Erzähl mir was ... Anna Hofmann
#Buch, #Erzähl mir was ..., #Kolumne, #Lara Sielmann, #Lesung, #Literatur
Seit über einem Jahr schreibe ich über die Nürnberger Literaturszene, für diesen Monat habe ich die Nürnberger Künstlerin und Nachwuchsautorin Anna Hofmann gebeten, uns Einblick in ihre Textwerkstatt zu geben – damit ihr auch mal einen inhaltlichen literarischen Einblick bekommt. #serviceliteraturkolumne.
Auszug aus „Etwas“, einem Text, der gerade entsteht:
Immer wieder sehe ich auf den Tankstand und vergewissere mich, ob genügend Sprit bleibt. Seit eineinhalb Stunden lenke ich das Auto über eine völlig unbefahrene Straße, es verändert sich nichts an der Kulisse um die Windschutzscheibe. Bäume ziehen groß und dunkel an uns vorbei. Türme aus Samt oder aus Stahl, ich weiß es nicht. Ich versuche sie nicht anzusehen.
Er sitzt auf dem Rücksitz und ist eingeschlafen, kostbar liegt er ganz matt in seiner Schale. Ich sehe oft in den Rückspiegel, ob er noch da ist. Es kommt mir noch immer so vor, als könnte er einfach verschwinden. Das Autoradio rauscht Störgeräusche in unsere Kapsel, ich suche nach einem Sender und tatsächlich schafft es einer und rastet ein. Klassik perlt leise auf den Beifahrersitz. Ich denke an Autofahrten mit meinen Eltern, an Klassik, die ihre Streitigkeiten untermalt. Ich saß immer auf dem linken Rücksitz und schaute aus dem Fenster. Dann stellte ich mir vor, taub zu werden. Es war nicht so einfach, aber wenn ich mir ausmalte, meine Ohren würden von innen zuwachsen, musste ich das Geschrei nicht mehr hören. Manchmal klappte es, dann war Ruhe. Am Ende schrie mein Vater sie immer an. Jetzt beruhige dich doch, verdammt nochmal!
Meine Augen werden müde, aber ich konzentriere mich auf den Lichtkegel vor mir: ein beständiges Immer an Straße und Bäumen. Wir müssten das Haus ungefähr in einer Stunde erreichen. Als Erstes trage ich ihn aus dem Auto und bringe ihn ins Haus, werde ihn ins Bett legen, dann noch einmal kurz rausgehen und die Taschen nach innen tragen. So mache ich es. Und morgen früh holen wir dann zusammen im Dorf Brötchen.
Aus dem Nichts kommt etwas von links. Ich kann nicht sagen, was passiert, ich weiß nicht, was es ist. Etwas Großes, aber dünnes. Blitzschnell bewegt es sich auf die Straße und ich drücke auf die Bremse, ich drücke sie ganz durch, und dann sehe ich zwei leuchtende Augen. Das Auto quietscht, es schlingert, ich beginne die Kontrolle zu verlieren. Dann knallt es. Es macht einen Ruck durchs ganze Auto, ich schreie, er wacht auf und stöhnt.
„Mama“, sagt er. Und ich sage noch „Ja!“ da kommt das Auto zum Stehen und ich höre ihn atmen und mich atmen. Ich drehe mich um und frage panisch, ob ihm was weh tut. Ist alles in Ordnung?!
„Bist du ok? Oh Gott, alles wird gut. Alles wird gut.“
Am Beifahrersitz stütze ich mich so ungelenk ab, als ich mich versuche zu ihm umzudrehen, dass etwas in meiner Schulter knackt und ich greife nach seiner Hand. Ich will die Zeit zurückdrehen. Nur ein paar Sekunden. „Mama, was war das? Ich hab geträumt, …“/ „Ist gut, alles ist ok! Ich schaue kurz auf die Straße und dann können wir gleich weiter, ja?“
Mir wird schlecht. Ich steige aus und gehe ums Auto herum. Alles ist ok. Alles ist ok.
Ich öffne seine Tür, er sieht mich mit dem verwirrten Blick an, der mich am meisten schmerzt. Vorsichtig taste ich ihn ab, kein Blut. Er ist ok. Alles ist gut.
„Mama, du hast da was im Gesicht“, sagt er und ich fasse mir an die Stirn. Ok, hier ist Blut, das muss warten. Ich küsse ihn auf den Kopf und sage: „Schlaf ruhig, ich bin gleich wieder da.“
Vorsichtig schließe ich die Autotür und drehe mich um. Ich ziehe mein Handy aus der Jackentasche und schalte die Taschenlampe darauf ein. In kleinen Schritten laufe ich die drei Meter zu dem Etwas und halte das Licht darauf. Das Etwas bewegt seine Lippen, es öffnet den Mund. Ich will sagen: Nein sprich nicht. Es blutet am Bauch oder am Rücken, der Asphalt glänzt ein bisschen. Ach du Scheiße, denke ich.
---------
Anna Hofmann ist gebürtige Nürnbergerin und seit 2012 Studentin an der Akademie der Bildenden Künste. Sie arbeitet und wohnt mit ihrem Sohn in Nürnberg. Seit 2016 liest sie auf verschiedenen Veranstaltungen, so am 18.04. „Sieben Sünden“ im Edel Extra, Nbg. Und am 26.05. bei der „ROY“-Lesereihe auf dem Kontakt Festival in Bamberg.
