Optimismus bis zum Verduften
#Dieter Stoll, #Kritik, #Kultur, #Stadttheater Fürth, #Theater
Ihre besten Tage sind eindeutig vorbei, wenn die mobile Kosmetik-Fachverkäuferin Cookie Close, die man in gehobenen deutschen Haushalten der älteren Generation wohl spontan „Avon-Beraterin“ nennen würde, am Ende ihres aktuellen Einsatzes für die Reinheit von Haut und Seele den Rollkoffer in die Ecke stellt und die engen Renn-Pumps mit den hohen Blockabsätzen abstreift. Weit und breit kein Ruckediguh, aber aus den Schuhen schwappt Blut auf die porentief reine Vorderbühne des Fürther Stadttheaters, das nach der Ersten Hilfe den Vorhang lupft, um die Welt dahinter als ungemütliches Kletter-Objekt zu zeigen.
wwDie Waffenlieferantin für den ewigen Kampf gegen das Knittern der Fassaden („Ich stehe für Vollkommenheit“ spricht die dorisdayblonde Sonderbeauftragte für die tägliche Auffrischung von „Gottes Meisterwerk“) hat sich im Dienst am Kunden wundgelaufen. „Für immer schön“ ist nicht nur der Titel des Abends, der davon berichtet, es ist der strenge Glaubenssatz der Protagonistin. Ihre Gewissheiten vom höheren Sinn der eigenen Arbeit, die mit der einen Hand im Tiegelchen und mit der anderen am Parfüm-Flakon, eine dritte fürs integrierte Schultertätscheln gegen Restzweifel der Ungläubigen darf sich jeder als Gratis-Metaphorik dazu denken, seit Jahrzehnten so manche Sinnkrise niedercremen konnte, verliert sie nie. Sie denkt entschlossen positiv über die stabile Weltordnung, also an etwas, das so sein muss, weil es so gewesen ist, und macht dabei feinen Unterschied bei der Handhabung höherer Werte von Geschäftsmodell und Glaubenskraft. Moralfrei und gottesfürchtig, interessante Trend-Kombination. Dass sie, die einst als wandelndes Belegexemplar der eigenen Produktpalette gleich nach dem Türöffnen optisch überrumpeln und gelegentlich erotisch aushelfen konnte, nun dem Verfallsdatum näher gerückt ist, was Verkaufsbilanzen gnadenlos dokumentieren, müsste als Problem erst mal akzeptiert werden. Tut es aber nicht, denn das Verblühen führt keineswegs zum Verduften. Cookie sprüht weiter im Dienst der glatten Visage - ob ihr minderjähriger Liebhaber grade verzweifelt oder ihre Tochter, das „Küken“, am Strick baumelt, ob eine Konkurrentin beim Damen-Freistil mit der Nagelfeile ins Gesicht schlitzt, eine Nachbarin die Flinte anlegt oder sie selbst erblindet auf Klingeltour bleibt, bis sie den öffentlichen Grabplatz für die gut verpackt mitgeschleppte Mädchen-Leiche sichern kann. Sie selbst braucht sowas nicht. Der Tod einer Handlungsreisenden ist in diesem Überlebensentwurf einfach nicht vorgesehen, und wo das Elend am größten, ist die Hoffnung am brutalsten. Ein Phantom von aufgedonnerter Über-Mutter schwebt zum Finale herbei und paukt ihr das Zauberwort für alle Fälle vor dem imaginären Abendbrot nochmal ein: „Lächeln“.
