Erzähl mir was ... Zerfließen mit Büchern

MONTAG, 1. JULI 2019

#Bücher, #Buchtipp, #Erzähl mir was ..., #Lara Sielmann, #Lesung, #Literatur

Es ist schon wieder so weit: das große Hitzefrei steht an! Wie immer verabschiedet sich der Curt in seine wohlverdiente Sommerpause und somit auch diese kleine Literaturkolumne. Damit ihr die Zeit mit gutem Lesestoff durchaltet, hier eine kleine Auswahl an Literaturtipps – wie auch schon im letzten Jahr habe ich GesprächspartnerInnen gebeten, Schönes zu empfehlen.

TIPP VON PAULINE FÜG
„FREIRAUM“ VON SVENJA GRÄFEN, Ullstein fünf, 2019
Vela und Maren wollen ein gemeinsames Kind. Und sie wollen raus aus der Stadt. Raus aus der schimmeligen Wohnung mit der viel zu hohen Miete. Rein in ein Hausprojekt auf dem Land, wo alle eine Vision von einem vermeintlich perfekten Leben in Ruhe und einem achtsamen Miteinander haben. Wo gemeinsam Gemüse angebaut und gekocht wird. Wo alles so einfach scheint, so viel stimmiger als in der Stadt. Wo endlich alles funktionieren könnte. Wo aber plötzlich alles ganz anders wird als gedacht. Svenja Gräfen seziert behutsam die zerfallende Idylle, die paradiesische Versuchung, die Enttäuschung über das „Vielleicht-doch-nicht-angekommen-sein“.
Beim Lesen weiß man irgendwann selbst nicht mehr, was die beste und was die schlimmstmögliche Option ist, das eigene Leben zu gestalten – es werden plötzlich alle Optionen nicht mehr greifbar und unmöglich. Unbedingt lesen und die Welt hinterfragen!

TIPP VON LENA KRATZER
„ACHT BERGE“ VON PAOLO COGNETTI, DVA Verlag, 2017
Gehen oder bleiben? Nicht nur dieses Thema behandelt Paolo Cognetti in seinem stillen, autobiographisch inspirierten Roman aus Italien. Der Ich-Erzähler Pietro hat eine konfliktreiche Beziehung zu seinem Vater. Als dieser stirbt, geht er all die Wanderwege, die sein Vater so geliebt hat. Und dann ist da noch sein Kindheitsfreund Bruno, der die Berge nie verließ, sich ihnen verschrieben hat. Paolo Cognetti malt in schlichten, aber poetischen Bildern die äußere Bergwelt, die innere Landschaft der Protagonisten, beschreibt sie implizit, niemals banal oder pathetisch. Das macht die Geschichte berührend und hintersinnig. Der Titel spielt übrigens auf eine aus dem Himalaya kommende Vorstellung an. Sie besagt, die Welt bestehe aus acht Bergen.

TIPPS IN EIGENER (CURT)-SACHE
Bei meinen Tipps musste ich gar nicht weit in die Belletristik schauen, sondern halte mich an unsere Hausautoren: Bird Berlin hat Anfang dieses Jahres ein neues kleines Zauberwerk herausgebracht, (fast) ganze 66 Haikus hat er niedergeschrieben und was lässt sich schon besser lesen, als kurze, knappe Lyrik zwischen schläfrigen Stunden am Strand und Abkühlung im Wasser. curt-Newcomer Andreas Thamm hat im Frühjahr nachgelegt, beim Magellan Verlag erschien sein Debütroman „Heldenhaft“. In diesem Sinne, viel Spaß und gutes Lesen.

„HELDENHAFT“ VON ANDREAS THAMM / Magellan Verlag, 2019
Andi und Ferdi sind ganz normale Jungs, keine Helden, nix Besonderes. Vor ihnen liegt ein Sommer wie jeder andere. Dachten sie. Aber dann ist Mitch plötzlich wieder da. Mitch, der mal so was wie ein Freund war für die beiden. Bis er Scheiße gebaut hat. So große Scheiße, dass er ein Jahr lang im Knast gelandet ist. Mitch bringt Schuld und Vorwürfe mit sich. Das kann Andi gerade gar nicht gebrauchen, denn er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die hübsche Lea vor ihren superchristlichen Eltern zu retten. Also fassen Andi und Ferdi einen Plan: Abhauen. Leider haben sie das nicht ganz zu Ende gedacht.

