Dem Egers sei Welt #79: Der Traum von den Salamandern

DONNERSTAG, 30. JANUAR 2020

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne, #Kultur

Edgar erwachte von einem Schlurfen, das aus der Tiefe des Hofs in sein Schlafzimmer im zweiten Stock des Hinterhauses drang. Dann erklang zweimal, von einer kurzen Pause unterbrochen, das Geräusch der Rolltür, hinter der sich die Abfalleimer der Hausgemeinschaft befanden. Sodann schleiften schlabbernde Schritte über den Asphalt.

Das Hörspiel endete für Edgar mit dem Schließen der Hoftür. Er öffnete die Augen. Der schwarze Vorhang verdeckte nicht vollständig das Fenster, und er konnte so einen kleinen Blick auf den Himmel werfen. Am Firmament zogen hellgraue Bahnen. Edgar erschien es, als wäre es der mehrmalig in einer göttlichen Nudelmaschine ausgewalzte Rotz eines Titanen, der über Stunden mit einem Vorschlaghammer ein Loch durch einen Planeten aus Sandstein geklopft hatte. Nach diesem Gedanken über den Himmel fühlte er sich geschwächt. Edgar zog den Vorhang so weit zu, bis er die Fensteröffnung vollständig verdeckte. Das Schlafzimmer war jetzt nahezu dunkel. Er nahm aus einer kleinen gelben Dose auf dem Nachttisch zwei Wachspfropfen, verformte diese mit seinen warmen Fingern zu Keilen, stopfte sich einen jeden in seine Ohren und legte sich wieder ins Bett. Er vergrub seinen Kopf im Kissen und zog die Decke bis knapp unter seine Nasenlöcher. In dem warmen Dunkel klopfte Edgars Herz ganz sacht wie das leichte Trommeln in einer Höhle aus Wohligkeit. Seine Nase atmete erleichtert darüber, dass dieser Tag erst einmal ohne die Beteiligung von Edgar sein Auskommen finden musste. In der dunklen Wärme, dem ruhigen Takt des Herzens und der Atmung glückte es Edgar, sich in der sanften Slalomfahrt des Geistes geschickt an scharfkantigen Hindernissen wie Verpflichtungen, Terminvereinbarungen und sonstigen volkswirtschaftlichen Zwängen vorbeizuschlängeln und von den sanftmächtigen Armen des Schlafes umarmen zu lassen. Nicht einmal eine vollständige Etüde an Atemstößen hatte es gebraucht und Edgar fand sich in den Bildern eines angenehmen Traumes wieder. Ein schmaler Pfad zwischen hochragendem Fels und grünem Abhang, auf dem die Illusion seines Ichs mit leichtem Herzen hinauf zu einem Wolken umhängten Berggipfel wanderte, träumte sich Edgar. Auf Gras gesäumten Stufen schritt er immer höher und sah vor seinen Schuhen plötzlich zwei leuchtend-lackschwarze Alpensalamander in inniger Umarmung auf einem feuchten Stein. Er beendete sein müheloses Steigen, um die zwei Lurche zu beobachten. Lautlos hatten sich die beiden Amphibien ineinander mit Armen und Beinen verknotet. Sie drehten ihre dunklen Leiber, bis sich der eine und dann wieder der andere obenauf befand. Der geträumte Wanderer beugte sein Antlitz nahe an das sich umklammernde Paar, um zu sehen ob die Tiere etwa in der Färbung unterschiedlich geartet wären und man daraus verschiedene Geschlechter herauslesen könne. Es war für ihn nicht ersichtlich, ob hier zwei Kontrahenten um eine Reviergrenze kämpften oder Frau Salamander direkt vor ihm mit ihrem Galan in frischer Lust über den glitschigen Fels rollte. Fast wäre der anschließende Gedanke, ob dieses wilde Umschlingen der Liebe oder dem Hass zuzuordnen sei, in sein beinahe erwecktes Bewusstsein vorgedrungen. Sein tiefer Schlummer wäre um ein Haar beendet gewesen. Jedoch mit einem gründlichen Einatmen verschwanden die Alpensalamander, Weg und Gebirge und Edgar schlief ohne weitere Anfechtung in bildloser Dunkelheit weiter in den Vormittag hinein.