Der US-Dramatiker Noah Haidle, Autor mit Wohnsitz in Los Angeles, der schon Drehbücher für Hollywood und diverse TV-Filme lieferte und daheim mit inzwischen 41 Jahren nach einem guten Dutzend Bühnen-Uraufführungen immer noch „zu den wichtigsten neuen Stimmen“ unter den Dramatikern gezählt wird, pflegt eine besondere Verbindung über den Großen Teich. Für acht seiner bisherigen Stücke hat er das Recht des ersten Abends in Übersetzung an deutschsprachige Bühnen vergeben. Bei „Für immer schön“ ist das eine besonders schmeichelhafte Vertrauenserklärung, denn ohne diskret sachkundige Quellenforschung kann eine Inszenierung des ebenso schöpfenden wie schöpferischen Textes mit seiner rasanten Rundschlag-Inspiration zwischen Comic-Groteske, Melodram und absurdem Theater samt schnörkeligem Zier-Sarkasmus gar nicht funktionieren. Die Frauen-Variante von Millers Willy Lohmann ist also auch ein bisschen Trotzkopf-Antigone und muss im Beckett-Endspiel die Lebensfreude vor der Mülltrennung retten. Oder so!
Am Fürther Stadttheater inszenierte Maik Priebe erstaunlich elegisch mit der deutlichen Absicht, nicht allzu weit ins wuchernde Dialog-Gestrüpp des Pointen-Desasters („Du hast dich durchs Telefonbuch gevögelt“ – „Das ist zu dick“) zu geraten. Auf der sportlich anregenden Bühne von Susanne Maier-Staufen rotiert ein Stahlrohr-Gerüst, das auf der Vorderseite „Cosmetic Dreams“ verspricht und in der Mischung aus Kinoplakat und aufgeblasenem Erbauungsbildchen den schönen Schein von Gefühl preist – erst mit dem kleinen Tränchen fürs riesige Puppengesicht, später passend zur dramatischen Entwicklung mit wallfahrtstauglichen Blutbahnen aus beiden Augen. Die Regie bevorzugt die Totale, also gibt es auf den beiden kreisenden Etagen kaum leise Töne, aber anhaltend brodelnde Hysterie als Betriebstemperatur.
Judith van der Werff in der gewollt aufdringlich präsenten Hauptrolle ist die latente Ahnung von Tea Party mit Martini-Anschluss, ganz und gar Cocktail First. Ihre Cookie Close fühlt sich gegen alle äußeren Verfallserscheinungen „in Schuss“, und zweifellos hat sie einen. Allerdings fixiert der Autor das Ego seiner tragikomischen Heldin so schnell, dass auch der Regisseur trotz aller Zeitenwechsel über Jahrzehnte keine Fallhöhe mehr herstellen kann. Die Schauspielerin muss immer wieder viel Anlauf aus der dramaturgischen Hocke nehmen, um kleine Sprünge übers Klischee zu schaffen. Dass es aufregender gelingen könnte, sieht man an Nicola Lembach in zwei Nebenrollen. Wie sie als flippige Spezial-Kundin die Hautcreme buchstäblich zum Fressen gern hat oder später als militantes Flintenweib nach dem Sturz ins Grab ausrastet, das katapultiert die Story für Momente in ganz andere Dimensionen von Explosions-Komik. Ansonsten wird solide gespielt (Sunna Hettinger, Boris Keil, Stefan Willi Wang), aber den festen Zugriff, den dieser bekennende Zyniker von Autor braucht, kann die Fürther Aufführung nicht bieten. Der versprochene „Abgesang auf das Zeitalter des Neoliberalismus“ ist nur eine trällernde Behauptung.
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Schauspielkritik von Dieter Stoll
für das Theatermagazin “Die deutsche Bühne”
www.die-deutsche-buehne.de
Für immer schön
Schauspiel von Noah Haidle | Deutsch von Barbara Christ
Regie: Maik Priebe
Produktion: Stadttheater Fürth
Inszenierung: Maik Priebe
Ausstattung: Susanne Maier-Staufen
Musik: Ole Schmidt mit Judith Florence Ehrhardt, Sunna Hettinger, Boris Keil, Nicola Lembach, Judith van der Werff, Stefan Willi Wang
Dienstag, 7. bis Sonntag, 12. Mai 2019, 19.30 Uhr
PREMIERE AM 4. MAI 2019, 19.30 Uhr
www.stadttheater.de
FüR IMMER SCHöN
Sonntag, 12.05.2019 // 19:30h
STADTTHEATER FüRTH
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