„FAST 66 HAIKUS & NOCH PAAR TEXTE“ VON BIRD BERLIN / Eigenverlag, 2019

    “Es wär‘ viel besser
Sechzig Prozent der Menschen
    Hätten jetzt Urlaub

    Und hörten gar nicht
         Auf damit ihn zu haben.
    Wär‘ für mich besser.

Im Gegensatz zu Europa werden in Japan Menschen mehr oder weniger strikt in zwei Kategorien unterteilt. Diejenigen, die sich unsterblich in Silben und deren Anzahl verlieben können und solche, die kaum noch Luft bekommen, wenn man in kompletten Worten Sätze oder sogar Phrasen bildet.”


Dieser Haikuband, der um ca. 5 weitere kurzweilige Kurzgeschichten ergänzt wurde, hat sich für die Silben und deren Häufigkeit aber gleichzeitig auch für Wörter in Sätzen entschieden. Gleichstand. Eine Ausgewogenheit wie zuckergetränkte Frühstückskringel, die in Vanillemilch badend zu sich genommen werden.

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Im Sommer ist die Lesungslandschaft dünn besiedelt, zwei Highlights warten dafür im August auf euch und ein ganz besonderes im September, auf das ich hier vorab (auch in eigener Sache) aufmerksam machen möchte.

DIE UNABHÄNGIGEN LESEREIHEN ZU GAST:
KABELJAU & DORSCH AUS BERLIN – OPEN AIR
DONNERSTAG, 08.08. // ORT NOCH UNBEKANNT // EINTRITT FREI
Kabeljau & Dorsch ist ein Label für junge Literaturvermittlung aus Berlin. Seit 2013 entwickeln sie neue Formate und bespielen ungewöhnliche Orte. Von Lesung bis Late-Night-Show, zwischen Digitalität und Diskurs erweitern sie die Grenzen der Literaturvermittlung und greifen die veränderten Rezeptionshaltungen einer jungen Generation von AutorInnen und Publikum auf. Auf lesereihen.org oder der Facebookseite der Unabhängigen Lesereihen findet ihr bald den genauen Ort mit Line-up.

LITERATURFEST:
39. ERLANGER POETENFEST
29.08. – 01.09. // ERLANGEN // EINTRITT FREI
Jedes Jahr am letzten Augustwochenende feiert Erlangen den Auftakt zum deutschen Bücherherbst. Mit annähernd 100 Einzelveranstaltungen rund um die aktuelle Literatur und über 80 SchriftstellerInnen, LiteraturkritikerInnen, PublizistInnen, die in Lesungen und Gesprächen ihre Neuerscheinungen vorstellen, zählt das 1980 gegründete Erlanger Poetenfest zu den größten und renommiertesten Literaturfestivals im deutschsprachigen Raum. Im Mittelpunkt stehen die langen Lesenachmittage im Schlossgarten. In halbstündigen Lesungen können die BesucherInnen eine große Bandbreite aktueller Literatur kennenlernen. Jeweils im Anschluss an die Lesungen auf dem Hauptpodium finden auf den Nebenpodien moderierte Gespräche statt.

LITERATURFESTIVAL:
ULF – UNABHÄNGIGES LESEREIHEN FESTIVAL
12.09. – 15.09. // Z-BAU // MEHR INFOS IN KÜRZE
Über 25 Unabhängige Lesereihen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen erstmals zusammen und zeigen an vier Tagen im Z-Bau in Nürnberg die Vielfalt der zeitgenössischen Literatur. Sie präsentieren neue Formate und neue Stimmen – tanzbar, streitbar, sexy. Mehr als 100 AutorInnen treten auf, von lokalen SchriftstellerInnen bis hin zu internationalen Gästen: Ob junge Prosa, von SchauspielerInnen interpretiert, ob als intime Wohnzimmerlesung, politische und poetische Diskussionen auf Bühnen und Bierbänken, Lyrik, musikalisch übersetzt oder in unterschiedlichen Sprachen vorgetragen, experimentelle Formen, Genre- und Grenzüberschreitungen, literarische Gameshows und AutorInnen an DJ-Pulten: ULF vereint sie alle. ULF

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Unsere Kolumnistin LARA SIELMANN, geboren und aufgewachsen in Berlin, arbeitet als Kulturschaffende und Journalistin in Nürnberg und Berlin. Lara freut sich über themenbezogene Fragen, Anregungen und Tipps – einfach per E-Mail an Diese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, du musst Javascript aktivieren, damit du sie sehen kannst senden!
 




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