Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Dieter Stoll
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Gluck muss man haben. Folglich treffen wir uns im Gluck-Saal – der Ort im Opernhaus, an dem man Dieter Stoll nie begegnet bei Premieren. Da hält er seit Jahrzehnten zuverlässig Abstand von „Influencern“ aller Art. Aber ansonsten gehört auch dieses Foyer wie alle anderen Orte in Nürnberg, die eine Bühne haben, zu den Knotenpunkten seiner lebenslangen Leidenschaft.
Seit langem kann man das bei uns im CURT überprüfen: Da macht er mit seinem monatlichen Wegweiser zuverlässig und wie kein anderer Lust auf alles, was zwischen Oper und Kleinkunst passiert. Nun wird der Kulturjournalist und Theaterkritiker, der in Nürnberg seit einem halben Jahrhundert nicht nur wegen seiner schieren Körpergröße schwerlich zu übersehen ist, 75 Jahre alt. Ein Gespräch über Glaube, Liebe, Hoffnung und die Krise einer Zunft. Die Verklärung der gemeinsamen Zeit bei der abgewickelten Abendzeitung darf da nicht fehlen.
ANDREAS RADLMAIER: So, jetzt verderbe ich es mir gleich zu Beginn mal wieder gründlich mit Ihnen und frage nach dem Älterwerden. Sie werden 75. Was haben Sie sich dabei gedacht? Oder, eher gegenwärtig formuliert: Was denken Sie sich dabei?
DIETER STOLL: Dass es ganz offensichtlich nicht zu verhindern ist. Die Perspektive allerdings, dass das Alter das Schönste im Leben ist, kann ich nicht entdecken. Vielleicht kommt das ja noch. In zehn Jahren.
Sie wollen vermutlich ausgiebig über diesen Feier-Tag mit mir reden. Kann es sein, dass Sie ihn im Theater verbringen? Oder doch lieber auf einer Insel?
Wenn es eine dritte Möglichkeit gäbe, wäre ich sehr dankbar.
Die Arztpraxis?
Die muss es auch nicht unbedingt sein. Ich werde mit Freunden in sehr kleinem Kreise feiern, so dass man es gar nicht merkt.
Sie haben – konservativ auf der Basis Ihres Lebenswandels hochgerechnet – 40.000 Stunden Ihres Lebens in Theatersesseln verbracht. Warum eigentlich?
Das ist vor allem nachträglich eine gute Frage. Wenn man sich dem Theater so verschrieben hat, wie ich das in meinem Beruf getan habe, hofft man ja immer auf das nächste Wunder, das beweisen wird, dass nicht alles umsonst war. Dass passiert manchmal, sehr oft aber nicht. Da sitzt man dann – in meinem Berufsleben aus einer Pflichterfüllung heraus häufig 25 Mal im Monat – in einer Vorstellung und merkt nach einer halben Stunde: Jetzt geht’s abwärts. Oder aufwärts.
Was war Ihnen dann lieber?
Lieber wäre mir schon, wenn’s aufwärts ginge.
Es heißt doch immer, Journalisten schreiben lieber Verrisse als Jubelarien.
Verrisse sind eher Trostpakete.
Für wen?
Für mich, für den Autor. Denn während man da absitzt, was einem gerade zutiefst missfällt, wünscht man sich ja nach Hause oder die Möglichkeit, sich wegzubeamen. Geht aber nicht. Die andere Möglichkeit, in der Pause zu gehen, und dann zu schreiben, dass man in der Pause gegangen ist, kann man auch nicht sehr oft einsetzen. Also bleibt nur eine Art Lustgewinn übrig, satirisch-komödiantisch mit dem Erlebten umzugehen. Das macht dann schon Spaß. Ist aber nur ein billiger Ersatz dafür, dass man lieber einen tollen Abend gehabt hätte.
Und Sie haben sich in all den Jahren nie sattgesehen?
Zwischendurch schon. Hat immer aber auch damit zu tun, wie die Einschläge der Reinfälle gekommen sind. Wenn man womöglich monatelang nichts gesehen hat, wo man nach ehrlicher Überprüfung festgestellt hatte, das musste sein, war schon mal der Punkt erreicht, wo man sich fragte: Kann man nichts anderes machen? Da hatte ich natürlich zu Zeiten der Abendzeitung das Glück, dass es auch noch Kabarett und Film gab. Oder klassische Musik, die mit weitaus geringerem Risiko arbeiten kann. Denn was soll schon passieren, wenn die „Neunte“ von Beethoven aufgeführt wird? Am Ende wird ein großer Teil der Zuhörer und man selber auch dann zufrieden sein, wenn der Chor die „Ode an die Freude“ eher gebellt als gesungen hat.
