Interview: Like Lovers

FREITAG, 6. SEPTEMBER 2019

#Im Gespräch mit, #Interview, #Lokale Mukker, #Musik, #Tommy Wurm

Jan Kerscher ist nicht nur der Chef von Ghost City Recordings, sondern auch selber Produzent sphärisch-geisterhafter Popmusik. Jetzt kommt endlich das Album von Like Lovers. Tommy Wurm fragt nach, warum das eigentlich so lange gedauert hat und was kochen und musizieren wohl miteinander gemein haben.

TOMMY: Jan, als Du mit zum ersten Mal von Deinem Album erzählt hast, surften wir alle noch im 3G Netz. Wie viele Jahre hast Du an Deinem Debüt gearbeitet und warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

JAN: Ja, das stimmt. Mein Internet in Oberbreitenlohe verspricht zwar mittlerweile 25Mbps, aber fühlt sich immer noch genau so langsam an wie 3G. Ich kann tatsächlich gar nicht so genau bestimmen, wie lange ich jetzt an dem Album gearbeitet habe. Manche Ideen sind extrem alt, bis zu zehn Jahre. Die „heiße Phase“ waren aber wohl eher die letzten vier bis sechs Jahre. Der „richtige Zeitpunkt“ ist glaube ich ein eigenständiges Lebewesen, das sich selbst aussucht, wann es kommt. Wenn ich nicht so wahnsinnig viel mit Ghost City Recordings und meinen anderen Produktionen zu tun gehabt hätte, wäre das wahrscheinlich auch schon viel früher gewesen. Ich habe mir dann aber irgendwann selbst versprochen, dass ich mit den Dingen, die ich liebe, keinen Stress haben möchte. Dadurch ist der Faktor Zeit erstmal in den Hintergrund gerückt. Das hat viel Stress rausgenommen und der Musik sehr geholfen. Am Ende war es aber auch gut, dass durch Listenrecords eine Veröffentlichung greifbar wurde und somit auch eine Deadline ins Spiel kam. Jetzt bin ich aber auch wirklich sehr froh, dass das alles endlich einen Abschluss gefunden hat! Ab 6. September ist „Everything All The Time Forever“ überall erhältlich!

Wie würdest Du einem musikinteressierten Laien Deinen Sound beschreiben?

Ja, diese Frage verleitet mich meist zu ausufernden Überlegungen. Aktuell bin ich ganz glücklich mit der Formulierung „Sphärische Popmusik mit Weltuntergangscharme“. Ich bin hier aber für weitere Vorschläge offen. Wenn man mich nach ähnlichen Künstlern fragt, nenne ich meistens Radiohead, Björk oder Massive Attack. Apparat-Vergleiche fallen auch manchmal. Aber am Ende ist das Hören von Musik ja eh wahnsinnig individuell. Durch Musik ausgelöste Emotionen sind außerdem zum Glück relativ unabhängig von Genrebezeichnungen. Sobald irgendeine Form von emotionaler Kommunikation stattfindet bin ich eigentlich schon glücklich!

Was ist zuerst da – das Wort oder die Melodie?

Eigentlich immer das Wort. Zumindest im größer gefassten, abstrakten Sinne. Es gibt immer eine Idee, ein Konzept, ein Wort, einen Satz oder ein Bild. Melodien kommen eigentlich auch immer sofort mit Wort, eher selten ohne. Als Beispiel: Da ich die Musik von Like Lovers eigentlich fast immer alleine schreibe und sowieso Musikproduktionshintergrund habe, nehme ich meistens alles sofort auf. Der Ordner bzw. Dateiname, in dem ich die neue Songidee ablege, trägt in neun von zehn Fällen den finalen Titel des Stückes. Ich finde es wichtig, der Musik so früh wie irgend möglich einen schönen Namen zu geben. Man wartet ja auch bei Menschenkindern nicht mit der Namensgebung, bis es eine Persönlichkeit entwickelt hat. Dieser Prozess ist – wie auch in der Musik – eng mit dem vergebenen Namen verbunden!

Es steht zu befürchten, dass es ein Album mit einem derart internationalen Sound in Deutschland schwerhaben wird. Fahrt ihr eine internationale Strategie oder siehst Du das eher weniger ambitioniert?

Tatsächlich mache ich mir darüber gar keine Gedanken. Wir leben dieser Tage in einer wirklich unglaublich engmaschig verknüpften, globalisierten Wirklichkeit. Fast die gesamte Musik, die mich in meiner Jugend geprägt hat, stammt aus dem Ausland! Das ist eigentlich auch jetzt noch weitgehend der Fall. Wie ist das denn bei euch? Es würde also nicht zu mir passen, das Album einfach nur in Deutschland zu veröffentlichen. Irgendwie muss ich ja auch was zurückgeben. Es werden also auch international ein paar Dinge passieren. Ich bin mir aber sicher, dass es auch hier genug Menschen gibt, die sich für diese Musik interessieren.

