Auf dem Spielplan gibt's Gedränge
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… oder der dumme Zufall, der auch ein Signal sein könnte – Die großen Bühnen von Nürnberg-Fürth-Erlangen setzen ihre wichtigsten März-Premieren am gleichen Abend wie in einem Verdrängungswettbewerb an. Warum nur, warum?
Britische Piraten vor Cornwells Küste werden in Nürnberg von höheren Töchtern und hysterischen Polizisten umschwirrt; der prototypische deutsche Spießbürger zwirbelt in Erlangen seinen Bart und die ebenso struppig nachwachsenden Vorurteile; die Migrantin auf dem Flucht-Weg zwischen Algerien und Frankreich entwickelt ihren Rachefeldzug in Fürth. Erstmals demnächst in diesen Theatern – alles gleichzeitig. Wie eindrucksvoll, wie unsinnig! Im Februar gab es an den Bühnen von Nürnberg, Fürth und Erlangen gar keine Premieren. Die dreifache Probenorganisation hat das zufällig ergeben und keiner wollte etwas ändern. Das kann man für abgehoben souverän oder für platterdings ungeschickt halten, erstaunlich war es auf alle Fälle. Jetzt im März sieht es mit Erstaufführungen neu erarbeiteter, für inhaltliche wie für ästhetische Debatten satisfaktionsfähige Großproduktionen ganz anders aus, es sind mindestens acht – und die drei aufwendigsten, von den Veranstaltern also für besonders wichtig erachteten, finden exakt am gleichen Abend zur selben Stunde in Konkurrenz statt. Hoppla, noch ein dummer Zufall! Um es mit dem populären Philosophen Udo Jürgens zu kommentieren: Warum nur, warum?
Die ambitionierten Premieren an den Bühnen im Städtegroßraum sind, sofern man gewillt ist sie zumindest theoretisch gemeinsam in den Blick zu nehmen, im günstigsten Fall keine geballte, sondern die raffiniert gestreute Ladung gesteuerter An- und Aufreger fürs Kulturleben. In überschaubaren Abständen wiederholte Signale für die latente Lebendigkeit der von öffentlicher Hand und allgemeinem Wohlwollen getätschelten Szene über all den imaginär nachwachsenden Schlagbaumbestand hinweg. Längst nicht mehr die anachronistisch gewordenen „gesellschaftlichen Ereignisse“, die sich manche Lokalpatrioten von einer Sondermischung aus Kolossal-Wagner, Broadway-Imitat, Klassiker-Pflegschaft, Zeitgenossen-Provokation und Opernball-Spreizung dereinst in Abgrenzung zum Alltäglichen (und dem Übertrumpfen der Nachbarschaft) erträumt hatten. Aber dabei eben doch die weiträumig geschwungene Highlight-Lichterkette mit dem Abglanzpotenzial, eine zuverlässig flackernde Kulturleuchtspur als Orientierungshilfe für die gelegentlich erlahmende Wahrnehmungsfähigkeit des gerne mal überreizt, unterfordert oder betriebsblind reagierenden Publikums.
AUS DREIERLEI WIRD EINERLEI
Das Staats- und die beiden Stadttheater der Region könnten, wenn sie schon offizielle Zusammenarbeit nicht in ihrem kulturpolitischen Arbeitsauftrag finden (wollen) und kämpferisch ausgetragene Konkurrenz nicht fahrlässig provozieren (dürfen), aus reinster Vernunft die aufeinander abgestimmte Tableau-Ordnung von gestaffelten Energiestößen suchen. Mehrwert durch Kooperationsbereitschaft, was für eine tollkühne Idee. Naja, vergleichsweise schon. Die wichtigsten Premieren des Monats am selben Abend wie einen Auswurf des Zufallsgenerators anzusetzen und damit in der Folge auch noch völlig unkontrollierbaren Verdrängungswettbewerb beim Buhlen um Aufmerksamkeit auf dem ohnehin schmaler gewordenen Meinungsmarkt der Zeitungsfeuilletons auszulösen, gehört unter die Rubrik „Betriebsunfall“. Konkret: Aus Dreierlei wird Einerlei.