Nichts als Theater: Ist das Macht der Gewohnheit oder ewige Lust?
Eine Mischung. Die Macht der Gewohnheit ist Teil der Pflichterfüllung. Wenn man einen Job als Feuilletonredakteur mit Schwerpunkt Theater hat, muss man sich immer informieren. Sonst schämt man sich vor sich selber, wenn man ein Urteil abgibt. Also muss man alles Mögliche sehen, selbst wenn voraussehbar ist, dass das nicht unbedingt nötig sein wird. Die Lust kam immer mit dem Entdecken. Mit ewigem Stolz erfüllt mich, Pina Bausch im Wuppertaler Opernhaus in einer Vorstellung gesehen zu haben, wo außer mir gerade mal 40 Zuschauer waren. Die wurde dann später ein Weltstar. Und selbst heute nach ihrem Tod ist ihr Tanztheater ausverkauft, ganz egal, wo es auftritt. Es gibt aber viele andere Beispiele für diese Lust, Großartiges erleben, vielleicht nicht immer sofort verstehen zu können, wenn ich da beispielsweise an Theateraußenseiter wie Hans Neuenfels oder Ruth Berghaus denke.
Können Sie Menschen, die nichts mit Theater am Hut haben, diese Faszination erklären?
Kaum. Allenfalls dadurch, dass man diese einzeln an die Hand nimmt.
Würden Sie denn sagen, dass Theaterbesuche beziehungsfördernd sind? Oder führen sie eher zu Trennungen von Freundschaften?
Das kommt darauf an, wen man als Partner hat. Da fällt mir immer die Anekdote des berühmten Berliner Theaterkritikers Friedrich Luft ein, dessen Frau mal gefragt wurde, warum sie eigentlich nie mit ins Theater geht. Ihre Antwort war durchaus schlüssig: Die Frau des Briefträgers gehe ja auch nicht mit zu dessen Arbeit.
Können Sie zur Kultur gehen, ohne ans Schreiben, ans Bewerten, ans Formulieren zu denken?
Seit der offiziellen Pensionierung habe ich dazu ein zunehmend entspannteres Verhältnis. Das konnte ich davor fast gar nicht.
Was treibt Sie da eigentlich an? Preußische Disziplin? Mitteilungszwang?
(Lacht) Zweiteres vielleicht eher. Und das ist ein großer Irrtum des Lebens, zu meinen, die Welt wartet darauf, die eigene Meinung zu hören. Was einen antreibt, ist tatsächlich die Lust, noch etwas mitzubekommen. Verbunden mit der Freiheit, Dinge auszuklammern. Ich kann mir momentan nicht mehr vorstellen, fünf Mal in der Woche im Theater zu sitzen.
95 Prozent der Menschheit wohl auch nicht. Ich weiß es aus eigenem Erleben: Sie haben Kulturjournalismus immer als Akkordarbeit betrieben. Hatten Sie nie eine Schreibblockade?
Ach, das gaben die Textlängen im Boulevard gar nicht her!
Naja, ich kenne durchaus Beispiele. Und heute: Geht’s Ihnen noch darum, sich einzumischen?
Im Ausleseverfahren: ja. Ich möchte in Kommentaren schon einbringen, was alles war. Zusammenhänge herstellen, Fakten gerade rücken. Ich kann mich durchaus erregen – und muss dann über mich selber lachen – , wenn das Theater mehrfach groß ankündigt, dass die Operette „Ball im Savoy“ von Paul Abraham inszeniert wird mit dem triumphierenden Hinweis, dass Abraham nach dem Krieg in Nürnberg nie gespielt wurde. Und natürlich wurde er gespielt: 1979 „Viktoria und ihr Husar“ von Hansjörg Utzerath im Schauspielhaus.
Können Sie mit Begriffen wie „Kritiker-Papst“ etwas anfangen?
Das ist doch eher eine Komödien-Figurine. Wobei manche von den Kritiker-Päpsten, die sich selber so sahen, ebenso unfehlbar waren wie die echten Päpste auch, also gar nicht.
Wie wäre es dann mit „Nürnbergs wandelndes Theater-Gedächtnis“? Als Telefon-Joker würden Sie jedenfalls eine blendende Figur abgeben. Haben Sie sich dieses phänomenale Erinnerungsvermögen antrainiert?