Durch Deine Tätigkeit als Musikproduzent hast Du einen durchaus profunden Überblick über die fränkische Musikszene. Wo stehen wir hier im nationalen Vergleich?

Also tatsächlich ist es schon erstaunlich, wie viele gute Bands sich hier finden lassen. Nehmen wir z.B. A Tale Of Golden Keys oder LIONLION. Auch Apaath und Kind Kaputt machen sehr gute Musik. Aber das in einen nationalen Vergleich zu stellen, fällt mir schwer. Ich kenne ja auch nicht all die semi-bekannten Perlen aus anderen Käffern dieser Nation. Und davon gibt es sicherlich sehr, sehr viele! Außerdem betrachtet man sowas ja immer aus einer sehr subjektiven Perspektive, auch ich als Produzent. Befangen bin ich natürlich auch noch, da ich z.B. die Jungs von A Tale Of Golden Keys, aber auch viele andere regionale Bands, schon seit Ewigkeiten kenne und liebe. In dieser Bewertung spielt also nicht nur Musik, sondern auch Freundschaft eine große Rolle. Zu guter Letzt ist Musik ja zum Glück auch kein Wettbewerb! Also Hauptsache jeder macht sein Ding an seinem Ort – das ist ja das Spannende daran!

Du gehst mit deinem Album im Herbst auf Tour. Wie gehst Du an die Live-Umsetzung ran?

Ich habe ja in den letzten Jahren immer wieder Konzerte als Like Lovers gespielt, aber meistens solo. Jetzt gehe ich endlich mal wieder mit voller Band auf Tour, darauf freue ich mich sehr! Die Vorbereitung sieht so aus: In den letzten vier Monaten habe ich meine Songs liebevoll in kleinste Teile zerschnitten, so dass wir das dann als Band live wieder sinnvoll zusammensetzen können. Völlig absurd. Bald schließen wir uns dann bei mir im Studio ein, üben das, basteln an Sound und Licht und dann geht’s im Oktober los. Wird auf jeden Fall sehr spannend, diese klanglich doch irgendwie sehr komplex gewordene Platte auf die Bühne zu bringen. Aber macht jetzt schon richtig Bock!

Was bedeutet der Projektname „Like Lovers“ für Dich?

In Filmen und Serien, aber auch in weiten Teilen unserer alltäglichen Lebenswirklichkeit, entsteht oft der Eindruck, Liebe wäre etwas Absolutes. Es wird oft ein ganz konkretes und leider oft sehr, sehr starres Bild von der Liebe (und somit auch von Geschlechterrollen, sexueller Orientierung etc.) vermittelt. Ähnlich wie bei den (noch) vorherrschenden Schönheitsidealen entsteht dann eine mitunter verzweifelte Suche nach etwas, das man so, wie es vermarktet wird, eigentlich gar nicht haben kann. Weil man erst verstehen muss, dass Liebe einfach etwas wahnsinnig Individuelles ist und man selbst bestimmen darf – kann – muss, wie das für einen läuft. Diese Menschen, diese Suchenden sind nicht Liebende, sondern sie sind ‚wie Liebende‘: Like Lovers.

Du hast eine Zeit lang immer wieder kleine Kochvideos auf Instagram gepostet. Kochen und Musizieren geht gut zusammen. Wo siehst Du Parallelen?

Vor allem bei der jeweiligen Entstehung gibt es viele Parallelen. Ein Song besteht aus verschiedenen einzelnen Elementen, genau wie ein Gericht. Bei beidem entscheidet oft nur ein kleines Detail, z.B. ein Gewürz oder eine kleine Melodievariation, über den Geschmack und Erfolg. Und dann natürlich die Wirkung: Essen und Musik – beides kann eine magische Wirkung entfalten. Mich macht beides ziemlich glücklich und zufrieden: Kochen und Musizieren.

Zu guter Letzt... Deine fünf Platten für die Ewigkeit

Nur fünf? Wie soll das denn gehen? Na gut, hier also meine fünf Platten für die erste von allen kommenden Ewigkeiten: Juno - A Future Lived in Past Tense / At The Drive-In - Relationship of Command /  Björk - Homogenic / Three Trapped Tigers - Silent Earthling und Kendrick Lamar - Untitled Unmastered.




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