Softporno aus der Goldkehle - Roland Kaisers Konzert
WIR STARTEN DAS NEUE JAHR MIT EINEM RÜCKBLICK:
Samstag Abend, 20 Uhr, Arena (Nürnberg): Roland Kaiser ruhlt! Ich bin kein Experte, aber die Musik kommt mir zeitgemäß vor: da gibt es Spuren von Ska, harte Gitarren-Riffs, Andeutungen von Techno-Stakkato und Folk-Geschrammel. Sprechgesänge sind allerdings nicht des Kaisers Ding – ich bin da nicht traurig darüber, im Gegenteil.
Die Band ist hochkarätig, erfahren, makellos – und hat offensichtlich maximalen Spaß bei der Arbeit, eine Freude, die zwischen Publikum und Bühne hin und her hüpft wie die Funken eines kalifornischen Waldbrandes. Kurz: Das jahrelange Üben hat sich gelohnt!
Bloß halt die Texte! »Mensch, Rolli«, möchte ich ihm sagen. »Klar, das ist deine Masche, das funktioniert seit Jahrzehnten, aber mal unter uns: In deinem Alter – findest du das inzwischen nicht auch irgendwie pubertär?« Aber so sind die Lieder eben: schlüpfrig oder wie der Kaiser persönlich auf leicht selbstironische Art verkündet, fast immer erotischer Art. Ein oder zwei Ausnahmen (das obligatorische »Bis zum nächsten Mal«, das das Ende jedes Konzerts markiert) bestätigen die Regel. In einem Wort: Softporno aus der Goldkehle. Das Frauenbild – wenn es denn überhaupt Frauen sind, die besungen werden – im Wesentlichen auf körperliche Eigenschaften reduziert, so dass sich jede (und jeder!) mühelos identifizieren kann: mit der »Nähe«, den »schwarzen Augen«, der »heißen Nacht«, den »verbotenen Sünden«, dem »Kelch der Lust« oder der »Sehnsucht nach deiner Wärme« und so weiter und ohne absehbares Ende so fort. Meinungen und Fähigkeiten, komplexe Charaktere oder die Vielschichtigkeit des Zwischenmenschlichen haben hier keinsterlei Bedeutung, ein Diskurs zu überkommenen Rollenbildern von Frau und Mann nicht die geringste Chance – und sind daher eben kein Hindernis, so dass sich alle unmittelbar angesprochen fühlen können. Den Ehepaaren, die die überwiegende Mehrheit des Ü50-Publikums ausmachen, taugt's grad so gut.
Denn ohne jeden Zweifel: Die Viertausend oder mehr Menschen in der fast vollbesetzten, im Innenraum komplett bestuhlten Arena sind begeistert. Meine zwei (jugendlichen) Begleiter verlieren als erste die Contenance und beginnen spitze Schreie auszustoßen, doch es dauert nicht lange, dann klatsche auch ich mit (soweit es geht im Takt). Noch vor dem Zugabenteil (nach immerhin über zwei Stunden dichtem Programm) brechen die Dämme, die Menschen strömen nach vorne, entzünden elektronische Sternleinspeier, zücken die Handykameras und machen voneinander Selfies. Paare tanzen Disco-Fox, verzücktes Kreischen im Sekundentakt und aus allen Richtungen.
Kaiser selbst ist ein Gentleman, durch und durch. Anzug, Krawatte, Einstecktuch: sitzt, passt, wackelt und hat Luft. Er tritt den Beweis der Udo Jürgen'schen These an, wonach mit sechsundsechzig Jahren noch lange nicht Schluss sei, und führt ihn erfolgreich zu Ende. Kaisers Stimme ist kraftvoll wie eh und je, absolut sicher, eindeutig, unverwechselbar und so inbrünstig, als erlebe er seine eigene Musik gerade zum ersten Mal. Seine Kunst ist über jeden Zweifel erhaben – und er zeigt dabei mehr Respekt für seine Mitmusiker als so manch ein Rock'n'Roll-Blödel, der sich selbst für selbstverständlich hält. RK lässt seinen Musikern Raum, gesteht ihnen sogar einen eigenen Song zu (»Rocking all over the world«), dem er vom Bühnenrand aus zujubelt, er nennt der Reihe nach ihre Namen und bedankt sich immer wieder.
Auch hierin hat sich Kaiser neu erfunden: Vierzehn Köpfe macht das Orchester aus, davon sechs Frauen. Für die Menschen im Saal ist nach Kaiser, und neben dem Sänger und Gitarristen Billy King (ob es da verwandtschaftliche Connections gibt? Hahahaha!), quasi der zweite Star des Abends die Akkordeonistin und Saxophonistin Tina Tandler, die an exponierter Stelle in die Songs eingreift. Meine Mutter würde sagen: »Da haben sich zwei gefunden!«
Es ist diese Wertschätzung, deren wohliger Wärme sich zu entziehen praktisch völlig unmöglich ist: RK mag sein Publikum, er bedankt sich bei allen, die gekommen sind. Sogar ich kriege von seinem Dank ab, obwohl er das gar nicht müsste. Er tut es trotzdem. Lässt uns wissen, dass er ohne uns ein kümmerliches Nichts wäre. Genau wie ohne seine Band, ohne seine Familie, ohne die Ärzte, die ihm ein zweites Leben schenkten – ohne all die anderen, vor denen er sich am Ende der Show verbeugt, da er ohne sie schlichtweg nicht existieren würde. Dass RK sich dessen bewusst ist, meine ich in jedem Augenblick zu spüren, es hat sogar eine Art Johnny-Cash-Moment. Seine Demut ist es, die diesen abgebrühten Profi zu einem total sympathischen Mitmenschen macht.
Am Ende minutenlange stehende Ovationen, der Kaiser winkt zum Abschied und trägt all die Blumen, die ihm gereicht wurden (von Unterwäsche keine Spur), höchstselbst im Arm Richtung Backstage. Ein wahrhaft großer Star, jede Minute seines Auftritts ein intensives Erlebnis und insgesamt ein außergewöhnlicher Abend, der selbst den verkniffensten Kritiker nicht kalt lässt.