Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Jan St. Werner
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Bei unserem Treffen auf dem Gelände der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste wird gerade eine Leuchtschrift in Großbuchstaben im Flur des Pavillon 24 befestigt. Handschriftlich geformt und mit Kringeln um jeden Buchstaben steht „DAF“ drauf. Jan St. Werner, seit zwei Jahren hier Professor, ließ sich das Akronym von Robert Görl stiften.
Görl ist ein Teil von Deutsch Amerikanische Freundschaft, einer der einflussreichsten deutschen Gruppen der elektronischen Musik. Bei Werner steht das neonhelle „DAF“ für „Dynamisch Akustische Forschung“. So lautet der offizielle Lehrauftrag seiner deutschlandweit einmaligen und damit vorbildlichen Projektklasse. In Nürnberg kommt eines zum anderen: Jan Werner bildet seit 25 Jahren 50 Prozent des weltweit renommierten Electro-Duos Mouse on Mars, vor (fast) 50 Jahren wurde der Wahl-Berliner hier geboren, seine Eltern haben beide an der Kunstakademie studiert.
Ein Gespräch über Zufall und Klang, junge Kunst und Älterwerden.
ANDREAS RADLMAIER: Wie landet ein Vordenker der elektronischen Musik in einer Kunsthochschule?
JAN ST. WAGNER: Naja, der Bezug zur Kunst war schon immer da. Durch Kollaborationen, Konzerte, Performances, Installationen. Die Frage ist eher, wie man dazu kommt, dass man lehrt?
Auch gut: Wie kommt man dazu?
Das kam vor vier, fünf Jahren verstärkt auf mich zu. Anfragen nach Workshops, Vorträgen, Panels. Ich fand es als Musiker immer gut, stets ein Stück unsichtbar zu sein hinter all den Maschinen, sich durch den Sound zu transformieren. Andererseits dachte ich: Jetzt machst du das so lange, jetzt ist es auch schon wurscht. Du erzählst gerne, verbindest gerne Ideen. Dann kam das Lehren am Massachussets Institute of Technology in Boston mit der ersten richtigen Klasse, mit Stundenplan und einem Thema: Sound als etwas zu begreifen, was ständig in Bewegung ist. Danach gab es eine Anfrage der Kunsthochschule für Medien in Köln und ein Intermezzo an der Folkwangschule in Essen. Und dann kam Heike Baranowsky.
Sie ist hier in Nürnberg Professorin an der Kunstakademie.
Genau. Sie kannte uns schon länger, hatte eine „Mouse on Mars“-Installation in Berlin gesehen und meinte, dass das, was wir da machten, schon auch interaktive Kunst sei. Und dass man in Nürnberg jemand für so eine Position suche. Die Ausschreibung klang gut, aber nach den Vorereignissen an deutschen Institutionen war ich auch ein wenig gebranntes Kind. Ich hatte den Eindruck, ich passte da nicht hin. Dann bat Baranowsky mich, noch mal darüber nachzudenken. Dann habe ich mich beworben und fühle mich nun doch sehr wohl hier.
Dennoch: Wäre die Nürnberger Musikhochschule ein paar hundert Meter weiter nördlich nicht der nahe liegendere Lehr-Ort?
Nein, ich will ja die Musik gerade rausholen aus der Musik.
Aha.
Ich will mit dem Musikbegriff gar nicht so viel zu tun haben. Wir wollen den Klang nicht einordnen, sondern erst mal finden, wir wollen die psychologischen, kognitiven, künstlerischen, philosophischen, die gesellschaftlichen, die architektonischen, futuristischen, utopistischen Beziehungen greifbar machen. Diese Prozesse zu untersuchen ist eine sehr junge Disziplin. Jetzt bekommt Klang seinen eigenen wissenschaftlichen Raum. Und dass sowas an einer Kunstakademie passiert, macht total Sinn und ist bahnbrechend gut. Das gibt’s an keiner anderen Akademie und ist echt Avantgarde.
Der Studiengang heißt „Interaktive Medien / Dynamische Akustische Forschung“. Da denke ich zunächst eher an ein Max-Planck-Institut.