Klar, die Lokalpolitiker in ihren Wirkungskreisen sehen die kostspieligen Theater oft wie ein streng gehütetes Eigenheim, an dem sie Exklusivrechte beanspruchen, und haben den berufenen Langzeit-Intendanten – dem Marathon-Mann Werner Müller in Fürth, der Dauerläuferin Katja Ott in Erlangen und dem vorerst noch auf der Sprintstrecke zu neuen Ufern eilenden Jens-Daniel Herzog in Nürnberg – den kommunalen Egotrip geradezu als Arbeitsprinzip verpasst. Gemeinsam operierendes Theater Nürnberg-Fürth, das es ja mal hochoffiziell gab, ist heute auch in klügeren Differenzierungen so undenkbar wie die Fusion von 1. FCN und SpVgg Greuther Fürth; die zarten Nürnberger Opern-Ableger im Erlanger Markgrafentheater haben sich mit dem Ende der Intendanzen von Wulf Konold und Sabina Dhein gleich wieder in die Spurlosigkeit verflüchtigt. Die nie besonders wach wirkende Idee, aus allen Erfahrungen gemeinsam irgendwelche Perspektiven zu entwickeln, wurde kommentarlos eingeschläfert.
DEN MEPHISTO AN DIE WAND GEMALT
Dass man jetzt im März 2020, angefeuert von der Jury für die Shortlist der deutschen 2025er-Kulturhauptstadtkandidaten, die programmatische Vertiefung erweiterter Europa-Dimensionen beschwört, aber gleichzeitig in der Nahverkehrsnähe offenbar noch nicht mal bei der schlichtesten Terminfestlegung aufeinander achten mag, ist seltsam. Was tun? Einen übergeordneten Generalfeldmarschall der darstellenden Künste, wie er bei den gern gepflegten Abgrenzungsmysterien der Vergangenheit oft als Mephisto an die Wand gemalt wurde, bräuchte es für Erste Hilfe gegen achselzuckend hingenommene Fehlkalkulationen ganz sicher nicht. Nur die Einsicht, dass der interessiert angehobene Blick über den kleinen Gartenzaun zu einem Zeitpunkt, da die Initiative „N2025“ zur anspruchsvollen Bewerbung um den schmeichelhaften Jahrestitel der „Kulturhauptstadt Europas“ schon so viel über die Bedeutung regionaler Großraumbeteiligung geredet hat, eine Minimalforderung für den Weg dorthin sein könnte. Die Theater existieren und sind stabil, vielleicht sollten sie aus gegebenem Anlass endlich demonstrativ etwas mehr zusammenrücken?! Im aktuellen Fall hätte es ja sogar gereicht, mal beiläufig im Jahresprogramm des Nachbarn zu blättern.
