Andis Corona Capriccio 4: Niemand muss verlernen, sich zu freuen
#Andreas Thamm, #Capriccio, #Corona, #coronasucks
Es mag sich total unangenehm privilegiert von mir anhören, aber es ist einen Gedanken wert: Ich finde, und es ist meine Überzeugung: Wer momentan nicht körperlich oder sonstwie unmittelbar unter der Situation leidet, kann versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich zum Beispiel trage jetzt möglichst häufig mein Blumenhemd indoors. Das macht schon einen Riesenunterschied, versprochen.
Klar, meinem Arbeitgeber, der es mir erlaubt, so privilegiert daherzureden, geht es nicht gut mit der Coronakrise. Und vielen Orten, die mir sonst mein kleines Kulturhipsterleben versüßen, geht es auch nicht gut. Vielleicht wird man danach mit weniger liebgewonnenen Veranstaltungsorten, Bars, Theatern, was weiß ich, zurecht kommen müssen. Vielleicht und hoffentlich aber nicht.
Und natürlich gehen auch für mich Zukunftsängste mit der Coronascheiße einher, ganz klar. Aber ich bin jetzt nicht arbeitslos und ich bin jetzt nicht mitarbeitend auf einer Intensivstation und alles dazwischen kann und darf auch mal verdammt angenehm sein – weil ich zwar sehr wohl arbeite, aber selten das Haus verlassen muss, selten Verpflichtungen gegenüberstehe, viel über Käsespätzle nachdenke und viel auf der Couch liege. Und was ist im normalen Leben, auch ohne Corona und alles, meine Lieblingsbeschäftigung? Ganz genau, auf der Couch liegen und über Käsespätzle nachdenken. So nämlich.
Existenzen gehen zu Bruch und ja, Menschen sterben und es ist wichtig, darüber Bescheid zu wissen und informiert und solidarisch-mitfühlend zu bleiben. Es ist aber auch wichtig, sich selbst irgendwie am Laufen zu halten und wenn es dafür nötig ist, mal einen Tag keine Tagesschau zu kucken, so be it. Und vielleicht erlebt man an dem Tag dann was Schönes. Für mich zum Beispiel bleibt es am Eindrücklichsten, dass mich ein kleines Mädchen in ihrem rosafarbenen, winzigen Mercedes AMG fast gerammt hätte, als ich am Kopernikusplatz auf einer Bank saß und nichts tat. Und dann tuckerte sie weiter Richtung Aufsessplatz und schaute noch zwei, drei mal zurück zu mir als wäre ich ein seltenes oder sehr hässliches Tier und ich freute mich.
Am Tag drauf versprach Innenminister Joachim Herrmann, dass auf Bänken sitzen erlaubt sei. Die Polizei muss also aufhören, Alleinsitzende zu vertreiben. Und das ist gut. Ich weiß nicht, wie viele Bänke es in Nürnberg gibt und ob die ausreichen, damit jeder, der will, allein sitzen kann, wahrscheinlich nicht, aber ich empfehle das. Zehn Minuten reichen und man sieht vielleicht den ersten lederhäutigen alten Mann, der die Frühlingstemperaturen sogleich zum Anlass genommen hat, sich seines Shirts zu entledigen, um wirklich allen seine haselnussbraunen Brustwarzen zeigen zu können. Und dann freut man sich. Wir haben das ja nicht verlernt, weder das Shirtausziehen noch das Sichfreuen und man muss sich auch gar nicht dafür schämen.
Wir befinden uns, seien wir ehrlich, in einer Situation, die leichter zu ertragen ist für die Introvertierten, die Sozialphobiker, die unbeholfenen Meister der Awkwardness, denn mit seinen Liebsten und Wichtigsten nur noch per Text oder Voice Mail in Verbindung zu stehen, ist, man darf es nicht laut sagen, eigentlich ganz geil, heimlich, unter der Oberfläche, subkutan. Es ist selten genug, dass diese Seite des gesellschaftlichen Spektrums bevorzugt wird. Diejenigen, die das Am-Pissoir-Nebeneinander-Stehen und das In-Meetings-Sitzen und das Achselhöhlenkuscheln in der U-Bahn nicht vermissen, sondern einfach mal davon befreit sind, für eine gewisse Zeit und gemeinsam mit allen anderen.
Wir atmen gemeinsam yogamäßig durch und bleiben auch im Sinne aller weiterhin auf Distanz. Damit das Achselhöhlenkuscheln bald wieder losgehen kann, noch pünktlich zur Sommerzeit!
#Andreas Thamm, #Capriccio, #Corona, #coronasucks