Curts Check-up 9: Lara Ermer: Kleinvieh zahlt die Miete

MONTAG, 4. MAI 2020, FüRTH

#Checkup, #Interview, #Lara Ermer, #Literatur, #Poetry Slam

Unter allen Club- und Theaterdächern ist nach wie vor Ruh. Bis mindestens 31. August wird es im Freistaat keine Großveranstaltungen geben, kleine aber erstmal auch nicht. Das betrifft besonders hart viele freiberufliche KünstlerInnen, die auf Autritte angewiesen sind. In Frankens lebhafter Poetry-Slam-Szene wurde Lara Ermer zu einer freiberuflichen Künstlerin. Mittlerweile lebt sie zwar in Frankfurt, organisiert aber nach wie vor an Fürths schönster Lesereihe, den Rooftop- Stories mit, die momentan natürlich ebenso pausieren wie alles andere. 

Dein Beruf:
Freischaffende Poetry Slammerin, Comedienne, Moderatorin und Autorin
 
Du bist in Frankfurt momentan? Wie schaut es da aus mit öffentlichem Leben?
Die Menschen scheinen sich hier sehr gut an die Vorschriften zu halten und generell vorsichtig zu sein. Seit dem 20.04. haben einige Läden wieder geöffnet, aber kaum jemand geht hin. Die Parks sind zwar voll, aber alle wahren die Distanz. Die Imbisse bei uns auf der Straße haben allesamt kreative Lösungen gefunden und verkaufen aus den Fenstern. Veranstaltungen gibt es bis auf Weiteres keine. Gestern gab es erste Nachrichten, die munkeln, dass die hessische Definition von „Großveranstaltungen“, die ja bis voraussichtlich 31.08. verboten sein werden, bei 100 Leuten liege. Damit wird hier dann wohl so schnell auch nichts mehr passieren.
 
Wie sehen deine Ausfälle aus / was passiert (nicht)?
Mir wurden seit Anfang März bis mittlerweile Juli alle Veranstaltungen abgesagt (und das wird garantiert noch länger so gehen). Das ist nicht nur ein ziemlich langer Zeitraum, sondern März bis einschließlich Mai ist sonst der für mich auftrags- und somit auch umsatzstärkste Teil des Jahres. In diesen Monaten arbeite ich normalerweise rund um die Uhr und stehe fast jeden Abend auf Bühnen, um genug zu verdienen, damit die Sommerpause (in der traditionell weniger stattfindet, weil alle lieber draußen und im Urlaub sind) finanziell für mich kein Problem wird. All diese Auftritte nun nicht machen zu können, bedeutet für mich einen unfassbaren finanziellen Einbruch. Ich mag das gerne beziffern, weil Menschen oft keine Vorstellung von den Ausmaßen haben: Allein die bisher abgesagten Veranstaltungen bedeuten für mich einen Umsatzausfall von mehr als 8.000€, die mir niemand ersetzen kann. Und da kommt wohl noch einiges mehr auf mich zu.
 
Wie hältst du dich jetzt finanziell über Wasser?
Normalerweise hangle ich mich von Auftritt zu Auftritt, hier ein Poetry Slam, da ein Auftragstext, dort eine Moderation für eine Firmenfeier. Mein Gehalt besteht also schon immer aus sehr viel „Kleinvieh“, das ich anhäufe. Ähnlich läuft es auch jetzt, nur mit sehr viel schwereren Ausgangsbedingungen und noch niedrigeren Gehältern. Hier eine Tonaufnahme für einen Podcast, da ein Werbetext für irgendwen. Ich arbeite momentan gefühlt doppelt so viel wie sonst, um einen winzigen Bruchteil meines normalen Gehalts zu verdienen. Zum Glück hatte ich 2019 ein sehr umsatzstarkes Jahr und hab einiges beiseitegelegt. Die Rücklagen wären eigentlich für Schöneres gedacht, aber immerhin komme ich durch.
 
Wie lange kannst du das durchhalten?
Ganz schwierige Frage. Bis ich komplett pleite bin, dauert es schon noch einige Monate. Ich habe die Selbstständigkeit allerdings überhaupt nur gewagt, weil ich ein bisschen Rücklagen bilden konnte. Es gibt wie gesagt Monate mit starken Umsatz, dafür aber auch mehrere Monate im Jahr, in denen ich kaum was verdiene. Wenn meine Rücklagen jetzt für diese Krise draufgehen würden, weiß ich nicht, ob ich mir meine künstlerische Selbstständigkeit hinterher noch leisten könnte.
 
