Theobald O.J. Fuchs: Deute und Deuterich

MITTWOCH, 3. APRIL 2019

#Autor, #Comedy, #Kabarett, #Kolumne, #Kultur, #Theobald O.J. Fuchs

Frau und Herr K saßen in der Küche und gingen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach. Ein Blick zur Uhr verriet: Viertel nach zwei. Sie schauten aus dem Fenster und beobachteten  den ungefähr zehnten Eis-Graupel-Schauer, der von einem Orkanwind ziemlich genau waagerecht an die Fensterscheibe geschmissen wurde.

Der Orkanwind war den beiden sehr sympathisch mit seinen flatternden Ohren, seiner kalten Schnauze und den niedlichen Eisäugelchen. Aber trotzdem. Frau K deutete auf den Werkzeugkasten und sagte: Deuterium ist alle. Fuck. Herr K fand das auch und sagte dasselbe. Fuck. Es war jetzt 14 Uhr 32. Klarer geht Andeutung nicht, sorry.

Zur selben Zeit, ohne dass die Ks davon wussten – geschweige denn die Bedeutung des Vorgangs erkannten –, stieg in der Nürnberger Südstadt T aufs Rad. Sie trug eine Sturmhaube und trat kraftvoll in die Pedale des einhundertfünfundneunziggängigen Velozipeds. Sie überquerte den Aufseßplatz, nicht ohne – wie jedesmal, wenn sie den Aufseßplatz überquerte – darüber zu grübeln, was das »Aufseß« in »Aufseßplatz« wohl bedeutete. Und ob es mit Aufsitzen oder dem Aufsässigen zu tun habe. Ein nicht gerade unbedeutender Unterschied.

Ts Trajektorie zeigte im Durchschnitt nach West-Nord-West. Gostenhof hieß ihr Ziel.

Inzwischen war es 15 Uhr 18 und Herr sowie Frau K bewegten sich zurück vom Deuteriumgeschäft in der Austraße, etwa 78 Meter weit von der Fürther Straße entfernt, die sie in nördlicher Richtung an der Ecke von »Thilo‘s Pil‘s Eck‘la« zu überqueren gedachten. Ziemlich genau da, wo es vor vielen Jahren ein Fachgeschäft für geläuterte Räucherwürste aus der Deutungskammer gegeben hatte. Dessen Pleite für die Anwohner eine Art Räucherwurstkatastrophe ausgelöst hatte. Die Ks zogen hinter sich je eine gemeinhin mit »Rentner Porsche« titulierte Einkaufstasche auf Rädern. Darin klapperte das frisch erworbene Deuterium.

Um 15 Uhr 21 und 9 Sekunden bemerkt T direkt vor der gläsernen Tür zur Apotheke die von links auf sie zusteuernden Ks und versetzt ihrer Fahrtrichtung einen Schwenk von einer achtel Bogenminute nach rechts. Als sie den Blick wieder nach vorne wendet, nimmt ihr die Sonnenblende des Helms jegliche Sicht.
Wenige Minuten zuvor war der unabhängige Vanillesoßenpulver-Gutachter U beim Betreten des »Café Regina« seinem Erzfeind, dem entengesichtigen X über den Weg gelaufen. X ist, das haben etliche Messgeräte eindeutig nachgewiesen, ein psychopathisches Arschloch erster Ordnung. U hingegen ist zu überrascht, um die Bedeutung des Moments zu erkennen. U wird von X unerbittlich attackiert, mit seinem ausgestreckten Zeigefinger erdolcht der Entengesichtige den eiskalten Luftraum zwischen sich und dem Fachexperten U. Diese Geste dient der Unterstützung seiner keuchend aus dem Oberschlundgang-lion gepressten Worte, die von unnachweisbarer Schuld und Verbrechen an Reisnägeln handeln.

U, der seine Ruhe haben will, entgegnet mit dem Vorwurf einer widerrechtlich an sich gerissenen Deutungshoheit und nennt X einen selbst-
gefälligen Deutling, der wohl am besten im Kerker eines Priesterseminars aufgehoben wäre.

Um 15 Uhr 21 und 48 Sekunden öffnet sich die Tür zum Optikergeschäft, das nur magere sieben Schritte bzw. zwei vollständige Umdrehungen der Tretkurbel (vier Pi im Bogenmaß) in westlicher Richtung angesiedelt ist. Für knapp neun Sekunden leicht rückwärts tänzelnd, um den Augenkontakt mit Optiker P15Q16 maximal in die Länge zu ziehen, verlässt O seiner übrigen Umgebung völlig entrückt den Laden und wird in absoluter Kürze mit X zusammenstoßen. Von halblinks nach rechts oben also sind alle auf ihren Positionen: P15Q16, O, X, U, T und die Ks.