Man darf sich nicht vorstellen, dass Wissenschaft und Forschung in einem klinisch-hermetischen Feld abläuft. Van Gogh war Wissenschaftler, der das Licht untersuchte, Pigmente, Farbe, der mit der Tube gemalt hat. Jeder Künstler ist auch Forscher. Und dass man sagt, man nimmt diesen Begriff der Musik raus aus dieser traditionellen Betrachtung und beschäftigt sich mit Klang, und zwar aus verschiedenen Perspektiven, nicht aus fixierten Positionen, Rollen, Zuschreibungen. Unsere Auseinandersetzung kommt aus der Bewegung, weil wir als Gruppe ständig voneinander lernen. Kunst ist so ein wichtiges Ventil für die Gesellschaft, solche Gruppen von Künstlern zu haben, die – im übertragenen Sinne – ein Stück weit „irre“ sein können.
Wie fühlt sich das an, Professor zu sein?
Ich benutze diesen Titel eigentlich nur, um meine Freunde zu ärgern. Sagt ja keiner hier „Professor“ zu mir.
Sondern?
Jan.
Was erwarten die Studenten denn, also was sollen und wollen sie von dir beigebracht kommen? Und umgekehrt: Welchen Gewinn ziehst du aus deiner Professorentätigkeit?
Diese zwei Fragen gehören im Grunde zusammen. Wenn ich ein Stück weit Selbstvertrauen vermitteln kann, ist viel erreicht. Wenn ein Kasper wie ich Professor werden kann, dann kannst du doch mindestens Präsident werden. Ich fungiere hauptsächlich als Katalysator: Ich könnt euch an mir orientieren, im Sinne einer Passion, einer Recherche. Aber nicht im Sinne einer Ästhetik.
Es geht ja wohl kaum darum, lauter kleine „Mouse on Mars“-Klone zu schaffen …?
Das wäre furchtbar. Im Gegenteil. Das sage ich auch meinen Studenten. Orientiert euch nicht zu sehr an mir, denn ich begreife mich selber nicht.
Wie fällt die erste Zwischenbilanz nach zwei Jahren aus?
Ich fühle mich total beglückt. Das passt alles unglaublich gut ineinander. Dazu muss man wissen, dass ich hier geboren wurde. Die Professur hatte für mich etwas Enttraumatisierendes. Meine Eltern haben sich getrennt nach der Akademie. Meine Mutter zog nach Bamberg, mein Vater nach Regensburg. Ich kannte den Nürnberger Bahnhof, wo ich immer umsteigen musste. Das habe ich gehasst, ich habe Nürnberg gehasst.
Löst das Engagement an der Akademie Coming-home-Gefühle aus?
Ich war ja viel zu klein, als ich hier war.
Mit wie vielen Jahren bist du weggezogen?
Zwei oder drei.
Dann Bamberg?
Erst mal Scheßlitz, Kindergarten und Grundschule. Und dann Bamberg. Ich habe schon Heimatgefühle. Ich liebe Lebkuchen, Zwiebeln, Kümmel. Ich mag das Fränkische, das Verschmitzte, das Verschrobene, die Landschaft. Ich finde Nürnberg auch schwermütig und schwer. Es gibt auch vieles, was ich nicht mag, überhaupt an Bayern. Ich habe mich aber auch nie als jemand verstanden, der irgendwo hingehört.
Radlmaier: Abitur in Bamberg?
Ja, dann München. Philosophie und Musikwissenschaften studiert.
Zu Ende?
Nein, ich habe mich in München nicht zurechtgefunden. Erst in Köln hat sich für mich die Welt geöffnet.
Du stammst aus einer Künstlerfamilie. Du selber hast beinahe in Düsseldorf ein Kunststudium begonnen. Warum bist du dann eher in der Welt des Klangs gelandet?
Meine Mutter ist sehr musikalisch. Und mein Großvater in Scheßlitz war Organist, der auch komponierte und das dann in der Kirche austestete. Ich saß oft neben ihm und durfte die Register schalten. Vielleicht kommt daher auch meine Vorstellung von Musik: Während die Musik spielt, Knöpfe schalten, filtern. Das war so `ne Art Dubben. Wenn kein Gottesdienst war, durfte ich schalten, und er hat weiter gespielt. Das war cool. Das ist gerade das erste Mal, dass mir das so gegenwärtig ist, dass das sowas wie Orgel-Dub war.
Hast du denn eine musikalische Ausbildung genossen?
Mein Großvater und meine Mutter wollten mir immer ein Instrument nahe legen. Sie hatten Geige im Sinne. Auf der aktuellen Tour „Dimensional People“ benutze ich tatsächlich die alte Geige von meinem Opa. Ich wollte schon früh Musik nicht einfach nachspielen, sondern ich wollte lieber etwas Eigenes machen. Ich habe schnell auf Kassetten Collagen gemacht.