Eigentlich nicht. Das hat sich durch den ständigen Umgang mit den Fakten und dem naiven Gedanken, dass das alles furchtbar wichtig ist, so ergeben.
Sie merken sich also nur das, was Ihnen wichtig ist?
Ja. Wichtig in dem Sinne, dass es ganz toll war oder ganz skandalös. Die vielen durchschnittlichen Ereignisse werden irgendwann gnädig gelöscht.
War das Theater Liebe auf den ersten Blick?
Rein journalistisch gesehen habe ich ja eine Vergangenheit vor der Kultur. Das hat etwas mit der katholischen Kirche zu tun.
Sie sind als kritischer Jungchrist vom Schoß der Kirche hinübergesprungen zum schmuddeligen Boulevard.
Naja, mit Zwischenstation. Ich bin von einem Schoß der katholischen Kirche auf den anderen gesprungen. Ich habe im Sebaldus Verlag hier in Nürnberg volontiert und durfte mich dann mit Erlaubnis eines zuverlässig zornigen Verlagsleiters zeitweilig beim „Christlichen Beobachter“ austoben, war anschließend stellvertretender Chefredakteur des Jugendmagazins „Neue Stafette“ und bin dann irgendwann bei der Abendzeitung gelandet.
Und mit dem Sprung in den Boulevard haben Sie dann Ihre eigenen Schmerzgrenzen ausgelotet.
Ich bin ja nicht als Polizeireporter reingesprungen, sondern in ein Boulevard-Feuilleton, was ich bereits als Leser kannte. Was ich immer schätzte, war diese kritische, stets intensive Auseinandersetzung mit der Kulturszene insgesamt, die ja bei den sogenannten seriösen Feuilletons der Tageszeitungen nicht stattfand.
Da ging’s immer um Aufbauarbeit, Begleitschutz. Oder wie könnte man das umschreiben?
Ich wollte immer, dass das Thema Kultur als ständiger Diskurs brodelt. Dass eine kritische, aber in der Basis wohlwollende Auseinandersetzung stattfindet, die obendrein den Ehrgeiz hat, dass Artikel, Kritiken, Interviews auch als Unterhaltungslesestoff funktionieren.
In einer Würdigung wurden Sie mit „kämpferisch und unbeugsam“ eingestuft. Klingt schwer nach Revoluzzer. War das Ihr heimliches Begehr, rebellisch zu sein?
Rebellisch ist vielleicht drei bis vier Nummern zu groß. Widerspruch einlegen – das wollte ich schon immer. So wie ich das heute noch empfinde – dass das Beste für eine Theateraufführung sein kann zu irritieren, also nicht nur provokant und bedienend – so bin ich schon damals der Meinung gewesen, dass die Auseinandersetzung vor allem Irritationen hervorrufen soll.
Waren Ihrer Meinung nach die Zeiten da schon mal aufmüpfiger, kritischer, aufregender?
Schon. Auch wenn das alle ältere Herrschaften im Rückblick behaupten werden. Zur damaligen Zeit hat einfach viel mehr gefehlt als heute. Als es dann los ging unter Hermann Glaser, dem progressiven Kulturreferenten, der sicher im Herzen nicht der ganz große Theater-fan war, aber vom Pädagogischen her das Theater doch als wichtig eingestuft hat und vor allem ein Freigeist war, konnte man sehen, dass in allen Ecken sich Stück für Stück etwas entwickelt. Und das fand ich schon aufregend.
Hat die Kulturszene Ihrer Meinung nach einen anderen Stellenwert als vor 30, 40 Jahren?
Da tappe ich vermutlich leicht in die Altersfalle. Dann müsste ich sagen: Vor 30, 40 Jahren hat alles Mögliche mehr bedeutet. Heute perlt sehr viel mehr an den Menschen ab.
Ist das Vokabular vielleicht ausgeschöpft?
Vielleicht sind auch die Marketing-Reize allmählich ausgeschöpft. Ich pflege immer defätistisch zu sagen: Das Theater ist nicht besser geworden, aber die Werbung.
Glauben Sie denn an die Mehrheitsfähigkeit von Kultur?
Für mich war da immer ein Musterbeispiel für Nürnberg das Klassik Open Air. Ich finde die Erfindung gut, finde es richtig, dass es existiert, nur die positive Wirkung auf die Kulturfähigkeit der Nürnberger Bevölkerung sehe ich nicht. Trotz der 70.000, 80.000 im Luitpoldhain gehen im Folgenden die Menschen nicht in die Konzertsäle.
