Dem Egers sei Welt #68: Sommer

MITTWOCH, 5. DEZEMBER 2018

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.

Als es im August so anhaltend heiß gewesen ist, konnte ich nur noch im Schatten liegen und lesen. In der Zeitung stand, dass in Amerika einer Pläne im Internet veröffentlicht hätte, mit denen man sich schussfähige Waffen aus dem 3D-Drucker ausdrucken könne. So etwas Wunderbares! Ich sage es ganz offen, ich hätte auch gern einen Revolver. Oft habe ich Lust, einmal bei einem Auftritt als sogenannter Komiker in die erste Reihe hinein zu schießen, wenn nicht gelacht wird. Wenn hinten einer sitzt und stumm und blöd vor sich hinglotzt, kann es mir egal sein. Dann muss ich sein angeödetes Antlitz ja nicht ertragen. Dem Techniker sage ich immer, dass der Saal komplett abgedunkelt sein soll, wenn ich auftrete, damit ich die gelangweilten Gesichter nicht sehen muss. Ich bin ja nicht lustig. Trotzdem habe ich den Drang, dass die Leute auch dann lachen sollen, wenn ich etwas Unlustiges sage. Schon im Kindergarten habe ich Mädchen und Buben die Arme auf dem Rücken verdreht, wenn ich etwas Witzloses gesagt habe. Manchmal hat nichts anderes als ein leichtes Würgen am Hals geholfen, bis ich ihr Gelächter vernommen habe. Meine Mutter hat immer gelacht, wenn ich etwas gesagt habe. Meine Mutter wusste immer, dass mein Glück unendlich ist, wenn sie mich auslacht. Ich leide sehr, wenn ich es heute mitansehen muss, wenn einer stumm und gelangweilt meinen Ausführungen beiwohnt. Ich glaube, wenn ich einem von denen in das Gesicht hineinschieße, dann wird sich der Rest vom Saal besinnen. Dann fangen die zum Lachen an, weil sie sonst fürchten, auch erschossen zu werden. Das wird der Stimmung im Saal gut tun. Davon gehe ich aus.

Aber dieser Heckmeck mit dem Waffenbesitz in Deutschland ist ja grausam. Ich bin einmal in einem Schützenverein gewesen. In einem dunklen Keller bin ich gestanden und habe in rustikaler Atmosphäre gegen die Wand geschossen. Neben mir stand ein stiernackiges, bildungsfernes Individuum, das in kürzester Zeit das Taschengeld einer zehnten Jahrgangsstufe einer Gesamtschule aus dem Revolver hinausschoss. Seine ganze inwendige Blödigkeit hat der Mensch bei seinem nutzlosen Geballere heraustranspiriert. Ein unerträglicher Gestank ist das gewesen, und unerträglich war auch, was vorne aus seinem Mund herausgekommen ist. Ich habe das nicht ausgehalten. Ich bin nie wieder in den Schützenverein gegangen. Aber so bekomme ich keine Waffenbesitzkarte in Deutschland. So kann ich niemandem auf legale Weise in den Kopf schießen. Aber im Sommer habe ich gedacht, jetzt bekommst du deine Chance, nach der du dich schon so lange sehnst. Du druckst dir die Pistole aus und dann wirst du künftig diejenigen im Publikum, die ohne jegliche Fröhlichkeit und das geringste Einfühlungsvermögen sind, standrechtlich erschießen.

Dem Mann, der die Waffendruckpläne veröffentlicht hat, sagt man nach, dass er ein Anarchist sei. Der wollte anscheinend dazu beitragen, dass die satte, träge Welt der westlichen Industrienationen ein bisschen belebt wird. Und zum Vorwurf darf man es dem Mann nicht machen, dass so ein ausgedrucktes Exponat beim vermeintlichen Abschuss auch den Schützen selbst stark verletzen kann. Das ist doch konsequente Anarchie. Der amerikanische Präsident war begeistert von der ausgedruckten Pistole. Der schießt ja selbst gern mit seiner selbstgebastelten Sprache in Menschenansammlungen hinein und findet auch nichts Verwerfliches an der Geisteshaltung, aus der heraus man z.B. mit voll Karacho in eine Menschenmenge hineinfährt. Aber es wurde dann doch nicht gestattet, dass der Anarchist seine Druckpläne weiterhin veröffentlichten darf. Die Waffenlobby war nämlich nicht begeistert. So etwas würde denen doch das Geschäft vermiesen. Und ehrlich gesagt: Wenn man die Wahl hätte, durch die Kugel einer original „Smith and Wesson“ Qualitätshandfeuerwaffe mit Unternehmenstradition seit 1852 ins Gesicht geschossen zu werden oder mit einem lumpigen Plastikdingens, das man im Hochsommer wahrscheinlich nicht aufs Fensterbrett in die Sonne legen darf, weil es sonst zerschmilzt wie ein Spaghetti-Eis, man wüsste doch, wie man sich entscheiden würde. Allein vom Sound her ist doch so ein Plastikpistölchen eher bescheiden. Und wenn es dann nur „Plopp“ macht in dem Moment, in dem ich das letzte Mal die Sonne sehe, ist das doch auch Scheiße.

Letzten Endes bleibt das Dilemma bestehen. Auf legalem Weg komme ich nicht zu einer Schusswaffe. Das Publikum sitzt weiterhin in meinen Vorstellungen in der Hoffnung, zumindest an einigen wenigen Stellen lachen zu können und scheitert. Mir bleibt es verwehrt, dem Publikum zu helfen, indem ich in die erste Reihe schieße. Die Situation ist mehr als fatal. Neulich habe ich das Tagebuch meiner verstorbenen Mutter gefunden. Die Lektüre darin hat meine Situation zusätzlich verschlimmert. Am 2. Dezember1978 schreibt sie: Mein Sohn ist von einer geradezu tragisch zu nennenden Ernsthaftigkeit geplagt. Immer versucht er, sich richtig zu verhalten und tunkt alles in Schwermut, was er in die Finger bekommt. Jedem Befehl gegenüber ist er hörig und befolgt blind alles, was man ihm aufträgt. Als ob dies nicht schlimm genug wäre, scheint es mir, als wolle er durch seine Traurigkeit sein Gegenüber zu Heiterkeit veranlassen. Vielleicht liegt diesem Verhalten eine schlimme Geisteskrankheit zu Grunde. Wie dem auch sei, ich schenke ihm so oft ich kann ein Lachen auf seine freudlosen Auslassungen. Er entzückt sich dann immer sehr an sich selbst. Anschließend mache ich mir dann stets Vorwürfe. Was ist, wenn ich so das Kind in den tiefen Abgrund einer maßlosen Selbstüberschätzung hinunterstoße? Vielleicht bildet er sich deswegen ein, Komiker werden zu müssen und verwirkt sich so, jemals auch nur für einen Moment froh zu werden.

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WIR GRATULIEREN DEM NEUEN KULTURPREISTRÄGER 2018 DER STADT FÜRTH –
UNSEREM KOLUMNISTEN EGERS!

Mit FAST ZU FÜRTH ist Matthias am 05.12. in der Katana in Nürnberg zu sehen und hören. Und am 12.01. in Wendelstein in der Jegelscheune als Egersdörfer und Gankino Circus in „Die Rückkehr des Buckligen – Geschichten aus 1001 Nacht!“ in einer öffentlichen Probe. curt-Tipp, beides ansehen! Alle Termine unter www.egers.de.
 




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