Du hast einen Collagen …
… Collagen-Fimmel. Total. Für mich ist die Welt eine Collage, jeder Mensch ist eine Collage, jede Situation. Dadurch komme ich relativ gut klar mit der Realität. Weil ich mich nicht eingesogen fühle von einer ausschließlichen Idee von Wirklichkeit.
Im Zusammenhang mit „Mouse on Mars“-Collagen taucht auch bei Kritikern immer das Wort „Gefrickel“ auf. Ist das ein Schimpfwort für dich? Das klingt ähnlich nett wie „Mucker“.
Genau, das mag ich nicht. Das hört sich so selbstgenügsam an. Mir geht es um den Perspektivwechsel. Zack-zack. Ich war ja in der Schule komplett vom Dadaismus besessen. Das habe ich als Ziel angegeben, in der 10. Klasse.
Dadaist als Berufswunsch?
Ja. Da kann ich mich sehr gut daran erinnern, dass meine Deutschlehrerin sagte, dass gehe nicht, und ich solle mich mal zusammenreißen. Und ich antwortete, warum sollten wir nicht Dadaist werden können? Sie bringen uns das bei, als Literaturform, als Kunstbewegung. Vielleicht ist dieser Deutschlehrerin zu verdanken, dass aus mir ein Collagist wurde.
Kein Punk also?
Dazu war ich zu jung. Natürlich war Punk vorhanden. Ich bin aber eher dem Absurden verfallen. Beim Punk, New Wave, New Romantic gab es schon die ersten Industrial Sounds, das Collagierte. Das war eine interessante Zeit. Ultra produktiv und durcheinander und miteinander. Holger Czukay von Can hing später bei uns in Köln im A-Musik-Laden (Anm.d.Red.: Werners Label in Köln) ab, Sonic Youth kamen zu uns zum Plattenkaufen. Mit Tortoise und StereoLab sind wir immer noch eng verbunden. Das ist wie ein großes Kollektiv, das sich über diese Welt spannt. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Schlagzeug und Percussion habe ich dann wirklich gelernt.
Was ist für dich Musik?
Ein Teil unserer akustischen Umwelt.
Was langweilt dich an Musik, welche fasziniert dich?
Jedes Musikstück ist nur ein Modell im Kopf von unendlich vielen möglichen Konstellationen. Die Idee, dass Musik fixierbar wäre, macht für mich wenig Sinn.
Magst du Techno? Trance-Zustände? Eher das Rauschhafte oder Nüchterne?
Ich glaube nicht, dass es den Zustand der kompletten Nüchternheit gibt. Der Zustand der größten Rauschhaftigkeit und der der größten Nüchternheit fallen ineinander. Ich halte es auch da mit einem dynamischen Zustand, durch die ich mich so durchnavigiere.
Bei elektronischer Musik denkt man ja landläufig heutzutage an Abschalten. Bei dir muss man aber hochgradig anschalten, um mitzuhalten.
Ich brenne eher, kann aber auch ziemlich träge sein.
Wolltest du nie einen Drei-Minuten-Hit schreiben?
Ich habe eine Menge Drei-Minuten-Hits geschrieben. Manche sind sogar sechs Minuten lang. Aber wenn man die nicht in den Charts wiederfindet, ist das nicht meine Schuld.
Du kannst es?
Das ist ja das Schöne: Hits kann jeder. Ein guter Hit ist ein Moment, wo alles außer Frage steht, je einfacher, desto besser.
Und dieser Moment hat dich nie interessiert?
Es gibt gewisse Widerstände, Dinge zu Ende zu bringen. Wir versuchen immer, die Musik auf Platten maximal weiterleben zu lassen. Es liegt auch außerhalb unserer Verantwortung, was im Jahr 2020 ein Hit ist. Vielleicht werden unsere Stücke ja noch irgendwann Hits.
Welche Rolle spielt der Live-Moment? Der Zufall? Die Improvisation?
Ich habe das Livespielen über den Zufall, über die Improvisation schätzen gelernt. „Mouse on Mars“ war für mich von Anfang an ein Studio-Experiment, eine Werkstatt mit Klang. Das Studio war das Instrument. Und als es dann auf die Bühne ging – das war für mich eine ganz harte Zeit. Das war für mich wie Bundeswehr. Da wurde ein Stück weit mein Ego gebrochen. Aber das hat mich zu neuen Einsichten geführt. Und mittlerweile gehe ich wahnsinnig gerne auf Tour. Anfangs war’s schrecklich. Ich war nur auf dem Boden, verkrümelt.
Du siehst dich als Klangforscher. Stirbt der Klang aus oder vermehrt er sich?