Da sind wir mitten in der schwierigen Diskussion um Erstbegegnung und Kulturbewusstsein, um geschützte Räume und offene Begegnung, mit der Kernfrage nach Alternativen bei den Anreizen.
Das ist dann der Unterschied zur Waldbühne Berlin, wo die Superstars der Klassik gastieren und auch als Stars wahrgenommen werden.
Mit dem feinen Unterschied, dass es in Nürnberg nicht die Pre-Selektion durch hohe Eintrittspreise gibt, sondern die kulturpolitische Entscheidung von einer Kultur für alle. Wie man Menschen außerhalb des Zehn-Prozent-Zirkels für ein Interesse bewegt, ist die nächste, spannende Frage.
Sicher hat das seinen Wert. Nur die Hoffnungen, die damit verbunden waren, sind offenbar nicht zu erfüllen.
Was ist Kultur für Sie? Lebensmittel, Ablenkung, Droge, Daseinsberechtigung?
Wenn, am ehesten Lebensmittel. Droge nicht, Ablenkung hoffentlich nicht, sondern ein wichtiger Bestandteil des Lebens in seiner spielerischen Form, wo Konflikte hochgewirbelt werden. Manchen mag da ein Buch zuhause auch genügen. Wenn man allerdings etwas live erleben will, bleibt das Theater unersetzbar. Sicherlich gehe ich oft ins Kino und denke mir, das ist schon sehr viel besser als das, was ich im Theater erlebe, nur: Es ist halt kein Live-Erlebnis.
Das heißt in Ihrer Prioritätenliste ist nach wie vor das Theater an der Spitze?
Daran hat sich nix geändert. Satire beispielsweise, die ich zeitweise hoch geschätzt habe, ist in Zeiten der „ZDF heute-Show“ als Maß aller Dinge eher zur Beiläufigkeit geronnen. Und die Oper, mit ihrer Übersetzung von Emotion, bleibt ein Spezialfall.
Diese Faszination ist Outsidern nochmals schwieriger zu erklären …
Ja, weil sie von zwei völlig verschiedenen Seiten kommt, der musikalischen und der szenischen. Die szenische Seite wurde lange Zeit aufs Dekorieren beschränkt. Und von dem Zeitpunkt an, wo Regisseure sagten, da steckt sehr viel mehr drin, habe ich das mit wahnwitziger Begeisterung verfolgt. Hans Neuenfels, den ich bei seiner allerersten Opern-Inszenierung von der Planung bis zum Premieren-Skandal journalistisch begleiten durfte, sagte mir vor Probenbeginn: „Oper ist, wie wenn man mit 180 auf der Autobahn fährt – da kann man nicht zwischendurch aussteigen.“ Die Regie-Methode hat sich mittlerweile auch etwas verläppert, ist ja klar. Weil es so viele machen, die es nicht können. Das ist eben eine besondere Begabung, die Emotion der Musik im Blick zu haben und trotzdem eigenständiges Theater zu machen. Nürnberg war damals unter Hans Gierster durchaus an der Spitze. Die große Opern-Produktion, die einen aufgeregt in den Abend entlässt, ist freilich eine Seltenheit geworden.
Sind Sie eigentlich altersmilde geworden?
Das sagen gelegentlich Freunde zu mir, so nach dem Motto: „Früher hast anders reingehauen.“ Wie ernst ich das nehmen soll, weiß ich nicht.
Ihre Fußball-Liebe zum „Club“ hat mich stets erstaunt. Haben Sie diese Liebe irgendwann bereut?
Die habe ich nicht bereut, sondern beiseite geschoben. In jungen Zabo-Jahren war ich immer draußen und habe fleißig Autogramme gesammelt. Tja.
Berlin war für Sie jahrzehntelang kulturelle Aufladestation. Aber Nürnberg verlassen wollten Sie auch nicht. Das müssen Sie erklären.
Anfangs war es gar nicht denkbar, in einer anderen Stadt sowohl Theater wie Oper, Konzert und Kabarett gleichzeitig zu beackern. In Nürnberg hatte ich die Stelle gefunden, wo das ging.
Also die individuelle Spielwiese.
So ist es. Und die war mir wahnsinnig wichtig.
Man wollte Sie auch als Dramaturg anwerben. Das hat Sie nicht gereizt. Warum?
