Claudias Kinoempfehlungen im Dezember/Januar
#Casablanca, #Cinecitta, #Claudias Welt, #Kino, #Metropolis
Alles schon dagewesen? Meist ist man sicher, dass es alles schon gab im Kino. Zum Jahreswechsel 2018 widerlegen das gleich fünf Filme. Die sind so ungewöhnlich, dass ich hier nur rumstottern kann. Weil ich sowas noch nie gesehen habe.
UNDER THE SILVER LAKE
AB 06.12. // CASABLANCA + CINECITTA
What the fuck? Mit diesem Satz muss diese Kritik losgehen, denn jeder wird ihn denken, während er bei Sams Spurensuche zuschaut. Er ist ein abgebrannter Typ, der sich in seine Nachbarin verliebt. Sie ist so ein Mädchen, das auch in der Wohnung einen Sonnenhut trägt und immer was zum Kiffen hat. Doch die Verabredung am Tag nach dem vielversprechendem Beginn platzt: Sie ist weg – und er deutet fortan Zeichen. Die ihn sicher zu ihr führen. Dabei kommt Sam in UNDER THE SILVER LAKE durch die skurrilsten Locations von Los Angeles. Dieser Film ist anfangs faszinierend. Wo ist der Zusammenhang zwischen toten Millionären und aufgeschlitzten Eichhörnchen? Hängt der Angriff eines Stinktiers mit Sams Mietrückstand zusammen? Sinnfreie Fragen zu einem sinnfreien Ausflug in die Popkultur, in der der Regisseur Halt für seine verlorene Seele sucht. Ein aussichtsloses Unterfangen? Sam jedenfalls stolpert mehr als dass er sucht, will eigentlich nur vom falschen ins richtige Leben. Wird er die Puzzleteile zusammenfügen können, oder bleibt es bei einer Anhäufung von verschwörerischen Interpretationen? Eine durchgedrehte Freakshow.
GEGEN DEN STROM
AB 13.12. // CASABLANCA + CINECITTA
Was für eine One-Woman-Show! Island ist immer special, ob in der Musik, im Film oder beim Fußball. Der spröde, aber ungeheure Charme von GEGEN DEN STROM ist größer als das ganze Land. Der Regisseur wurde in Cannes bejubelt und hat schon mit seinem Debüt „Von Menschen und Pferden“ seine unglaubliche Handschrift gezeigt, indem er die Neugier von Nachbarn dokumentierte. Jetzt schickt Benedikt Erlingsson Chorleiterin Halla (Halldóra Geirharðsdóttir) auf eine Ochsentour. Hinter der Hausfrauenfassade ist die 50-Jährige (!) Umweltaktivistin, die mit Sabotage gegen die Aluminiumindustrie kämpft. Die Frau, deren Namen ich nur einmal schreiben werde, schleicht durch die Gegend wie Miss Marple und klettert wie Sigourney Weaver in ihren besten Zeiten. Dazu gibt es filmische Spielereien, die wieder Lust aufs Kino machen, ähnlich wie letzten Monat „Leto“. Mit ihrer starken Mimik und ihrer stillen Entschlossenheit verleiht die Schauspielerin ihrem wütenden Tun eine poetische Note. Dennoch geht es darum, ob sie sich für eine private oder die politische Passion entscheidet. Ein seltsam spannender Film, der im Original den viel passenderen Titel „Woman at war“ trägt.
DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME
AB 20.12. // METROPOLIS
Und wieder ein schlimmer Titel, der im Original perfekt war. Wer denkt, dass dieser Film eine seichte, leichte Liebesgeschichte ist vom Hausmädchen und ihrem Herrn, liegt falsch. Ich gestehe, ich dachte das auch. Und da saß ich und wartete, dass im schönen Mumbai die Funken sprühen zwischen Ratna und Ashwin, der gerade seine Hochzeit platzen ließ. Doch der sieht Ratna als das, was sie ist: sein Dienstmädchen. Dass sie Mode-Designerin werden möchte, findet er ganz putzig, aber er weiß, dass sie keine Chance hat. Ratna ruht in sich selbst und redet mit ihrem Chef auf Augenhöhe. Sie leben in einer Wohnung in zwei Welten und diese nimmt die indische Regisseurin ernst. Denn Gefühle muss man hier mit dem Aufsatzmikroskop suchen. Das ist auch logisch, denn draußen wird dafür keiner Verständnis haben und davon handelt der zweite Teil des Films, weit weg von jeglicher Bollywood-Romantik. Wahrscheinlich die stillste aller Liebesgeschichten, die im Original „Sir“ hieß. Ein brillanter Titel, wie jeder bestätigen wird, der den Film zu Ende gesehen hat.
