Theo O.J. Fuchs: Rabattmarkenkapitalismus

DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019

#Comedy, #Kabarett, #Kolumne, #Literatur, #Theobald O.J. Fuchs

Es lässt sich nicht länger ignorieren. Ich habe die Sohle meines rechten Schuhs verloren. Abgelöst hatte sie sich schon länger, was mich aber nicht hinderte, sie mit Haushaltsgummiband anzuschnallen. Diese roten Gummis sind total nützlich, besitzen aber leider eine schlechte Eigenschaft. Sie weichen im Sonnenlicht auf. Am Ende bleibt nur roter Schmierschleim übrig.

RABATTMARKENKAPITALISMUS, ICH WILL EIN KIND VON DIR!

Also los in die Stadt, Schuhe mit Sohlen kaufen. Ich durchwühle die Schublade des Küchentischs. Die Ausbeute: ein Kombi-Gutschein für Hundefutter und Herrenparfüm. Wenn man zehn Dosen für Struppi kauft, gibt es eine Flasche »Rüden-Gold« umsonst. Ansonsten 17 kleine Zettelchen, die sich als »Wert-Bon / Voucher« von Sanifair entpuppen. Bekannt von der Autobahnraststättentoilette und vom Bahnhofsklo, wo man seit neuestem auch während des Pinkelns Geld ab-heben kann. Da sind die Unterschiede insgesamt am Verschwimmen.
Ich hinke zur U-Bahn. Unterwegs habe ich Zeit mir zu überlegen, ob ich heute schwarzfahren will. Immerhin habe ich noch drei Schwarzfahrten gut. Die hab ich bei einer Fahrgastbefragung gewonnen (ob die Antworten stimmten, spielte natürlich keine Rolle). Aber ich hebe mir die besser auf, für den Notfall. Denn in ausgewählten Partner-Shops könnte ich die Schwarzfahrten gegen Telefonminuten eintauschen. Ich habe zwar einen Vertrag mit Flatrate, aber man weiß ja nie. Vielleicht für‘s Zweithandy, das ich nur noch beim Joggen mitnehme. Weil auf dem Nokia der alte Schrittzähler darauf ist. Knacke ich die 10-Millionen-Schritte-Grenze, nehme ich automatisch an der Verlosung einer Wellness-Zugfahrt nach Bottrop teil (nur 20% Zuzahlung).
Mir fällt ein, dass ich den Voucher für die Buchgroßhandlung vergessen habe. Gültig ab einem Mindestwert von Eintausendeinhundertelf Euro, gültig bis Elften Elften Zwanzigsechsundsechszig. Den gab‘s damals bei irgendeiner Aktion beim Kauf von zwei Dönern, erinnere ich mich. Den Voucher könnte ich umwandeln lassen in einen Blumenstrauß. Aber zu spät, ein andermal.
Schon stehe ich vor dem Fahrkartenautomaten. Ich ziehe ein elektronisches Ticket auf mein SmartPhone, bezahle mit der Miles-and-More-Kreditkarte, damit ich die Bonus-Flugmeilen nicht liegen lasse. Mit dem Automaten an sich habe ich gar nichts zu tun, außer dass ich den Recycle-Coffee-to-Go-Becher der VGN mitnehme, den jeder zehnte Kunde, der tatsächlich eine Fahrkarte löst, geschenkt bekommt. Allerdings ohne Kaffee drin. Den gibt‘s am Info-Stand im Hauptbahnhof, und wenn ich meine Brezel-Card dabei habe und zehn Brezel-Käufe nachweisen kann, kriege ich den Zucker kostenlos obendrein.
Ich drücke auf den Teilnahmeknopf und hurrah! - gewonnen. Der Becher klappert im Ausgabefach der Maschine, eine elektronische Stimme bedankt sich für den Einkauf und fragt, ob ich Bargeld abheben will. Leider fährt da schon die U-Bahn ein, sonst hätte ich mir gleich noch drei Treuepunkte auf mein Konto gewuchtet.
Dann stehe ich vor der Lorenzkirche und wäge ab, wo ich mich nach Schuhwerk umschauen will. Im Küchenbedarfsladen gibt es manchmal Sonderangebote, Restposten quasi. Man braucht nur eine Kasserolle aus belgischem Spezialglas zu kaufen und bekommt ein Paar Laufschuhe sowie ein Olivenschiffchen gratis obendrein. Die Frage ist natürlich, ob ich das Küchengerät mit den Sanifair-Bons bezahlen kann.