Instagram: www.instagram.com/__anna__hofmann
---------
Lesungen im April von Lara ans Herz gelegt:
LESEREIHE „LITERATUR OHNE GRENZEN:
RUMÄNIEN“ MIHAI IGNAT PRÄSENTIERT GEDICHTE AUS DREI JAHRZEHNTEN
DONNERSTAG, 04.04., 19:30 UHR // BILDUNGSCAMPUS // AK 8,-/5,-
Mihai Ignat (+*1967 in Brasov) ist Poet, Essayist und Dramaturg: Seine Poesie befasst sich zumeist mit den Themen eines das Selbst zerfleischenden Eros, des Versuchs einer Definierung der wahren Liebe, der gedämpften und auch lauten Klage des unvermeidbar alternden Mannes, der Angst vor dem Schwinden aller Kräfte.
Lesung in Rumänisch und Deutsch aus den Gedichtbänden: „Klein sagte“ (Klein spuse), Strophen zu zweit“ (Poeme în doi), „Der Wundstar ist ein Haustier“(Cangrena este un animal de casa) „Vielleicht ist die Nacht eben angebrochen“(„Poate noaptea a si-nceput“).
Übersetzung und Moderation: Andrea Wisniowski
CURT-TIPP:
MATTHIAS EGERSDÖRFER LIEST AUS „VORSTADTPRINZ“
MITTWOCH, 10.04., 20 UHR // LITERATURHAUS NBG // AK 12,-/6,-
Debütlesung: Nürnberger Urhumorist und curt-Kolumnist Matthias Egersdörfer liest aus seinem brandneuen autobiografischen Roman „ Vorstadtprinz“. Er erzählt von einem Kind, das wider Willen erwachsen werden muss. Seine Phantasie verwandelt sein Dasein in eine Abfolge von Sensationen, schönen und surrealen; bereits seine Zeugung ist ein galaktisches Feuerwerk. Das Leben überrascht ihn mit weiteren Herausforderungen, den Kochkünsten der Mutter, Metzgereibesuchen, später mit Katharina, die ein Lachen wie Limonade hat. Mit all dem muss Matthias umzugehen lernen – und mit den eigenen Ecken und Kanten, die gar nicht so leicht in die Welt passen. Empfohlen von curt.
LESEREIHE „GEGENWARTSLITERATUR IM Z-BAU“:
„MINDSTATE MALIBU – KRITIK IST AUCH NUR EINE FORM VON ESKAPISMUS“ –
ANTHOLOGIE-LESUNG MIT JOSHUA GROSS, CREAM SPEAK, LEONHARD HIERONYMI
DONNERSTAG, 11.04., 20 UHR // Z-BAU // VVK AB 8,-, AK 10,-
Der Nürnberger Autor Joshua Groß hat sich mit klugen Menschen zusammengetan, um eine ebenso kluge Anthologie zu unserer Gegenwart herauszubringen: Ist Affirmation auch Kritik? Wie viel Spaß braucht die Revolution? Fragen, die gestellt werden müssen. „Mindstate Malibu“ sucht die Antworten und versammelt dafür KünstlerInnen, SatirikerInnen, Web-Artists, Twitter-Genies, SchriftstellerInnen, EssayistInnen und WissenschaftlerInnen, für die das Internet Biotop und Blaupause in einem ist. 320 Seiten gefüllt mit Fotostrecken, Zeichnungen, Screenshots, Tweets, Interviews, Erzählungen und Essays. Ein Leitfaden für eine neue Welt. Präsentiert von curt.
DIE UNABHÄNGIGEN LESEREIHEN –
GASTSPIELE: DIE LESEREIHE „LITERATUR IN WEISSENSEE“
PRÄSENTIERT PAULA VON FÜRSTENBERG
Donnerstag, 30.04., 19 Uhr // Buchhandlung Jakob // frei
Zum vierten Mal lädt „Die Unabhängigen Lesereihen – Gastspiele“ nach Nürnberg ein: dieses Mal ist die Berliner Lesereihe „Literatur in Weißensee“ Gast in der Nürnberger Buchhandlung Buchhandlung Jakob. Der Schriftsteller und Initiator der Reihe Alexander Graeff tritt in den Dialog mit der Schriftstellerin Paula Fürstenberg und ihrem Debütroman „Familie der geflügelten Tiger“. Beide nähern sich in Prosa, Lyrik und Gespräch dem brisanten und aktuellen Thema „Zoo“. Denn ein Zoo ist nicht nur ein umzäunter Garten, in dem Tiere als Attraktion gehalten werden, „Zoo“ ist ebenso eine beständig anwesende Denkfigur, die die Ambivalenz aus Exotik und Normalform markiert und das Fremde dem Eigenen gegenüberstellt.
---------
Unsere Kolumnistin Lara Sielmann, geboren und aufgewachsen in Berlin, arbeitet als Kulturschaffende und Journalistin in Nürnberg und Berlin. Lara freut sich über themenbezogene Fragen, Anregungen und Tipps – einfach per E-Mail an
Diese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, du musst Javascript aktivieren, damit du sie sehen kannst
senden!
#Buch, #Erzähl mir was ..., #Kolumne, #Lara Sielmann, #Lesung, #Literatur