SCHAUSPIELER OHNE SCHLAGBÄUME – DIE SCHAFFEN DAS
Kompliziert? Runtergebrochen auf den Theater-Alltag offenbar eher nicht. Der kleine Grenzverkehr zwischen diversen Kulturinstitutionen der Region und dazu passenden Einzelgängern wirkt in vielen Fällen geradezu euphorisierend entspannt. Schauspieler Marco Steeger, der schon während seiner Vielbeschäftigung in 18 Jahren Kusenberg-Ensemble am Schauspielhaus noch Zeit & Energie für Gründung und Regiebetreuung eines Ensembles für Junges Theater am Gostner hatte und jetzt, da er in Stuttgart spielt, dieses Projekt im Juli im Hubertussaal mit einer Inszenierung von Sibylle Bergs „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ weiterführt. Da wirkt als Darsteller Boris Keil mit, der hauptberuflich am Fürther Theater vom „Blechtrommel“-Solo über die „Känguru-Chroniken“ bis zum Spiellabor „Play Hard Work“ reichlich im Einsatz ist. Oder die frühere „Theater Mummpitz“- und Schauspielhaus-Musikerin Bettina Ostermeier, derzeit u.a. in Regensburg bei Kusenberg mit dem lange für Erlangen und Nürnberg so wichtigen Regisseur Stefan Otteni im Einsatz, die am Hubertussaal bei Songabenden in Partnerschaft mit Elke Wollmann oder Josephine Köhler (jetzt: Staatstheater Stuttgart) weiter fasziniert. Auch Adeline Schebesch, Thomas Nunner und Pius Maria Cüppers, wenn sie neben ihrem nahtlos fortgeführten Engagement am Staatstheater Nürnberg bei literarischen Programmen des ensemble KONTRASTE in der Tafelhalle rezitieren. Letzterer, der „Kammerschauspieler“ mit der größten regionalen Reichweite, war mit eigener Zaubershow kürzlich wieder mehrfach am Dehnberger Hof Theater anzutreffen, schlug sich vor Jahren wacker als Partner der „Lustigen Witwe“ im Opernhaus, ist im neu formierten Schauspielhaus-Team ständig im Einsatz - wo er grade im gleißenden Kunstlicht der Travestie bei „The Legend of Georgia McBride“ abräumt, in der „Komödie mit Banküberfall“ und der Satire „Am Rand“ zu sehen ist und für die Uraufführung „Halt mich auf“ der slowenischen Autorin Annika Henrich probt. Ihn findet man ab Mai stadtgrenzübergreifend in einer Vorstellungsserie der Fürther Eigenproduktion von Margarethe von Trottas wieder aktuell gewordener Böll-Dramatisierung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – in Szenengesellschaft der früheren Ensemble-Kollegen Stefan Willi Wang und Elke Wollmann. Virtuelle Stadtgrenzen wanken, wenn Künstler sich nicht aufhalten lassen. Sie schaffen das.
DIE PLANUNGSPANNE HAT METAPHERNBASIS
Ich will mir am 7. März übrigens die „Piraten“-Oper in Nürnberg anschauen, weil ich besonders neugierig bin auf dieses 140 Jahre alte britische Musiktheater aus dem Urschlamm-Aroma der Monty Pythons, das mir bisher noch nie untergekommen ist. Natürlich wird mich niemand daran hindern, bei Bedarf die ganz anderen Konkurrenz-Aufführungen, also Koltés in Fürth und Heinrich Mann in Erlangen, irgendwann später nachzuholen. Wenn es sich denn ergibt und die Neugier nach den Premierenberichten überlebt. Beim erwartbaren Argument, dass diese ganze Debatte hier sowieso bloß ein Auswuchs feuilletonistischer Empfindlichkeit und somit fürs Kulturleben egal ist, verweigere ich (sagen wir mal: empört) die Annahme. Die drei März-Premieren an einem Abend nebeneinander in Stellung zu bringen, mag vielleicht lediglich eine Planungs-Panne mit Ignoranzverzierung sein. Vielleicht ist es aber auch die unfreiwillige Metapher zum unterschwellig wohl doch etwas morsch gewordenen Selbstverständnis von „Theater im Großraum Nürnberg“.
In den Bildern: Pius Maria Cüppers, Nürnbergs Kammerschauspieler mit der größten Reichweite in „Komödie mit Banküberfall“ und „The Legend of Georgia McBride“ am Schauspiel des Staatstheaters) hat auch Auftritte am Opernhaus, in Dehnberg, in der Tafelhalle und demnächst im Fürther Theater. Fotos: Konrad Fersterer / Staatstheater Nürnberg
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DIETER STOLL: Theaterkritiker und langjähriger Ressortleiter „Kultur“ bei der AZ.
Als Dieter Stoll nach 35 Jahren als Kulturressortleiter der Abendzeitung und Theaterkritiker für alle Sparten in den Ruhestand ging, gab es die AZ noch. Seither schreibt er z.B. für Die Deutsche Bühne und ddb-online (Köln) sowie für nachtkritik.de (Berlin), sowie monatlich im Straßenkreuzer seinen Theatertipp. Aber am meisten dürfen wir uns über Dieter Stoll freuen. DANKE!
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