchen konnte. Das mit den öffentlichen Veranstaltungen ist natürlich ein harter Schlag für alle, die irgendwo im Kunst- und Kulturbereich arbeiten und da auch ihren Lebensunterhalt verdienen. Wie denkst du, siehst du Licht am Ende des Tunnels? Ganz ehrlich?
Da sind zwei Aspekte. Das Eine ist die bittere Tatsache, dass dieses Virus einfach noch da ist. Dieses Virus wird noch da sein, bis die Mehrzahl in der Bevölkerung geimpft ist. Das wird nicht schnell gehen. Der Impfstoff muss entwickelt werden, dann muss er produziert werden und dann muss auch noch geimpft werden. Erst wenn zwei Drittel bis drei Viertel der Bevölkerung geimpft sind, kann man so langsam an ein Zurücklehnen denken.
Auf der anderen Seite heißt das nicht, dass wir uns jetzt auf immer und ewig einsperren müssen. Die Frage des Wiedereröffnens oder des Herunterfahrens des Social Distancing, wie auch immer man es nennt, ist keine Frage, ob wir es tun oder nicht. Es ist nur eine Frage, wie wir es tun. Ich meine, wir müssen auf jeden Fall wieder Kultur haben, wir müssen Veranstaltungen haben, zu denen wir hingehen. Ich glaube aber auch, dass wir im Detail das eine oder andere ändern müssen. Es muss einen Kulturbetrieb geben in einer Weise, dass sich dabei niemand ansteckt. Wir brauchen Abstand und wir brauchen Masken. Wir müssen dann auch Abläufe bei solchen Veranstaltungen definieren, dass dieser Abstand auch eingehalten wird.
Ein Festival wie Rock im Park ist wahrscheinlich erst einmal zweifelhaft. Es nützt vermutlich nichts, wenn man mit einer Maske Haut an Haut steht.
Nein, das nützt gar nichts. Haut an Haut wird nicht gehen in den großen Massen. Bei Rock im Park bin ich recht skeptisch, ob man dieses Veranstaltungsformat entsprechend ändern kann. Was sehr einfach geht, sind kulturelle Angebote, wie z.B. eine Ausstellung. Das kann man sehr gut regeln. Da geht es ja auch in aller Gemütlichkeit zu. Ich kann mir auch vorstellen, dass viele Formen darbietender Kunst so gestaltet werden können, dass das Infektionsrisiko dabei in einer vernünftigen Weise minimiert ist. Alles, was so richtig Party oder orgienartig ist, wird es eine ganze Weile nicht geben (lacht).
Du hast ja auch Kinder. Würdest du sie jetzt auf ein Festival oder eine Corona-Party gehen lassen –vermutlich nicht?
Meine Kinder sind erwachsen und entscheiden das selbst. Aber von allem, was diesen Mindestsicherheitsabstand und das Maskentragen in Frage stellt, würde ich meinen Kindern abraten.
Ministerpräsident Söder hat auf einer Pressekonferenz gesagt, das Problem in Restaurants sei, dass Masken beim Essen nicht gerade zielführend sind. Mit Masken auf einer Bühne wird es auch relativ schwierig. Was hältst du davon, wenn eine Band sagt, wir sind eine Virengemeinschaft, immer etwa drei bis fünf Leute?
Das ist ein rein theoretisches Konzept mit der Virengemeinschaft, da würde ich mich nicht darauf verlassen. Aber die üblichen Bühnen sind doch schon so, dass auch die Musiker untereinander Abstand halten können. Dann muss man denjenigen, der da singt, extra stellen, denn singen mit Maske wird nicht gehen. Wenn er Abstand hat, auch zum Publikum, so dass er mit seiner Aerosolwolke niemanden erreichen kann, dann bin ich mal vorsichtig: Dann kann ich mir vorstellen, dass man das in einer verantwortbaren Weise gestaltet.
Denkst du, dass es da irgendwann einmal Regeln geben wird, sodass beispielsweise ein Ordnungsamt oder das Gewerbeaufsichtsamt Konzerte bzw. Bühnen abnimmt?
Ja. Ich glaube, im Moment ist gefragt, dass Veranstalter sehr, sehr kreativ sind. Und sich beraten lassen, Lösungen finden, die können originell und vielleicht sogar witzig sein. Und mit diesen Lösungen auf die Behörden zugehen und sagen: Schaut her, ich hab da eine Lösung, nach allem gesundem Menschenverstand kann da nichts passieren – was haltet ihr davon? So etwas wird nicht innerhalb von 24 Stunden zu entscheiden sein, aber wie gesagt, wir haben noch ganz viel Zeit, um uns an dieses Virus zu gewöhnen. Ich würde die Hoffnung haben, dass wir solche kreativen Lösungen in vielen Bereichen durchsetzen können.
Das klingt sehr optimistisch, das gefällt uns. Du weißt jetzt nicht als Lungenfacharzt, vor allem als Mitglied in einigen Gremien, die bundesweit oder sogar europaweit Regelungen und Vorgehensweisen festlegen, ob es hierzu schon Aktivität gibt?
