Tibors Kopfkino #07

MONTAG, 4. MäRZ 2019

#Film, #Kino, #Kolumne, #Tibor Baumann

Der Nürnberger Regisseur und Autor Tibor Baumann bewegt sich zwischen roten Teppich und grünen Wiesen –  und schreibt für uns, worüber er am liebsten nachdenkt: das Wichtige am (Film) Festival und was wichtig ist nicht aus den Augen zu verlieren. Also, Augen auf den Film der im Kopf abläuft und aus den Augen herausleuchtet. Denn einleuchtend sollen die Geschichten sein, nicht die Menge an gewonnen Preisen. Und daher heute im Programm: Happy (am) Ende des Teppichs oder: Oskar, mach dir die Latschen sauber, bevor du drauf steigst!

Was für die Stars das (BREAKING) Bad in der Menge ist und für die Filmliebhaber das Schwimmen in den vielen schönen Bildern, ist für die Heranwachsenden wie uns harte Arbeit. Vom Empfang zum Gespräch, von der Party zurück zum Meeting und alles garniert mit Hoffnung und Drinks … die Festivalwoche der Berlinale lässt eine ganze Generation von Filmemacher*innen vollkommen desolat, auf Entzug und auf körperlich-seelisch Kombinationsdetoxing angewiesen zurück. Rote Augen wie AMERICAN WEREWOLF, das Tausend-Yard-Starren wie Private Paula in FULL METAL JACKET und hektisch auf den Rausch hoffend wie ein TRAINSPOTTING Sick Boy - wir freuen uns auf nächstes Jahr!

Und nach einer Woche Erholung sieht man sich dann desolat und etwas weichgeklopft die Oscars an – oder, wenn es ganz hart war, am nächsten Morgen, mit halben Auge die Liste der (glücklichen oder in jedem Fall glücklich strahlend) Bepreisten.

Aber verzieht sich der Rauch wie Pulverdampf um das schöne Halbblut im LETZTEN MOHIKANER, dann bleibt da trotzdem etwas zurück. Etwas, dass man nicht mehr wegbekommt, wie ein Traum aus 1001 NACHT. Aber ob nun DER KLEINE MUCK oder ALADIN (in dessen Neuaufguss übrigens demnächst Will Smith blau angemalt als Dschinie gezeigt wird) – sie kennt sich am besten mit den Teppichen aus: Auf drängen von Bela habe ich seit letztem Sommer nicht locker gelassen. Sehr verkrampft wie ein ungeschickter Bill Murray am GROUNDHOG DAY habe ich Larissa eingeladen. Wir sind schön essen gegangen wie SUSI & STROLCH, waren im Kino wie Schönheit und Monstrum in SHAPE OF WATER und landen dann wie die BARFLY an den Tresen zwischen Lieblingsdrinks und geflüstertem Lächeln.
Das ist die Erholung, die wir nach diesem Trubel brauchen. Und wie wir dann so nach Hause zu mir spazieren, eng umschlungen, wie auf dem nachgeahmten Cover in VANILLA SKY, da fällt mir auf, dass etwas anders ist an ihr. Irgend etwas, dass mir im Sommer und bei der zufälligen Begegnung an der Curry-Bude (TK #1 & #3) noch nicht aufgefallen ist.

Als wir bei mir zu Hause ankommen sind, ziehe ich meine Stiefel aus und nehme allen Mut zusammen, um mich hoffentlich küssen zu lassen – und sie tritt mir auf die Füße. Mit ihren Stiefeln. Natürlich aus Versehen. Und es ist weich. Ich runzle die Stirn und hebe ihren Fuß hoch und wir kichern betrunken und dann pruste ich und sie auch und sie sagt: „Ich dachte mir, er ist so weich, und es war so schön auf ihm – wenn man das Anstrengende ein bisschen weglässt.“ Ich betrachte den roten Teppich, den sich Larissa an die Sohlen der Stiefel geklebt hat. Jetzt müssen wir heftig knutschen. Bestes Detoxing ist ja bekanntlich Bewegung.

VON A WIE „ASTREINE FASERN“ BIS Z WIE „ZUVERLÄSSIGES KNÜPFMUSTER“ - OHNE FILM KEIN FESTIVAL UND OHNE TEPPICH KEINE STERNCHEN: Das Warten hat ein Ende und wir bekommen, was jedem Marvel-Fan schon so lange unter den film - nein, feministischen Nägeln brennt: CAPTAIN MARVEL (R: Boden/Fleck) macht sich ab 07.03. auf, um später im „Endgame“ das Blatt  für die guten Jungs und Mädels zu wenden. Ebenso weiblichen Erstkampf beobachtend, zeigt Mimi Leder in DIE BERUFUNG (KS: 07.03.) den Kampf der Geschlechter in der Gerichtsbarkeit und wird sich hoffentlich des schnulzigen Tons des Trailers ein bisschen entledigen.

Das absolute Geschenk mit ebensolchem Anspruch an der Fragestellung an die Rollenbildern – wie Regisseur Jonah Hill auf der Berlinale betonte – kommt nun MID90s (KS:07.03) in die Kinos. Sich eher märchenhaften Tönen, aber nicht minder nostalgisch anfühlenden Momenten widmend, kommt DER LOKOMOTIVFÜHRER, DER LIEBE SUCHTE (R: Veit Helmer, KS:07.03.) ganz ohne Dialoge ins Kino.