Vielleicht muss ich auch erst noch in der Bankfiliale gegenüber checken, da gibt es Tickets für Schlager-Abende in einem Autohaus. Beim Besuch der Veranstaltungen könnte man auch Rabattmarken für einen SUV sammeln, fünf Euro pro Show, die man sich antut. Das Ticket kann ich mit den Treuepunkten vom Drogerie-Markt bezahlen, der mit der Bank eine Shave&Save-Partnerschaft pflegt. Das Konzert würde mich natürlich Null interessieren, aber bei Vorlage des Tickets gibt es im Karstadt 20% Nachlass auf alle Produkte, die pastellfarben sind. Also in Himmel-Blassblau, Lehmboden-Ocker, Kochschinken-Rosa, Kotzegrün. Selbstverständlich absolut grässlich, und eigentlich nur für Geschmackstrottel. Wie aus den US-Fernsehserien in den 90ern. Aber für Schuhe mit Sohle tät‘s halt grad taugen.
Definitiv keinen Zweck hat es, sich im Dritte-Welt-Laden umzusehen. Dort gibt es lediglich Agrarprodukte aus Schwellenländern, die mit Bargeld bezahlt werden müssen. Völlig sinnlos. Keine Kundenkarte, kein Gewinnspiel, kein Rabattsystem – dabei wäre das lohnenswert! Reise nach Nepal zum Beispiel, mit nur 1999,- Euro Selbstzuzahlung. Oder ein Zeitschriftenabo aus Ecuador, in den Heften die Spielscheine für die dortige Staatslotterie, ganz bequem schon vorausgefüllt.
Aber die Ökos und Gutmenschen checken das halt nie, dass man schlau sein muss, dass in jedem anständigen Menschen ein knallharter Schnäppchenjäger steckt, dass das Leben an sich das preiswerteste aller Sonderangebote ist und dass nur der am Ende erfolgreich ist, der versteht, die Chancen zu nutzen, die auf der Straße liegen. Wie zum Beispiel noch ein paar verloren gegangene Pfandmarken vom Altstadtfest. Zwei Euro auf jedem Glas, die Marken lassen sich zum Kurs eins zu zweikommazehn in Fürther Kirchweihtaler umtauschen.
Vergesst Bitcoins und Blockchain! Das ist Technik von gestern, von Losern für Loser. Sieger wie ich brauchen keine Computer und kein Internet. Uns hilft unser natürlicher Verbündeter, das Glück. Das sich besonders gerne an so schlaue Kerle wie mich hängt und mir einen Typen von der Konsumentenausfragungsgesellschaft über den Weg laufen lässt. Instantan bin ich einverstanden, an der Befragung teilzunehmen und trinke innerhalb von zwölf Minuten doppelt so viele Espressos, um herauszufinden, welche Alukapsel am aromadichtesten ist. Als Geschenk bekomme ich zwei Gutscheine im neu eröffneten Sushi-Restaurant. Geld könnte ich in der Rösterei auch gleich abheben, allerdings muss ich auf Grund der Kaffeewirkung das Unternehmen Schuhkauf augenblicklich abbrechen. Zum Glück wird beim Japaner sowieso barfuß gegessen.


[Fotos: Katharina Winter, immer im Bilde: Theobald O.J. Fuchs]
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UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO?
Naja, immer nicht so viel. Ein bisschen Forschung und so, hier und da mal irgendwas lehren. Wissen wir nicht so genau, ist auch egal. Ansonsten wälzt er sich im Ruhm und lässt sich bewundern, denn seine Sucht ist die nach Aufmerksamkeit.

THEOS TERMINE IM NOVEMBER
Im November ist er praktisch täglich mit dem Laubbläser unterwegs. Nur am 26.11., um 19:30 Uhr, da berichtet er im Planetarium über „Die Zukunft der Vergangenheit“. Die Zukunft wiederholt sich also doch dauernd. Zumindest bei Theo.

 




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