Die Person, die zu den Abfalleimern hin- und zurückgeschlurft war und Edgars Schlaf damit in einen ersten und einen zweiten Akt geteilt hatte, ist seine um zweiundzwanzig Jahre ältere Schwester Johanna gewesen. Vor dem Durchschschlappen des Hinterhofs hatte sie in ihrem guten Zimmer im Vorderhaus eine Tasse Tee genossen. Es war grüner Tee gewesen, gesüßt mit zwei kleinen Kristallen, welche die Dame mit einer silbernen Zange aus einer mit Kandiszucker gefüllten Porzellandose in die grünlich-gelbe Flüssigkeit appliziert hatte. Nach einigen Schlucken war sie eines deutlichen Juckreizes in ihrer Nasenhöhle gewahr geworden. Sogleich hatte sie die obere Schublade der Biedermeierkommode neben dem Tisch mit dem Teeservice geöffnet, um dieser das in blauem Samt gefasste Etui mit den Taschentüchern zu entnehmen. An der mit prächtigem Stuck eingefassten Zimmerdecke hatten die Behänge des dort befestigten Kronleuchters deutlich angefangen zu klirren, als sich Edgars Schwester vehement die Nase schnäuzte. Ein derartig heftiges Nebenhöhlentrompeten hätte, nebenbei bemerkt, kein Mensch der zarten Johanna zugetraut. Auch sie selbst konnte sich nicht über den gewaltigen Klang ihrer Nasenschleimextraktion wundern, weil sie vielmehr im aufrichtigen Ekel gefangen war über das, was ihre Augen im Textil des Taschentuches erblickten. Dieser in farblicher Anmutung und Konsistenz gänzlich widerwärtige Auswurf konnte nach dem Dafürhalten der Johanna nicht in der hochherrschaftlichen Wohnung verbleiben und musste auf schnellstem Wege entsorgt werden. Die Entledigung des benutzten Taschentuches begründete, um es kurz zu machen, das Durchschlappen des Hinterhofes zu der Abfalltonne hin und den darauf folgenden Rückweg.

Während wir uns noch einmal den Edgar vorstellen, wie er sich im Bettzeug verbohrte, saß zur gleichen Zeit seine Schwester Johanna wieder unter dem Stuck auf dem gepolsterten Biedermeierstuhl. Vor ihr auf dem Tisch stand die eierschalenfarbene Tasse auf der zugehörigen Untertasse, gefüllt mit einem Kibitzschluck grünen Tees. Der Bruder verweigerte weiterhin hartnäckig Bewusstsein und Tagesbeginn. Die Schwester indessen beschrieb, wie so oft, in ihrem Kopf Tabellen. Kurz gesagt, handelte es sich um ein Verzeichnis von Soll und Haben der zwischenmenschlichen Zuneigung. Eine unsichtbare Buchführung der geleisteten Emotionen setzte sie stumm fort. Es war eine Tätigkeit, welche die Schwester regelmäßig und mit Vorliebe kurz vor der Zubereitung des Mittagsmahles betrieb. Es ging dabei um die Leistungen der Liebe in Wort und Tat gegenüber den Mitmenschen im Allgemeinen. Gegengerechnet wurden die möglicherweise rückgeführten Aufwendungen der mit Herzenswerken bedachten Personen. Zusätzlich wurden freilich nicht erfolgte Begleichungen der investierten Zuneigungsleistungen berücksichtigt. So saß die Tante mit der frisch geputzten Nase und rechnete unter dem Stuck.

Im Hinterhaus hatte sich indessen das Erwachen des Edgars zugetragen. Drei mal hatten sich zuvor Momente der kurzen Wachheit ergeben. Erfolgreich hatte er sich zunächst nach jedem Anflug von Bewusstsein kopfüber in das Meer des Schlafs gestürzt. Jetzt aber war die Müdigkeit zur Gänze aufgebraucht. Zuerst hatte er das linke Auge für einen Moment geöffnet. Dann selbiges aber wieder geschlossen. Mit dem rechten geöffneten Augen konnte er schon besser und länger in die Welt schauen. Er verließ das Bett und schlurfte mit seinen ausgelatschten Haustappen zum Plattenspieler im angrenzenden Raum. Hinter der geschlossenen Gardine legte er das 1987 erschienene Album „Scum“ von Napalm Death auf. Er drehte am Lautstärkeregler. Die Musik war laut. Dann öffnete er sein anderes Auge.

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DER FEBRUAR MIT EGERS:
Am 04.02. um 20 Uhr laden Egersdörfer & Artverwandte auf der Kellerbühne im Erlangener E-Werk ein. Helmut A. Binser wird vortanzen, Udo Langt wird vorsingen und der Sternekoch Felix Schneider aus Heroldberg plaudert übers Kochen. Mit dabei wie immer Carmen und Bird Berlin und präsentiert von curt! Tickets online unter curt.reservix.de. Am 1. März um 20:15 Uhr begibt sich Matthias CSI Egersdörfer als Leiter der Spurensicherung wieder auf Spurensuche im Frankentatorts (ARD). „Die Nacht gehört dir“ lautet der Titel des sechsten frängischen Dadords.
Mehr Infos + Termine, nur weiter weg oder ausverkauft: egers.de.
 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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