Dem Egers sei Welt #67: Im Hinterhaus

MONTAG, 5. NOVEMBER 2018

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Mein ganzes Lebensglück ist meine neue Kaffeemaschine. In der Zeit vor der Anschaffung hat mir überall in der Welt der Kaffee stets besser geschmeckt als der Kaffee, den ich mir in meiner Wohnung im zweiten Stock des Hinterhauses, in dem ich seit über achtzehn Jahre wohne, zubereite. Seitdem ich mir meine neue Kaffeemaschine angeschafft habe, schmeckt mir nirgends anders in der Welt der Kaffee so bekömmlich und herzhaft wie bei mir. Der Gipfel des Glücks ist der Milchschäumer. So fest und sämig, wie mir mein Milchschaum für den Cappuccino gelingt, ist er selten zu finden in der Welt. Mit einem kleinen Pinsel male ich Bilder obenauf. Ich zeichne die Aussicht vom Monopteros in München. Ich male das Christkind beim Prolog oder den heiligen Gambrinus auf einem großen Bierfass in den Schaum auf dem Kaffee und schlürfe glücklich und ganz für mich allein das vergängliche Kunstwerk.

Der Herr Spitzbarth rumpelt schon wieder in seiner Wohnung. Ich höre ihn, wie er scheppert in der Wohnung unter meiner Wohnung. Der Spitzbarth wohnt im ersten Stock. Ich wohne direkt über ihm. Manchmal bilde ich mir ein, ich könnte ihn durch seine verstopfte Nase schnaufen hören, den ungepflegten Mann. So dünn sind die Wände des Hinterhauses aber nicht, dass ich wirklich das bemühte Atmen dieses unangenehmen Menschen wahrnehmen könnte. Ständig stopft er sich Unmengen teerschwarzen Schnupftabaks in seine aufgedunsene Nase, die von roten Adern umrankt ist. Schwarze Borsten wachsen auf seinem Höckerzinken über den bierkapselgroßen Nasenlöchern. Mehrere Liter frischer Luft könnte der Spitzbarth mit einem Atemzug in seinen großen Kopf hineinsaugen und damit große Gedanken in seinem überdimensionierten Schädel denken, die ein Segen für die Menschheitsgeschichte darstellen würden. Aber der Spitzbarth scheut große Gedanken. Er möchte mit seinen Gedanken der Menschheit nicht nützlich sein, weil er darin keinen Sinn sieht. Absichtlich verstopft er sich seinen verborsteten Zinken, damit nur mühsam eine kleine Menge Luft in seinen Eimerkopf vordringt, mit dem er nur ganz armselige und ordinäre Gedankengänge fasst. Absichtlich atmet er die kleinstmögliche Menge an Luft ein, damit er gerade noch am Leben bleibt. Das Hirn des Spitzbarth leidet unter einer massiven Unterversorgung mit Sauerstoff auf Grund einer absichtlichen Verstopfung des Riechorgans und gestattet nur noch eine Lebensführung mit niedersten Instinkten. Freilich kann ich es gar nicht hören durch die Wände des Altbaus, wie er mit Mühe einatmet. Aber denken kann ich es mir, wie er vor sich hinröchelt in seiner unaufgeräumten Zweizimmerwohnung im ersten Stock unter meiner Zweizimmerwohnung im zweiten Stock. Ich werde jetzt, wo ich den Spitzbarth so deutlich scheppern höre, nicht aus meiner Wohnung über die Hinterhaustreppen hinunter gehen, weil ich weiß, dass der unförmige Mann dann die Wohnungstür wie zufällig öffnen wird in dem Augenblick, in dem ich die Treppen vor seiner Tür herunterlaufe. Unbedingt vermeiden möchte ich es, in seine kleinen traurigen Mausaugen hineinschauen zu müssen, mit denen er mich immer ansieht, wenn wir uns im Treppenhaus des Hinterhauses oder im Hinterhof begegnen. Verzweifelt wie ein Ertrinkender schaut er mich immer so durchdringend an und ich spüre seinen aufdringlichen Wunsch, dass ich ihn aus seinem Lebenselend retten soll. Er hofft schon lange, dass ich ihn aus seinem Unglück befreie. Die Sehnsucht des Herrn Spitzbarth richtet sich auf das Naheliegende, weil er auf Grund seiner Atemlosigkeit keine längeren Strecken zurücklegen kann. Aus Bequemlichkeit hat der unappetitliche Mensch sein Begehren auf mich gerichtet. Ich vermute, dass er einen schmutzigen Löffel, der mit eingetrocknetem Joghurt verklebt ist, in einen Topf gelegt hat. Jetzt schüttelt er den Topf hin und her, damit es in vollkommener Unsinnigkeit scheppert. Dann unterbricht er seine sinnlose Musik, um mit seinen haarigen Ohren zu lauschen, ob ich vielleicht meine Wohnung verlasse und das Treppenhaus hinunter laufe und schleudert das Silberbesteck weiter, wenn er meiner Schritte nicht gewahr wird. Ich habe keinen Anlass meine Wohnung zu verlassen.