Er nervt schon, dieser Instantkonsum, dieses sofort auf die 12, ohne den Raum dazu zu rechnen, durch den neue Reflexionen möglich wären.
Welcher Tradition fühlst du dich zugehörig?
Als ich anfing, Musik zu machen, wirklich gar keiner. Ich wollte mit nix etwas zu tun haben. Mit zunehmendem Alter merke ich – klar auch bedingt über die Sozialisation bei A-Musik, durch Luc Ferrari zum Beispiel – , dass die elektro-akustische französische Musik großartig ist, dazu Dub, Charles Ives, Debussy, ich mag den verdrehten Bluegrass von John Fahey, Eliane Radigue – tolle zeitgenössische langsame Kompositionen, Footwork, Pop bisweilen. Klar, Stockhausen, Xanakis. Ich mag im Kerne Musik, bei der man merkt, dass da jemand ganz stark an einer eigenen Idee gearbeitet hat, einem eigenen Entwurf von Struktur, Zeit, Frequenzbild.
Taugt das auch für eine hörende Mehrheit?
Sowieso, na klar. Das ist ja absolut nicht elitär gedacht. Wir wollen ja nicht nur bestimmte Codes durchspielen, die für klar definierte Gruppen stehen. Ich fand immer wichtig, dass alle meine Musik hören können, dass meine Oma sich eine „Mouse on Mars“-Platte anhören und kommentieren kann.
Und was sagte sie?
Jooah, versteht sie nicht so ganz, findet sie ein wenig verrückt, aber auch farbenfroh und fröhlich.
Ist das Avantgarde oder Normalität?
Die Avantgarde ist Normalität. Eine Erfahrung haut mich immer wieder um: Du kannst den äußersten Zipfel dieser Welt besuchen, dann taucht einer auf, bei dem sich herausstellt, dass er „Mouse on Mars“ kennt. Selbst wenn ich ab sofort keinen Ton Musik mehr machen würde, würde ich sagen: Wow, das war echt ’n Trip. Und so wie es aussieht, geht es auch noch ein Weilchen weiter.
„Mouse on Mars“ wird 25. Was hat sich in diesen Jahren geändert?
Das Interesse und die Begeisterung für die unzähligen Möglichkeiten im Umgang mit Sound sind ungebrochen. Plattenmachen ist vielleicht nicht mehr ganz so essentiell. Wir beschäftigen uns mehr mit Aufführungen, Verräumlichung von Klang, Robotik, wir haben „MoMinstruments“, ein Label für Musiksoftware, gegründet, die Arbeit im Studio hat sich weitestgehend auf den Rechner verlagert. Wir kollaborieren mehr, schreiben für Orchester und Ensembles und interessieren uns für Klang in wissenschaftlichen Zusammenhängen.
Überhaupt ist 2019 ein Jahr für Freunde von runden Terminen. Du selbst wirst 50. Macht dieses Ereignis etwas mit dir?
Die Zeit krümmt sich und du dich mit ihr. Man fühlt sich eigentlich innen gleich, aber wirkt nach außen älter. So recht versteh ich das Älterwerden auch nicht.
Dein größter Wunsch?
Letzte Woche hatte ich noch einen. Wie lautete der noch mal?
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Jan St. Werner
Jan St. Werner, 1969 als Sohn zweier bildender Künstler in Nürnberg geboren, machte in Bamberg Abitur und startete 1993 nach einem Intermezzo in München von Köln aus seine internationale Karriere als Mitbegründer des innovativen wie Maßstäbe setzenden Elektro-Duos „Mouse on Mars“, das mehr als ein Dutzend Alben veröffentlichte und weltweit Konzerte gibt (zuletzt etwa auch in der Hamburger Elbphilharmonie). Werner ist auch mit Soloprojekten unterwegs, sucht in seiner Arbeit stets auch via Installation und Arbeitsteilung den Austausch mit der Bildenden Kunst.
Seit 2107 leitet er an der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste die Projektklasse „Interaktive Medien / Dynamisch Akustische Forschung“, die erste ihrer Art an einer deutschen Kunsthochschule. Vorher trat er schon am weltweit bekannten Massachussets Institute of Technology, kurz M.I.T. in Boston als Lehrer in Erscheinung, ebenso an der Folkwang-Schule in Essen und der New York University Tisch School of the Arts in Berlin. Werner lebt mit Frau und Tochter in Berlin.
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FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
ist als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat verantwortlich für das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale – Formate, die curt journalistisch begleitet. Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig.
Studium der Altphilologie, Englisch, Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.
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