Ich befürchtete, dass ich in eine Position gelockt würde, derer ich mir überhaupt nicht sicher war. Eigentlich habe ich mich immer als Journalist gefühlt. Und das ist etwas komplett anderes: ein sachkundiger Besucher und Beobachter. Der Chefdramaturg ist ja letzten Endes ein Mitmacher. Als solchen habe ich mich nicht gesehen.
Auch nicht als Schriftsteller, offenbar.
Da pflege ich immer zu sagen: Meine Ansprüche sind leider zu hoch, als dass ich sie selber erfüllen könnte.
Wie erleben Sie gerade die Zunft des Kulturjournalismus?
Schon etwas frustrierend. Im Großen wie im Kleinen. Es stört mich sehr, dass die Kulturlandschaft von den Kollegen nicht mehr in ständiger Wachheit kritisch begleitet wird. Nichts gegen Serviceleistungen, aber das Einmischen in die Kulturpolitik, auch die ständige kritische Hinterfragung der Kultur-Szene war mir wichtiger. Dass man damit nie genug erreichen kann, mag schon wahr sein. Aber ein bisschen was geht immer. Neulich habe ich im Opernhaus bei einer Premiere die zweifellos frömmste Kulturreferentin, die Nürnberg je hatte, wiedergesehen, und sie begrüßte mich quer durchs Foyer lautstark lachend mit den Worten „Mein Lieblingsfeind“. Ich war verblüfft und hab´ dann gedacht: Es war also doch nicht alles umsonst.
Hat das Zeitalter der sozialen Netzwerke die Arbeit des Kritikers überflüssig gemacht?
Ich sehe nicht, dass irgendwo ein Meinungsspiel aufwallt, das die Menschen so aufregt, dass sie genug Lust kriegen, weiter zu bohren. Inzwischen läuft die Kultur eher wieder Gefahr, in die Grußwortecke zu geraten.
Was konnten Sie Ihrer Meinung nach eigentlich der Gemeinschaft geben?
Da müssten Sie die Gemeinschaft fragen. Ich kann nur sagen: Schön wär’s, wenn es etwas gäbe. Sicherlich möchte ich, dass jemand mit den Urteilen, die ich so absondere, etwas anfangen kann. Entweder: So ein Quatsch, das habe ich ganz anders gesehen. Oder: Klingt ganz interessant, das möchte ich mir mal anschauen. Reibungsfläche, das war immer die Absicht. Ob’s gelungen ist, wer weiß ...
Wir sind bei der Abendzeitung 20 Jahre Schreibtisch an Schreibtisch durch den Alltag gegangen. Wollen Sie mir am Ende noch etwas sagen, was Sie nie zu sagen wagten?
Ich werde mich hüten.
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FOTOS: Sarah Guber / curt
www.sarahguberfotografie.com
DIETER STOLL, 75
Kulturjournalist, Theaterkritiker, Rentner, kam als Mischung aus oberpfälzisch-katholischem Vater und sachsen/anhaltinisch-evangelischer Mutter in Halle/Saale zur Welt. Im Alter von 6 Jahren führten ihn die elterlichen Hände erstmals über die „schwarze Grenze“ der noch nicht hermetisch abgesperrten DDR zum neuen Wohnort Nürnberg. Da war der Vater dann Maschinenschlosser bei der MAN und die Mutter im „Revolverkino“ Hans-Sachs-Filmtheater angestellt. Nach dem Gymnasium und Autorenschaft mehrerer Kabarettprogramme folgten eine Ausbildung zum Schriftsetzer und zum Redakteur beim Sebaldus Verlag (Kirchenzeitung, Gong, Neue Stafette). Dieter Stoll war für einen Buchverlag in Düsseldorf im Einsatz, für den Bayerischen Rundfunk und vor allem für die Abendzeitung in München und Nürnberg. Dort war er bis Dezember 2009 Leiter des Feuilletons, mit besonderer Aufmerksamkeit für alle Sparten des Theaters, aber auch für lokale Kulturpolitik. Ein paar Veröffentlichungen („Kirche in der Diskussion“, „Spectaculum Synode“, „Selbstporträt – Literatur in Franken“) und sogar etwas Lob (2003 städtischer Kulturpreis für profilierten Kulturjournalismus). Bis heute als Kritiker tätig für das Portal nachtkritik.de (Berlin) und das Theatermagazin Die deutsche Bühne (Köln) – und natürlich als Theater-Kolumnist für CURT.
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