DIE POESIE DER LIEBE
AB 20.12. // CASABLANCA
Für mich ganz klar der Film des Monats – bevor ich GEGEN DEN STROM und DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME gesehen hatte. Und doch bleibt es dabei, dass DIE POESIE DER LIEBE großartig ist, auch wenn in diesem Monat viele auf dem Treppchen stehen. Es beginnt mit einem Begräbnis. Ein bekannter Schriftsteller ist gestorben und ein junger Journalist will über ihn erzählen. Soweit so unspannend. Doch dann zieht Witwe Sarah (eine Sensation: Doria Tillier) uns in die 45 Jahre Beziehung mit Victor (Nicolas Bedos), den sie sich ausgesucht hat. Er war keineswegs angetan. Als sie ihn kennenlernte, konnte er kaum mehr stehen, doch sie fand ihn umwerfend und wusste, fortan wird sich ihr Leben um ihn drehen. Nichts an dieser Beziehung ist gut und doch liefert Sarah ständig plausible Erklärungen, warum es weitergeht. Witzig und unbarmherzig geht es durch die Jahrzehnte; mir klappte 5 bis 15 Mal die Kinnlade runter, aber ich hab sowas noch nicht gesehen. Da ich Doria Tillier sofort glaubte, dass sie ihre Geschichte erzählt, hat mich das, was kommt, so umgehauen. Realistisch betrachtet, ist das alles too much, aber was für ein Sog! Am Drehbuch schrieb die Schauspielerin übrigens mit.
DREI GESICHTER
AB 26.12. // CASABLANCA + CINECITTA
Ein gruseliges Video schockt die iranische Schauspielerin Behnaz Jafari. Auch ihr guter Freund, der Regisseur Jafar Panahi, hat es gesehen und es ist klar, dass sich die beiden auf die Suche nach dem Mädchen machen müssen, das die Videobotschaft geschickt hat. Hat sie sich umgebracht? Eine Aktion wie diese wäre bei uns vollkommen unrealistisch, im Norden Irans könnte das tatsächlich klappen. Zwei aus der Metropole, am Puls der Zeit, treffen auf Dorfgemeinschaften und Tradition. Moment, wer sitzt da am Steuer? Jafar Panahi? Der iranische Regisseur, der „Taxi Teheran“ gedreht hat und nach Deutschland schmuggeln ließ. Der Berlinale-Gewinner ging bei uns ordentlich durch alle Medien, denn er wurde zu Hause nicht nur verhaftet, sondern auch mit einem Berufsverbot belegt. Dennoch gibt es ein neues Statement von ihm. Sein kleines Roadmovie klopft gegen Türen und gibt sich bescheiden. Doch auch hier übt Panahi Kritik am Patriarchat seines Landes.
CAPERNAUM
AB 17.01. // CASABLANCA
Da sitze ich, auf der Suche nach einer Steigerung von „hochemotional“. Wie soll man es denn nennen, wenn man einen kleinen Jungen im Libanon sieht, der so dünn und so erwachsen ist, dass es einem ganz schlecht wird. Zains Familie ist arm. So arm, dass keiner genau weiß, wann er geboren ist. Papiere kosten Geld, also bleiben die Kinder unregistriert, was heißt, es gibt sie nicht. Es klingt jetzt schon viel zu dramatisch und das ist CAPERNAUM auch, doch der Untertitel heißt „Stadt der Hoffnung“. Zain ist zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, doch er schlägt zurück und verklagt seine Eltern, weil es ihn gibt. Nadine Labakis Film wirkt, als hätte sie eine Kamera im Leben aufgestellt – und das stimmt: Sie hat die Realität gefilmt. Die Eltern des Kleinen kennen die Welt nicht anders, wie sollen sie sie verändern? Er läuft weg, und was er erlebt, ist zauberhaft und grauenhaft. Ein zutiefst menschlicher Film, den man sehen will. Ein Film, für den Worte erfunden werden müssen. Denn es gibt ihn wirklich, diesen Jungen.
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