Herrn Ks rechter Zeigefinger sticht deutend nach vorne, er zielt auf O in der Ferne, während E, der urplötzlich auch noch aufgetaucht ist, etwas murmelt. X fährt fort zu wedeln und zu stochern und nun deutet auch U retrograd zurück auf den Deutling. T sträuben sich die Nackenhaare.

Die Daten, über welche allen Beteiligten in Gestalt unmittelbarer Sinneseindrücke verfügen, verdichteten sich zum höchst intensiven Knäuel, und bei jenen, deren Verarbeitungsorgan einen Ticken schneller kalkuliert als der Rest, zeichnet sich im Gesicht deutlich die Vorfreude auf den Schrecken ab, den der Zusammenstoß aller mit jedem im nächsten Splitter des Zeitglases exakt um 15 Uhr 21 und 54 Sekunden auslösen wird. E schnuppert misstrauisch.

Ts Zeigefinger krümmt sich zum Haken, allerdings im konstruktiven Gleichklang mit den anderen Fingern ihrer Hand, um den Hebel der Bremse ruckartig zu ziehen. Frau K schließt die Augen, Herr K schnappt nach Luft, T erfasst P15Q16, kann sich jedoch im Sattel halten, während U blitzschnell erfasst, dass alle Aufmerksamkeit auf O gerichtet ist, er somit völlig unbehelligt X dermaßen in die Eier tritt, dass die Eheleute K kurz den Blick zum Himmel richten, ob da nicht ein Düsenbomber die Schallmauer durchbrochen habe. E lächelt.

Und dann ist der Spuk so schnell vorbei, wie er sich zusammengebraut hat, und die Ks verziehen sich mit ihrem Deuterium auf den Küchenbalkon.


[Alle Bilder: Katharina Winter, (fast) immer im Bilde: Theo Fuchs]

UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO?
Naja, immer nicht so viel. Ein bisschen Forschung und so, hier und da mal irgendwas lehren. Wissen wir nicht so genau, ist auch egal.
Ansonsten wälzt er sich im Ruhm und lässt sich bewundern, denn seine Sucht ist die nach Aufmerksamkeit.

THEOS TERMINE IM APRIL: Tote Hose! Nothing! Nada! Absolut gar nix!
Dafür referiert er vom 6. bis 8. Mai über „DIE ZUKUNFT DER VERGANGENHEIT“ auf der re:publica in Berlin. Und dort: in der Station.
Heimischer wird es wiederum am 9. Mai beim „GIPFELTREFFEN DER KRIMIPREISTRÄGER“ im Kulturladen Nord, in der Wurzelbauerstraße 29 in Nürnberg. Den Thrill teilt er sich dort mit den Autorenkollegen Wohlgemuth, Spranger und McNeill.
Kryptisch wird es offensichtlich eineinhalb Monate später, am 27. Juni. Titel: „DER GENERAL UND DAS BÄRTIERCHEN: DIE DUNKLE SEITE DER MONDLANDUNGEN“, zusammen mit Keno Halilovic im Salon der unerfüllten Wünsche (Ort N.N.). Dass Theo jetzt schon weiß, was er im Herbst treibt, macht es nicht weniger verwirrend: Am 19. Oktober, während der „LANGE NACHT DER WISSENSCHAFTEN“ wiederholt er das, was er im Mai (Achtung: Jetzt noch Zukunft, im Oktober aber längst Vergangenheit!) schon in Berlin geübt hat: „Die Zukunft der Vergangenheit“, diesmal in Nürnberg, im JOSEPHs.




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Da saß ich im Bus nach Prag und dachte mir, wie unangenehm es sein müsste, von einer Stadt in die andere Stadt gebeamt zu werden. Also mittels Star-Trek-Transporter [https://de.wikipedia.org/wiki/Star-Trek-Technologie]. Man wäre ja im selben Augenblick da, in dem man abgeschickt wird, und würde die schöne Fahrt verpassen. Welche Auswirkungen der abrupte Ortswechsel auf die menschliche Seele hätte, ist noch völlig unerforscht. Zudem ja erst die Seele an sich definiert werden müsste. Das ist sonst ungefähr so, wie wenn man die Verdauung des Monsters von Loch Ness erforschen wollte.  >>
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