Die amerikanischen Legenden haben mit WHITE BOY RICK (R: Yann Demange, KS:07.03.) - die Geschichte eines 15-Jährigen und seiner Gangsterkarriere Mitte der 80er – und mit BEALE STREET (R: Barry Jenkins, KS: 07.03) – nach dem gleichnamigen Roman von James Baldwin, der sich dem Zusammenhalt einer afroamerikainschen Familie Mitte der 70er -, Hochkonjunktur in den Kinos. Da darf der weiße Western natürlich nicht fehlen, dachte sich Jaques Audiard und engagierte mit Reilly und Phoenix zwei großartige Darsteller für seinen tragisch-komischen Wildweststreifen THE SISTERS BROTHERS (KS:07.03.).

Jesper Ganslandt versucht mit seinem STELL DIR VOR DU MÜSSTEST FLIEHEN (KS: 07.03.) einen Perspektivwechsel herzustellen und lässt seinen schwedische, vierjährige Protagonistin mit ihrem Papa vor einem drohenden Bürgerkrieg fliehen. Ob das neue Perspektiven eröffnet, muss sich zeigen – bleibt zu hoffen, dass ein paar auf der rechten Spur Verirrte den Film sehen.

Ob der Perspektivwechsel gelingt, muss auch DESTROYER (R: Karyn Kusama, KS:14.03.) beweisen. Sie reiht sich ein in das neue, weibliche Bewusstsein des Kinos mit einem knallharten Gangster/Cop/Drama und verspricht auch noch eine zu voller Größe auffahrende Nicole Kidman.
Ein ebenso spannendes Versprechen ist Jordan Peeles US (KS. 21.03.), der nach seinem brillanten GET OUT den zweiten Teil seines Horror-Tryptichon vorlegt, dass sich dem Rassismus widmet. Und alle hoffen auf den roten Teppich – be part: große Stars, gerade erwachenden Sternchen und jene, die einfach auf der Welle mitreiten, bis die weiße Gischt am Traumstrand zum Erliegen kommt.

Die Berlinale, die dieses Jahr den so prägenden Herrn Kosslick entlässt, war geprägt von neuer Aufbruchstimmung, aber auch von schützenswerter Nostalgie gegenüber der eigenen, komplizierten Zugänglichkeit. Trotzdem können sich die Ergebnisse und Gäste auch von diesem Jahr sehen lassen. Ein würdiger, politischer Abschluss – nun bleibt die Spannung, zu welchen Ufern der Bär aufbrechen wird!
Währenddessen hat am Ende die Academy den letzten Monat abgeschlossen – ohne Host und sich dem berechtigten Protest der Künstler, die während der Werbepausen bepreist werden sollten, beugend. Überraschungen hat die Academy in diesem Jahr nicht produziert und ist insgesamt eher zu einer der alten Glamour-Shows zurückgefallen, auf deren Vorbild sie errichtet wurde. Merke: Wer nicht gewinnt ist auch ein Statement – z.B. der verdrehte Blick von Von Donnersmarck ohne Preis und der erste (Danke!) von Viggo Mortensen, den die Academy einfach nicht ehren will (Why?).

Aber für roten Teppich und große Künstler muss man nicht nach Berlin oder L.A. Nürnberg, mach dich schick!:

Vom 9. bis 17. März geht das FILMFESTIVAL TÜRKEI/DEUTSCHLAND in die 24. Runde. Da kommen FilmemacherInnen vom Istanbuler Umland bis Nürnberger Burgberg zusammen. Die Gala am 09.03. ist immer wieder ein Beweis dafür, dass man sich als NürnbergerIn einfach zu oft unter den sprichwörtlichen Scheffel stellt, denn hier wird Filmgeschichte geschrieben und honoriert. Illustre Gestalten wie Fatih Akin hatten hier ihre ersten Gehversuche, bewährte Größen, wie Hanna Schygulla wurden hier ausgezeichnet. Filme zwischen asiatischer und mitteleuropäischer Sehgewohnheit bringen hier zusammen, was der Auftrag des Kinos ist: ein Dialog. Und schafft es so, politisch und trotzdem unterhaltend zu sein. Auch in diesem Jahr haben die OrganisatorInnen eine bunte Mischung aus türkischem und deutschen Kino zusammengestellt. Ernste Themen wechseln sich mit humorvollen Betrachtungen ab, wichtige Klassiker und junge Werke können hier nebeneinander bestehen; die ehrliche Kommunikation und Darstellung der gemeinsamen und der unterschiedlichen Probleme und filmischen Aufarbeitungen. Aus Jury-Erfahrung kann ich übrigens sagen, dass auch die Kurzfilme den Besuch wert sind. Also: Rausgeputzt und auf den roten Teppich im schönen Nürnberg!

Aber AUCH ZWERGE HABEN KLEIN ANGEFANGEN und deshalb übt sich früh, wer später mitspielen will. Das 31. MITTELFRÄNKISCHE JUGEND FILMFESTIVAL entrollt seinen Teppich vom 15. bis 17. März im CineCittà.

Und für diejenigen, die sich an ein paar ältere Teppiche erinnern wollen, bietet Nürnberg natürlich auch genau das Richtige: THE RETURN OF THE JEDI wird in der Meistersingerhalle am 7. und 8. März mit Live-Orchester den Charme der alten Tage versprühen. Also, schön mit dem Laserschwert ein paar Stullen schmieren und sich auf die Reise in eine fremde Galaxie machen.  Da bleibt dieses schöne Gefühl des roten Teppichs dann zwischen den Zähnen hängen und murmelt einem noch wochenlang im Kopf herum, Sternchen blinken aus unseren Augen und es bleibt mir nur einen guten Freund zu zitieren: „Bleib nicht auf dem Boden, flieg lieber auf dem Teppich davon“ (A., Teppichhändler)

www.tiborbaumann.de

 




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