Ich bin selbst nicht an Regelungen beteiligt, die für die Kunstszene irgendeine Bedeutung haben. Das ist nicht mein Business. Aber ich spreche mit Leuten, die da beteiligt sind. Dabei ist ganz viel Mühe im Spiel. Es gilt, Kreativität, Sachverstand und Vernunft walten zu lassen, um soviel Leben in jeder Form zu ermöglichen, wie es verantwortbar ist. Natürlich waren wir alle in den ersten Wochen geschockt, als die Dinge in Italien passiert sind, als sich die Infiziertenzahlen alle drei Tage verdoppelt haben. Das muss man sich nochmal auf der Zunge zergehen lassen, wir hatten ja wirklich Anfang März Zahlen, da waren es alle drei Tage doppelt so viele Infizierte! Da habe ich irgendwann auch angefangen, schlecht zu schlafen. Ich dachte, es geht jetzt noch zwei Wochen, dann fliegt uns das um die Ohren. In dieser Zeit musste man schnelle, einfache, klare Regelungen treffen. Das war richtig, aber jetzt sind wir in einer Zeit, in der wir in die Detailarbeit gehen können. Von der Politik weiß ich, dass die Bereitschaft da ist, kreative, kluge Lösungen anzutesten und so viel Freiheit ermöglichen, wie man verantworten kann.
Der exponentielle Verlauf ist natürlich für mich als Physiker eine völlig simple Tatsache. Jeder, der sich einmal mit einem Kernreaktor beschäftigt hat, kennt das, es sind ähnliche mathematische Verhältnisse. Wenn man es dann in Echt erlebt, dann ist das erschreckend. Wenn die Mathematik real wird, merkt man: hier ist ein Gegner, der funktioniert. Dem man nicht gut zureden kann. Vermisst du selber Kunst und Kultur? Hast du überhaupt Zeit, um zu Klassik im Park zu gehen oder jetzt in Biergärten oder auf ein Punkkonzert?
Ich vermisse das natürlich. Weniger das Punkkonzert (lacht), aber ich vermisse natürlich die Gastronomie, ich vermisse die Biergärten, ich vermisse auch einfach die Kumpels, die privaten Grillfeste. Ich gehe auch gerne zu Kunstevents, ich gehe gerne zu Ausstellungen und allen möglichen Dingen. Ich habe letztlich wie alle ein Freiheitsbedürfnis. Manchmal fühlt man sich ja auch schon eingeschränkt, selbst wenn man gar nicht genau weiß, welche konkrete Freizeitaktivität jetzt gerade heute wegen der Coronapandemie ausfällt, aber alleine die Idee, nicht frei überall hingehen zu können, ist unangenehm.
Wir ziehen wohl alle am selben Strang und wollen dasselbe. Eine letzte Frage, etwas abweichend von Covid-19 (Erkrankung) oder Sars-COV-2 (Virus): Man hört, dass die Luftverschmutzung eine Rolle spielt. Dass also Menschen, die durch schlechte Luft vorbelastet sind, stärker erkranken, was in Italien eine gewisse Rolle gespielt zu haben scheint. Du beschäftigst dich schon lange mit Lungenerkrankungen und hast Ahnung von Luftverschmutzung und deren Folgen. Erwartest du einen Effekt durch den Rückgang der Luftverschmutzung, in Folge des Lockdowns? Seht ihr das in der Klinik?
Bei diesen Luftverschmutzungsdaten muss man extrem vorsichtig sein. Das sind überwiegend epidemiologische Daten. Die können auf mögliche Zusammenhänge hinweisen, können aber Zusammenhänge nicht beweisen. Es gibt auch nicht einfach DIE Luftverschmutzung. Das ist ein Globalbegriff, in dem ganz viele einzelne Aspekte von Luftverschmutzung zusammengefasst werden. Auch hinter dem Zusammenhang zwischen der „Luftverschmutzung“ und Covid-19-Infektionen stecken rein epidemiologische Beobachtungen. Man hat gesehen, dass die Häufigkeit von Covid-19-Infektionen in Italien geografisch ungefähr mit den Bereichen zusammenfällt, in denen auch die Luftverschmutzung sehr hoch ist. Auf der anderen Seite ist die Luftverschmutzung nicht der einzige Unterschied zwischen den Bereichen, in denen viel Covid war, und denen, wo wenig Covid war. Auch die Lebensweise ist in vieler Hinsicht anders. Das ist eine Hypothesen-generierende Beobachtung. Ein Beleg, dass da ein Zusammenhang ist, ist es auf keinen Fall. So konnte man, wenn man wollte, auch einen Zusammenhang zwischen der Herstellung von Gorgonzola in Norditalien und den vielen Coronapatienten in Norditalien konstruieren – nur würde das jeder gleich als abwegig erkennen.
Es gibt auch keine klare Vorstellung, wie das gehen soll. Es ist sicher nicht so, dass man bei uns in Europa Luftverschmutzung hat in einer Ausprägung, dass deswegen gleich die Bronchien anfälliger für Viren sind. Es gab ja eine Zeitlang auch so komische Ideen, dass die Viren auf irgendwelchen Staubpartikeln in der Luft herumschwirren und sich sich besser verbreiten können. Das ist Unfug. Als Lungenarzt stehe ich natürlich dafür, dass ich sage, in die Lungen gehört nichts als saubere Luft. Aber ein großes Risiko, durch Luftverschmutzung mehr Covid-Fälle zu haben, sehe ich gar nicht. Als Lungenarzt muss ich immer dazusagen, die bedeutendste Luftverschmutzung, die es aus Sicht der Bronchien gibt, ist Rauchen. Es gibt nirgends in Europa eine Stadt, wo man so viel Luftschadstoffe inhalieren könnte, wie wenn man eine Zigarette pro Tag raucht.
Eine klare Aussage! Ich wäre nun mit meinen Fragen durch. Tausend Dank!
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