Dem jungen Ding im Erdgeschoss, namentlich Margot Schwarz-Peter, obliegt es in dieser Woche, die Hausreinigung zu erledigen. Beim vorausgegangenen Mal hat sie sich ihr kleines Kind mit dem Gürtel des Bademantels um den schwammigen Bauch gebunden, während sie das Herbstlaub unter Stöhnen zusammengekehrte – eine pure Demonstration der Ungerechtigkeit und Zumutung, die auf den schwachen Schultern der Alleinerziehenden drücken. Die Unselige wird im nächsten Monat mit dem Kulturpreis der Stadt ausgezeichnet. Ein Anschreiben des Kulturamtes hat sie mehrmalig fotokopiert und allen Mietern im Haus in die Briefkästen gesteckt. Sie brüllt gelegentlich im Fernsehen und zeichnet sich aus mit einer Tendenz zu ordinären Witzen. Durch die Auszeichnung scheint sie den Rest ihres spärlichen Verstandes komplett aufgebraucht zu haben und empfindet es als eine Zumutung, die Treppen des Hinterhauses und den Hof zu fegen. Die Pflichten der Hausordnung betreffen sowohl die Mieter des Hinterhauses als auch die Mieter des Vorderhauses, die in Vierzimmerwohnungen mit Stuck an der Decke und Eichenparkett leben. Im Hinterhaus befindet sich kein Stuck an der Decke, und auf dem Boden ist Laminat ausgelegt. Trotzdem erledige ich meine Pflichten als Mieter, der im achtzehnten Jahr im Hinterhaus lebt, und das darf ich auch von der aufgedunsenen Frau im Erdgeschoss verlangen. Aber den Anblick des an den Mutterbauch gefesselten Kleinkindes, in dessen Nasenschleim sich Blasen bilden, ertrage ich an diesem verhangenen Herbsttag genauso wenig wie das flehende Geschau der verlassenen Kindsmutter, der von der kurzfristigen Liaison mit dem Kindsvater nur der unmusikalische Doppelname und das Kindchen blieb.

Alles zum Leben Notwendige befindet sich in meiner sauberen und aufgeräumten Wohnung im zweiten Stock des Hinterhauses. Ich werde jetzt den Teppich im Flur staubsaugen, dann höre ich das Scheppern vom Spitzbarth nicht mehr und muss nicht länger an das Leid der Schwarz-Peter denken. Ich sauge und danach werde ich mir eine Tasse frischen Kaffee brühen. In den Schaum male ich den Turm des Fürther Rathauses.

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UND WAS MACHT EGERS SONST SO IN DIESEM MONAT?
Mit „Carmen oder die Traurigkeit der letzten Jahre“ ist er am 28. November im Fifty Fifty in Erlangen. curt-Tipp! Noch mehr Termine – außerhalb der Region – unter www.egers.de.
 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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