Was wünscht/erhoffst du dir jetzt von der Politik?
In Bayern soll es ja jetzt 1000€ pro Monat für Künstler*innen geben. Sowas auch in Hessen zu haben, wäre fantastisch. Ansonsten sind Förderprojekte toll, die uns Kunst und Kultur auch von Zuhause ermöglichen. Das Nürnberger Bewerbungsbüro mit Stream forward und die Stadt Fürth mit ihrem Sonderfont für kulturelle Projekte in der Krise machen das bspw. schon toll vor. Natürlich gibt es viele Berufsgruppen, die gerade dringend aufgefangen werden müssen. Gerade jetzt wäre es aber auch wichtig, dass die Relevanz von Kunst und Kultur für den Menschen gesehen wird.

Bekommst du schon Hilfe/Support von Institutionen, Stiftungen, oä?
Leider nein. Bei den Corona-Hilfsgeldern der Länder und dem dafür eingerichteten Font der Stadt Frankfurt falle ich wie so viele Künstler*innen bislang durchs Raster. Ich habe neben Rücklagen aber das große Glück einer Familie, die mich im absoluten Notfall auffangen kann.
 
Ist diese Krise für dich auch eine Chance? Wofür?
Viele Kulturschaffende verlegen ihr Treiben ja gerade ins Internet. Es ist spannend, was auf einmal an Digitalisierung der Kultur stattfindet. Trotzdem ist mir da vieles noch nicht zu Ende gedacht. Ich will nicht einfach das machen, was ich sonst auf einer Bühne machen würde, mir aber dabei eine Kamera vors Gesicht halten. Das macht es sich glaube ich zu leicht und funktioniert nicht richtig. Ich würde mich gerne komplett aufs Digitale einlassen und Formate entwickeln, die in diesen Medien restlos funktionieren. Das dauert und ist unglaublich knifflig, macht aber auch Spaß. Ich habe mich nie großartig um Social Media geschert, jetzt muss ich das auf einmal lernen. Gut so.
 
Was sind deine Tipps, um die Zeit jetzt gut zu überstehen?
Puh, Tipps finde ich ganz schwierig. Für mich war es die letzten Wochen immer wieder hart und verunsichernd, dass ständig irgendjemand sagt „Schaff dir eine Struktur!“, „Tu einfach mal gar nichts!“, „Mache Yoga!“, „Lerne Russisch während du Bananenbrot backst!“. Ich fürchte, da muss jede*r einen eigenen Weg finden. Mir hat es geholfen, mir Strukturen zu schaffen, aber auch Geduld mit mir selbst zu entwickeln. Klar wäre es toll, die Zeit gerade zu nutzen und richtig viel zu schaffen, aber wenn das gerade nicht geht, dann eben nicht. Ich glaube alle Köpfe haben gerade richtig viel an dieser Situation zu rattern und zu knabbern. Da braucht eben alles ein bisschen mehr Kraft und Zeit.
 
 Wie verbringst du hauptsächlich deine Zeit im Lockdown?
Kurz bevor diese Krise losgebrochen ist, wurde mir ein Buchvertrag angeboten. Was für ein Timing und Glück. Ich schreibe also gerade vor allem an meinem Buch, wenn auch dank Chaos im Kopf sehr viel langsamer als sonst. Schon vor der Krise bin ich jeden Morgen um acht aufgestanden und saß circa ab neun Uhr bis zum Abend am Schreibtisch. Das ist immer noch so, nur dass ich hinterher nicht irgendwo zu Auftritten fahre. Ich habe mehr Zeit zum Kochen und liebe es. So viel wie ich sonst unterwegs bin, kann ich nie richtig einkaufen. Jetzt habe ich hier tatsächlich einen vollen Kühlschrank. Verrückt. Abends geht es gemeinsam mit meinem Freund nach draußen, in den Wald, an den Main, sowas eben. Außerdem sind wir ein bisschen zu Frührentnern mutiert und spielen viel Schach, Boule und Scrabble. Auch mal schön.
 
Hast du neue Projekte?
Gemeinsam mit meinem Lebensgefährten Jakob Schwerdtfeger, der ebenfalls freischaffender Künstler ist (und Rapper), nehme ich humorvolle Musikvideos über die aktuelle Situation auf. Was als Witz angefangen hat, wurde so gut aufgenommen, dass wir weitergemacht haben und so schnell wohl auch nicht wieder damit aufhören werden. Nachzusehen auf Instagram!
Ansonsten arbeite ich gerade an einer Art Interview-Show-Format, mit spannenden Künstler*innen, das ich letztendlich vermutlich über Instagram live spielen werde. Unsere Lesebühne „Rooftop Stories“ gibt es nun als Podcast auf Spotify und allen anderen gängigen Podcast-Streaming-Diensten zu hören – bis wir wieder auf der Bühne stattfinden können. Ansonsten bastle ich nebenbei noch an Youtube- und weiteren Podcast-Konzepten. Je nachdem wie lange das also andauert, wird da wohl noch einiges von meiner Seite kommen!

Wir kommunizieren gerne: deine Homepage, deinen Livestream, usw. Immer her damit
www.laraermer.com
https://www.instagram.com/lara.ermer/
 




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